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HM 2

Hochzeit im Herbst.
Eine Hans-Sachs-Geschichte
von Hans Gerhard Waltershausen.
in rosenroter Sommernachmittag lag über der Stadt. Röter
noch leuchteten die Dächer der Häuser, die hochgelegenen
Fenster glühten und in den engen Straßen, den winkligen
Höfen lagen rote Streifen. In den Häusern war es still, wer nur
konnte, war hinaus in den Reichswald, um den Sonntag zu genießen;
hin und wieder nur kamen singende und lustig plaudernde Menschen
an Hans Sachsens Haus vorüber. Der Meister saß in der oberen
Stube im großen Stuhl. Das Fenster stand weit offen; warme
Sommerluft lag in der Stube, und roter Widerschein der Sonnen-
strahlen färbte die Verzierungen des großen Schrankes und setzte
leuchtende Vierecke auf den Fußboden. Auf dem Fensterbrett lag
ein Band des „Franziskus petrarcka, von paiderley glück und Un-
glück" aufgeschlagen; ein Blatt nach dem anderen hatte sich leise auf-
gereckt, einen Fächer bildend; man sah, es war nicht mit Fleiß darin
gelesen worden. Um Trost darin zu suchen, war dieses Buch auf-
geschlagen worden, aber nicht über die erste Seite war Hans Sachs
hinausgekommen; schon wie er das Werk zur Hand nahm, ward er
unwillig, denn dicker Staub lag auf dem roten Schnitt. Da fühlte
er wieder einmal, es fehlte die liebende Hand, für die Bücher und
auch für ihn. Wie war seine Kunigunde stets um seine Bücher be-
sorgt gewesen, wie ein Heiligtum wurden sie von ihr behütet; kein
Kind durfte danach greifen, und selbst ihn schalt sie, wenn er das eine
oder andere mit in die Werkstatt hinuntergenommen und liegen
gelassen hatte. Wer konnte wissen, welch unredliche Hand sich danach
recke, sprach sie dann, faßte es mit einem Tüchlein, um das Pergament
nicht zu beschmutzen, und trug es hinauf. Wenn sie vom Himmel
heruntersehen könnte, was würde sie zu der Wirtschaft sagen, die
jetzt in Hans Sachsens Hause herrschte? Wohl war die Magd ein
braves Ding, aber sie tat doch nicht mehr, als man ihr hieß; es war
keine Liebe in ihrem Tun. Ein junges Ding, den Kopf voll vieler
Dinge, immer rasch fertig und immer mehr auf der Straße oder,
wenn der Meister nicht drin war, in der Werkstatt als im Hause.
Seit er das „Podagram oder Zipperlein" hatte und überhaupt in
letzter Zeit recht baufällig geworden war, saß er oft hier oben,
teilnahmlos für das Leben im Haus. Dann wurden die Burschen
leicht übermütig, und auch die Magd tat ihre Arbeit noch fahriger
als sonst. Und um ihn kümmerte sich kein Mensch; das war das
Schwerste. Mochte auch die Magd jeglichen Morgen fragen: „Wie
geht's, Meister?", was half das. Er sehnte sich nach einer lieben Hand,
nach einer Stimme, die aus dem Herzen heraus an ihn gerichtet war.
Immer stärker mußte er es verspüren, daß er wirklich alt gewor-
den war, seitdem seine treue Hausfrau Kunigunde von ihm gegangen
war. Was war seit ihrem Tod ihm noch auf dieser Erde geblieben?
Seine Lust zur Poeterei war dahin, und auch dem Handwerk konnte
er nur wenig noch nachgehen. Er war durch die Trauer um das
Gemahl ein stiller, zurückgezogener Mann geworden; mißmutig durch
die Krankheit und die erstorbene Schaffenslust; er lebte allzusehr
im Vergangenen, so daß er keine Kraft fand, die Gegenwart zu
meistern. Was es auch war, es gab tausend Dinge, die seine Ge-
danken banden. Trat er zum Schrank, die Mütze zu nehmen, sah er
Kunigundens Kleider noch hängen, eines nach dem anderen, wohl
geglättet und sauber gebreitet; hier war ihre Ordnung noch erhalten
und nicht durch die Hand der Magd zerstört. Dann war ihm, als sei
es noch wie einst, da Kunigunde noch waltete; jeden Augenblick glaubte
er ihre Stimme hören zu müssen, ihren Schritt auf der Treppe.
Am traurigsten waren dem Meister die Sonntage. Da war es so
still im Haus; die Werkstatt war geschlossen, die Magd zu den Eltern
gegangen. Und in den Straßen war es so ruhig; selten nur erklang
ein Lachen, das Plaudern froher Menschen, der Ton einer Laute.
Da tönte es in ihm wie ferne, traurige Musik, und er wünschte den
Alltag herbei. Lesen wollte er heute, aber seine Gedanken hatten
nicht die Kraft, die Worte nach ihrem Sinn zu fassen. So ließ er's
sein, lehnte sich in den Stuhl zurück und träumte.
Als die roten Strahlen verblichen waren, der Tag langsam er-
starb, auf der Gasse aber hin und wieder Schritte, die ein Ziel ver-
rieten, vorüberkamen, stand er auf und machte sich zum Weggehen
fertig. So viel Pein ihm das Laufen auch machte, er wollte doch
zur Kirche gehen. Bald tastete er vorsichtig die Stiege hinab, schloß
das Haus zu und wanderte die wenigen Schritte nach der Spitalkirche.


Nicht allzuviele Leute kamen des Abends zum Gottesdienst, deshalb
ging er gern um diese Zeit. Heute war es noch stiller, nur alte Leute,
die, des Laufens unlustig, tagsüber daheim blieben, saßen vereinzelt
in den Reihen. Halb düster war's und so still, daß man das Blättern
eines jeden Büchleins, jeden Griff, den eine Frau in den Beutel tat,
vernahm. Trost war dem Meister des Predigers Wort; still des
Gehörten denkend, ging er nach dem Gottesdienst dem Ausgang zu.
Dunkel war's inzwischen geworden, vorsichtig suchte er die Stufen.
Da ging flink an ihm, scheinbar ohne ihn zu bemerken, eine Frau
vorüber, der Türe zu; als sie hinaustreten wollte, schien sie ihn zu
sehen, denn sie wandte sich um; doch im selben Augenblick faßte sie,
Halt suchend, mit den Händen um sich, hielt sich an der Wand, begann
aber gleich darauf am Boden zu suchen, und bald hatte sie auch
gefunden, was sie verloren. Sachs sah, daß es der Absatz ihres Schuhes
war. Er lachte. „Ei," sagte er, „was bedeutet das?"
„Das bedeutet, daß dies Schuhwerk nichts taugt!"
„Das mein' ich auch. Bringt mir den Schuh, ich will ihn flicken."
„Nicht nötig, Meister Sachs, ich mach' ihn selber wieder dran."
„Das könnt' ein übel Ding werden; bringt ihn nur, ich werd'
Euch nichts berechnen dafür. Ihr wißt, wer ich bin?"
„Wer kennt den Meister Sachs nicht? Mein selig Gemahl war
vertraut mit Euch, ich bin Jakob Endres' Witib."
„Jakob Endres' Witib? Ich kannt' ihn wohl, sein Nam' ist auf
der Tafel genannt, die mir die Kandelgießer zum Geschenk gemacht.
So jung noch und wohl auch Kinder, gelt?"
„Ja! Ist nicht leicht für mich; glaubt mir, Meister, sechs Kinder,
da heißt es tapfer sein."
„Da heißt es tapfer sein," wiederholte Sachs nachdenklich.
Indes waren sie bis zur Ecke gekommen, und die Witib bot gute
Nacht. Sachs gab ihr die Hand: „Vergeßt nicht, den Schuh zu bringen!"
Nun saß der Meister wieder in der oberen Stube, hatte Licht
gezündet und war ganz heiterer Laune. Was war die Endrestn doch
für ein tüchtiges Weib; hatte ein feines Gesicht und eine artige Ge-
stalt. Wie er so saß und im stillen grübelte, dachte er: sie ist Witib,
wenn sie wollt', könnt' sie meine Hausfrau sein. Ja, das sollt' mir
wohl gefallen, das wär' ein neu' Leben im Haus, und aller Arger
und Verdruß nähm' ein Ende. Ihm wurde warm ums Herz, sein
Sinn war ganz erfüllt von diesem schönen Traum. Da lachte er auf,
denn er dachte daran, was er einst allen Ernstes geschrieben:
„Drum besser wär', Witwer zu bleibeu,
Einem Alten, denn sich zu verweiben,
Wie Franziskus Petrarcha ret,
Lobt des Witwers tuig Schlafpet,
Daß ihm nit Unruh auferwachs
Durch die andrer Eh, spricht Hans Sachs."
Abet das stimmte ihn heute nur noch übermütiger; er fühlte sich
plötzlich gar nicht mehr alt. Mit versonnenem Lächeln saß er lange
still am Tisch; dann holte er Papier und Feder herbei und schrieb.
Hin und wieder las er die Zeilen noch einmal; er schien befriedigt
und schrieb weiter. Endlich legte er die Feder weg, lehnte sich zurück
und las; dann faltete er das Papier sorgfältig und sehr klein und
steckte es zu sich. Seine Gedanken wanderten wieder zu der Witib.
Unten blieb der Nachtwächter an der Ecke stehen, sein Spieß
glänzte im Mondschein; der dumpfe Ton des Hornes klang durch
die Nacht; er sang seinen Vers und ging weiter, hohl hallten seine
Schritte von den Häusern wider.
Oben saß Hans Sachs und reimte übermütig:
„Lieber Freund, hab' lieber acht,
Was Hans Sachs, der Schelm, für Sachen macht!" -

m anderen Morgen war der Meister der erste in der Werkstatt;
^>sein Tisch und Schemel wurden wieder ans Fenster gerückt, an
dem er so lange nicht gesessen. Tapfer ging er an die Arbeit, wenn
ihn das Zipperlein auch übel peinigte, verbiß er den Schmerz. Er-
wartete auf die Witib; fest glaubte er, daß sie käme. Aber die Stunden
vergingen, ohne daß die Endresin sich sehen ließ. Nahte sich ein
leichter Schritt, fiel ein Schatten einem Kommenden voraus, dann
ward der Meister eifrig in seiner Arbeit, denn er wollte ihr als wackerer
Handwerker erscheinen. Nachbarn gingen vorüber, wünschten ihm
Grüß Gott und fragten, ob es wieder besser gehe; das ärgerte ihn,
aber er dankte freundlich. Endlich, als er des Wartens fast müde
geworden war, kam sie. Wie sie die Straße entlang schritt, so leicht,
so artig und doch gesitteten Wesens! Als er ihr Gesicht sah, das Lächeln
ihres roten Mundes, das Leuchten ihrer Augen, vermochte er kaum
 
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