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DAsBuchfüvMls

Heft 2


auf einen Abschiedstrunk in den Weinkeller; es war die ehemalige
Apotheke des Klosters, im runden Turme eingebaut; von prächtigen
Kreuzbögen überwölbt, lagen sechs wohlvergitterte Fenster in den
starken, mit bunten Malereien bedeckten Mauern. In schweren
Eichenfässern ruhte köstlicher Viersteinerwein, von den Vorgängern im
Amte her gesammelt. Einen fröhlichen Spruch gab der geistliche Herr
dem Meister mit, und seine Schwester wollte immer wieder die Gläser
mit dem klaren Trank füllen; sie war überglücklich, wenn jemand in
ihre Einsamkeit kam. Aber die junge Frau zog ihren neuen Eheherrn
am Rocke: „Franz, der Weg ist weit, und die Pferde sind eingespannt."
Noch manchen Abschiedsgruß winkten die Scheidenden vom Wagen
zurück; unter der bunten Sonnenuhr stand der gastliche Pfarrherr
und seine Schwester in der weihen Haube. Ein letzter Gruß — da
verschwanden Kirche und Kloster hinter dem hohen Eichenwalde.
Das neue Ehepaar fuhr ins Leben hinein, nie mehr hat es das ent-
legene, schöne Tal Wiedergesehen.
Im Frühsonnenschein lag die Gegend, rasch ging es an dem alten
Bergkirchlein Maria Sand vorüber; dann fiel der Nebel und währte
über den vierzehn Stunden weiten Rückweg. Muhrland zog immer
wieder die Wagendecke um seine junge Frau. Eifrig sprachen sie von
der Wirtschaft und der vielen Arbeit, die ihrer harrte. Keine Geige,
keine Flöte hat ihnen ein Brautlied gespielt, still lag die Landschaft
unter der neuen Schneedecke, heiser krächzten die Nebelkrähen ihren
rauhen Sang.
Es war weit nach Mitternacht, als Nanett ihr zukünftiges Heim
betrat; die alte Urschel erwartete sie an der Haustüre mit einer Laterne,
deren schaukelndes Licht sie in die Eckstube geleitete. Dort stand der
kupferne Teetopf im warmen Kachelofen. Die Magd zündete die
beiden Talglichter an; ihr Schein fiel auf einen großen Gugelhupf,
der, mit einem dürftigen Sträußchen Allerheiligenblumen geschmückt,
ein Gruß der schlafenden Stiefkinder an die neue Mutter war.
Freudig bemerkte die junge Frau in der Ecke ihren großen Rokoko-
kasten; wie ein lieber Freund schien er ihr zuzulücheln. Die alte
Urschel erzählte: Die Jungfer Pepi vom Nachbarhaus ließ heute das
Möbel herüberschaffen und habe auch die Wäsche eingeräumt. Die
Kinder waren beim Anblick der neuen Tante unter die Betten ge-
krochen; eine große, graue Katze hatte die Jungfer als Hochzeits-
geschenk zurückgelassen.
Die alte Verwandte der Frau Rose! verließ voll Groll das Haus;
sie wollte keine Stiefmutter für die Kinder ihrer verstorbenen Nichte.
„Lat ehr man sin!" sagte befriedigt der Meister.
Die Magd leuchtete der jungen Frau in die nebenliegenden
Stuben, vier Mädchen und fünf Buben schliefen dort; keines rührte
sich. Der kleine Konrad mit den blonden Locken hatte auf der Decke
die neue Katze liegen; Nanett nahm sie herab. Dann schickte sie die
Magd zur Ruhe und schenkte ihrem Gatten den Tee ein. Sie aßen
von dem derben Gugelhupf der alten Urschel. Das war der Hoch-
zeitstag der Jungfer Nanett vom „Goldenen Straußen".

Lautes Geheul weckte am Morgen die junge Frau; erschreckt und
^ratlos sah sie sich um in dem fremden Raum. Traumlos hatte
sie nach der ermüdenden Reise geschlafen. Es war fast noch finster.
Im Nebenzimmer schrie der kleine Konrad: „Laura, Mina, Tristl,
ich möcht' die Katze, wo ist die graue Katze hingelaufen?"
„Wirst still sein," schrie eine Mädchenstimme.
„Nein, ich möcht' meine Katze, sonst wird der kleine Konradl
weinen, bös weinen."
„Ja, heul nur, du Fratz! Wirses schon sehen, dann kommt die
böse Stiefmutter; die schneidet dir mit einem glühenden Messer die
Zungen heraus."
„Das is g'wiß wahr," schrie eine Knabenstimme, „die alte Basel
hat's gesagt, bevor sie gestern fortgang'n is. Konradl, kriech unter
die Decken und sei still!"
„Mag aber nicht still sein, mag das Katzerl haben!" jammerte das
Kind in den höchsten Tönen.
Nanett zitterte und suchte im Dämmer nach ihren Kleidern; das
Bett an ihrer Seite war leer, ihr Mann war schon an die Arbeit
gegangen. „Mein Gott, wie der Bub schreit!" Nanette hatte noch
nie ein Kind so schreien gehört. Bis sie endlich in die Kleider gefunden,
suchten drüben die Kinder mit den fürchterlichsten Drohungen den
kleinen Konrad zu beschwichtigen, wobei eines das andere überbot.
Endlich fand Nanett den Zünd stein; das Licht mit den Fingern
schützend, trat sie in das Nebenzimmer. Wie mit einem Schlag ver-
stummte das Geschrei; die Kinder krochen unter die Decken und blieben
mäuschenstille.

„Guten Morgen, meine lieben Kinder!" grüßte die neue Mutter.
Keine Antwort.
Konrad sah mit verweinten Augen hervor, als Nanett an sein
Bettchen kam. „Du bist der kleine Konrad? Gib mir ein Handerl!"
„Nein! Du bist ein böses Stiefmutter, mag kein Handerl geben."
„Komm zu mir, Konrad, drüben ist auch deine Katze."
„Konradl mag keine Katze. Geh fort, du böses Stiefmutter!"
Als Nanett den Knaben aus dem Bett heben wollte, schrie er
jämmerlich; erschrocken zog sie ihre Hände zurück. Sich an die Mädchen
wendend, bemerkte sie ein leeres Bett. „Da ist wahrscheinlich der
Franz schon aufgestanden? Mädeln, tut es dem fleißigen Buben nach
und zieht euch an. Ich will mir schnell die Zöpfe flechten."
Dann eilte Nanett hinab, um die Katze zu suchen. In der Werk-
statt brannte Licht; Muhrland war schon an der Arbeit; es klang,
als wollte man für einen Riesenkuchen Schnee schlagen; die Färber
trommelten in den Kesseln den Indigo.
In der Küche auf dem offenen Herd brannte schwelend das Feuer;
traurig sah es in dem rauchgeschwärzten Raume aus. Schmutzige
Zinnteller, irdene, henkellose Töpfe und Tassen standen für das
Frühstück bereit. Die alte Urschel erklärte der jungen Frau die Art
und Weise, die Suppe zu kochen; dann ging sie, um Konrad Milch
zu bringen.
Erst wusch Nanett das Geschirr rein; als sie in die nebenliegende
Eßstube trat, schlug die große, bis an die Decke reichende Kastenuhr
die siebente Stunde; erstaunt horchte die junge Frau auf den schönen
Klang, ein lieber Willkommgruß schien er ihr.
Kaum durchdrang das Flümmchen der kleinen Öllampe den ge-
wölbten Raum mit Licht. Nanett wollte den Tisch decken, fand aber
in dem eingebauten Wandschrank kein Tuch; sie stellte Teller und
Tassen auf den langen Eichentisch.
Als sie in der Küche in die glimmende Glut blies, kam Meister
Muhrland herein; hilfsbereit holte er den alten Blasebalg, bis die
Flamme emporlohte. Freundlich näherte er sich der fleißigen Frau:
„Weeß Godd, een lüttes Morgenküßchen hädd ick ßon gerne von dem
nützlichen Frauchen gehabt."
Da lief die Milch über die Pfanne, verschämt wehrte Nanett:
„Ach, laßt das, Herr Muhrland. Ich habe jetzt keine Zeit."
„Wat? Herr Muhrland? Un verspracht du nich gestern, mir
Franzen zu nennen un mir zu duzen?"
„Ja freilich, lieber Franz. Verzeih mir, aber ich muß mich erst
daran gewöhnen."
„Weeßt du, min Vögelken, dat is mich ock sehr entgegen, dir Nanett
sagen tau müssen. Ich wull dir lieber Nani Heeßen, so nennt sich
ock min älteste Swester, daheem in Osnabrück."
„Ja, ja, Franz! Aber nun sag mir auch, ob die Milchsuppe für
die Kinder und Gesellen richtig gekocht ist?"
„Es werd ßon gudd sin! Solch een Mehlpamp, wie de Ursel
kocht, wirst du wohl ock noch tauwege bringen!"
Ins Eßzimmer kamen die beiden Gesellen herein, hinter ihnen
des Färbers ältester Sohn.
Herzlich streckte ihm Nanett, oder Frau Nani, wie sie nach des
Meisters Willen von nun an heißen soll, die Hände entgegen. „Grüß
dich Gott, lieber Franz! Ich hoff', wir beide werden uns gut ver-
tragen; ich will euch allen eine gute Mutter sein."
Rot vor Verlegenheit zog Franz seine Hand zurück, löffelte schnell
seine Suppe aus und lief wieder in die Werkstatt.
Muhrland stellte die Gesellen der neuen Frau Meisterin vor.
„Sühst du, Nani, dat is de Korl, er hadd bei mich ausgelernt un is
sieben Jahr im Hus. Dat is de Blasius, de is noch een jung' Füllen
un haut mankmal üwer de Sträng, awer er werd ßon werden.
Düchtig sin se alle beede!"
Geschmeichelt über das Lob und den Händedruck der jungen Frau,
setzten sich die Gesellen zu Tisch. Nach der Mehlsuppe sprachen sie
ein lautes Vaterunser; der Meister betete leise mit, dann sagte er
laut die Worte seines Glaubens: „Denn dein ist das Reich, die Kraft
und die Herrlichkeit."
Muhrland führte seine Frau in den Laden; er zeigte ihr die Ballen
mit den gefärbten Waren, erklärte ihr, daß an jedes zu färbende
Stück eine Messingmarke angenäht werden müsse. Wollte Nani den
Laden verlassen, so mußte sie kräftig an dem Glockenzug ziehen, um
den Meister aus der Werkstätte herbeizurufen. Dann eilte Nani hinauf
zu den Kindern.
Oben gab es ein wirres Durcheinander. Christine trug den kleinen
Konrad herum, er war aus dem Bett gefallen und schrie wieder
kläglich; Laura konnte mit ihren langen Zöpfen nicht fertig werden,
 
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