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schon seit Jahren, gegen
Deutschland, das nie
seine so häufig in Er¬
scheinung getretene po¬
litische rind militärische
Schwäche zu eiuem er¬
folgversprechenden Ail-
griff ausgenutzt hatte.
Gerade hierin liegt einer
der schlagendsten Be¬
weise der Friedfertigkeit
der deutschen Politik,
die im Juli 1914 durch
das unsühnbare Ver¬
brechen der Ssasanow,
Suchomlinow und Ja-
nuschkewitsch untergra¬
ben wurde.
DiesesKleeblattwird
in seinen Taten un¬
auslöschlich in der Ge¬
schichte fortleben als das
mit unnennbarer Blut¬
schuld beladener Intri¬
ganten, die in derSchick-
salsstunde ihrenFürsten,
der Tragweite ihres
Tuns vollbewußt, be¬
logen, um das rollende
Rad des Krieges nicht aufzuhalten. Dreimal schon hatte Nikolaus den ihm
abgenötigten Mobilisationsbefehl zurückgenommen; am 29. Juli 1914 unter-
zeichnete er den vierten. Mit Rücksicht auf das telegraphisch gegebene Ehren-
wort des Deutschen Kaisers, das; Deutschland bei Rücknahme des Mobili-
sierungsbefehls nicht feindlich gegen Rußland auftreten werde, wollte Nikolaus
diese Order zurücknehmen. Der „direkte, bestimmte Befehl" des Zaren hierzu,
wie Suchomlinow ihn in seinem Geständnis selbst bezeichnete, wurde von ihm
und General Januschkewitsch nicht nur nicht ausgeführt, sondern der Herrscher
wurde eingestandenermaßen direkt „belogen", daß nur eine Teilmobilisierung
stattgefunden habe. Jin Verein mit dem damaligen Minister des Äußeren,
Ssasanow, erreichten sie es am folgenden Morgen in nur zehn Minuten, den
Zaren umzustimmen und die bereits geschehene Ganzmobilmachung gutzu-
heißen. Welch ein Bild! Trotz des bündigen Ehrenwortes des Deutschen Kaisers
läßt sich der Schwächling auf dem russischen Thron in zehn Minuten von drei
Schurken zu einer der folgenschwersten Handlungen bestimmen, die die Ge-
schichte aller Zeiten kennt. Und eigennützig, schurkisch waren die Beweggründe
der drei. Die Geldverlegenheiten des Kriegsministers Suchomlinow waren

stadtbekannt; nur in den
Kriegswirren konnte er,
der vor keinem Mittel
zurückschreckte, hoffeu,
seiue Finanzen aufzu-
bessern. Und an ver-
brecherischemWillen da-
zu hat er es nicht feh-
len lassen, dafür wurde
auch die Anklage gegen
ihn wegen Hochverrats,
des Mißbrauchs des
Vertrauens und der
Veruntreuung öffent-
licher Gelder erhoben.
Wie sehr diese nach
allen Seiten hin be-
rechtigt war, hat die
Verhandlung ergeben.
Der Mitschuld ange-
klagt ist auch seine
Gattin. Das Kapitel
seiner Eheschließung
allein ist bezeichnend
für diesen Typ eines
korruptenRussen. Seine
ehrgeizige Frau war
früher die Gattin des
reichen Russen Buto-
witsch in Kiew, deren Scheidung er durch Bestechung des Heiligen Synods
und durch unerhörte Gewaltmaßregeln, die sich zu einem öffentlichen Skandal
auswuchsen, durchsetzte. Uud solch einem Manne ist der Ausbruch des Welt-
krieges zuzuschreiben.
Der zu gleicher Zeit wie der Petersburger Suchomlinowprozeß in Moskau
tagende russische Staatskongreß hat keine ähnliche Bedeutung erlangt; im
Theatersaal der Großen Oper abgehalten, war diese Konferenz auch theatra-
lischer Natur. Unbefriedigend im russisch-nationalen Sinne, verlief dieser
Kongreß, den man als eine „große Episode", als weiter nichts bezeichnete.
Kerenskij, der Diktator, und Kornilow, der Oberbefehlshaber, sind Rivalen,
die ihrer republikanischen Erwählung wenig Rechnung tragen und der russischen
Friedensehnsucht zum Trotz uur Kriegsreden hielten. Der erstere war im
Kreml abgestiegen, wo die Zaren wohnten, wenn sie zur Krönung nach
Moskau kamen, und der andere stattete bei seinem theatralischen Einzuge
dem wundertätigen Muttergottesbilde in der iberischen Kapelle einen Besuch
ab, dem Hofzeremoniell der russischen Herrscher folgend. Die ungekrönten
Zaren Rußlands!


Die Große Oper in Moskau, in welcher der russische Aatkonalkongreß tagte.


willkommenes Strandgut (S. 27). — Einen guten Fang machte kürz-
lich eine Wache an der Nordseeküste. Die Wogen trieben lustig schaukelude
Kisten an Land, die, wie sich herausstellte, bei der Sprengung eines feindlichen
Dampfers einen unbeabsichtigten Platzwechsel vorgenommen hatten. Der
Inhalt, schöne goldgelbe, holländische Butter, kam den braven Mannschaften
gerade recht, und das willkommene Strandgut mundete ihnen um so besser,
weil es den neidischen Briten, für die es jedenfalls ursprünglich bestimmt war,
empfindlich fehlen dürfte.
1 Suhlender Hirsch (S. 30). — Selten nur wird es dem Nichtweidmann
gelingen, einen Zug aus dein Leben des stolzesten Wildes unserer Forsten zu
erhaschen, wie ihn hier der Maler anschaulich darstellt. Zur Suhle, einer
morastigen Vertiefung, zieht das Edelwild, um sich bei trockenem, heißem
Wetter zu kühlen und um sich von seinen Plagegeistern, dem Ungeziefer in
mancher Gestalt, zu befreien. Stundenlang, in wohligem Behagen, suhlt
sich danu hier der König unserer Wälder. Dein Jäger sind diese Stellen be-
kannt und leicht auffindbar; beim Austreten aus der Suhle schüttelt der Hirsch
den Schmutz ab und reibt sich an benachbarten Bäumen, so deutliche Spuren
seines Schlammbades hinterlassend.
4 General v. Hutier, der Eroberer von Riga (S. 35). — Deutschlands
älteste Kolonialgründung, Riga, ist nach nur zweitägigem Kampfe genommen
worden. Ein genial angelegter, kühner Angriff hat die Hauptstadt Livlands in
unsere Hände gebracht. Unter Führung des Generals v. Hutier warf die achte
Armee in unwiderstehlichem Vorgehen den Feind zurück, der bald in regelloser
Flucht die Stadt räumte. Der siegreiche General, vor dem Kriege Kommandeur
der ersten Gardedivision, hatte wenige Tage zuvor, am 27. August, sein 60. Lebens-
jahr vollendet. Die von ihm und seinen kampfbewährten Truppen gegen
starke feindliche Übermacht eroberte Stadt von rund 500 000 Einwohnern ist
einer der wichtigsten Handelsplätze Rußlands; mit einen: jährlichen Waren-
umschlag im Werte von 375 Millionen Rubel stand Riga im Frieden an der
Spitze der russischen Handelshäfen. Im Jahre 1201 von einem deutschen
Bischof gegründet, wurde Riga 1237 eine Hochburg des deutschen Ritterordens

und 1282 ein blühendes Mitglied der Hansa. Noch heute geben die steinernen
Zeugen jener Zeit der Altstadt ihr Gepräge. Auf dem alten Ordensschloß der
Großmeister von Livland weht jetzt die deutsche Fahne. „Germanski Eorod",
die deutsche Stadt, neunen die Russen Riga, das 1721 an das Zarenreich kam
und in den letzten Jahrzehnten gewaltsam russisch gemacht werden sollte. Das
Deutschtum ist wohl unterdrückt, aber nicht ausgerottet worden.
/x Schwäbischer Weinherbst (S. 36/37). — Im Schwabenland hofft inan
in diesem Jahr auf eine gute Weiuerute, zum mindesten einen Mittelertrag,
der bei den hohen Preisen auf 100 Millionen Mark geschützt wird. „Es läutet
in den Herbst", sagt der Volksmund, wenn das Feldgericht durch den Orts-
diener mit der Schelle verkünden läßt, daß die Lese beginnen darf und daß die
Weinbergsperre beendet ist. Die Traubenmühlen, Keltern und Butten sind
in: voraus gut instand gesetzt und nun. wird unter sorgsamer Beachtung der
Witterung und Tageszeit mit der Auslese der allerreifsten Beeren, die mit
Holzgabeln von den Trauben gepflückt werden, der Anfang gemacht. Die
anderen läßt man für die Gesamtlese zurück. Je reifer die Traube wird, desto
süßer und besser verspricht ihr Gehalt zu werden, der gerade in den letzten
Tagen wichtige Veränderungen erführt. In Butten schleppen die Träger
die köstlichen Früchte herbei und schütten sie in die große Mosterbütte oder in
Traubenmühlen, in denen den Beeren der edle Saft entlockt wird. Auf zwei-
rädrigem Karren rollt dann die „Maische" dem Kelterhaus zu, wo die weitere
Pflege des Weines noch viel Arbeit und Sorgfalt erfordert. Von Scherzen,
Singen und Spielen, auf die sich sonst Winzer und Winzerinnen im Weinherbst
gut verstanden, ist freilich in der Kriegszeit nichts zu spüren. Um wilden Preis-
treibereien vorzubeugen, hat der Reichskanzler für dieses Jahr Weinversteige-
rungen untersagt, soweit es sich nicht um eigeues Gewächs handelt. Un-
bervfenen Spekulanten ist somit das Handwerk gelegt und dein heimischen
Weinbau wird der verdiente Lohn werden. Wenn der Frieden von allen
Seelen den Sorgendruck genommen haben wird, dann wird der Wein von 1917
in den Gläsern funkeln als ein auserlesener und unvergleichlich denkwürdiger
Jahrgang.
 
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