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Hefts

ebenso unerwartet ein, daß der verliebte Divisionsadjutant nur fest-
stellen konnte , daß er vom Regen in die Traufe gekommen war.
So schnell, wie er es sich gedacht hatte, gingen seine Wünsche
nun doch nicht der mühelosen Erfüllung entgegen; je länger er dar-
über nachsann, um so mehr wurde ihm klar, daß er sich und Anne-
marie Zurückhaltung schulde und sich in Geduld fassen müsse. Sein
kräftiges Selbstvertrauen wich im Zwecklosen Geplauder mit den drei
Damen mehr und mehr einer müden Einsilbigkeit, und er fürchtete,
die scharfen Augen Tante Reppchens und der zungenfertigen Generalin
möchten ihm den verliebten Schuljungen anmerken. Er war froh,
als Hans-Albrecht ihn ersuchte, mit ihm noch einen Gang ins Freie
zu machen. Er tröstete sich darüber, daß Annemarie nicht mitkam,
mit dem unbewußt suchenden Blick, mit dem sie ihm folgte.
„Weißt du, Tante Reppchen meint es seelengut, aber wenn sie
sich einmal was in den Kopf gesetzt hat und es will nicht gleich nach
ihrem Willen gehen, da kann sie einem hart zusetzen."
„Ach, wegen des Legats?" fragte Horst zerstreut. „Willst du denn
immer so ablehnend bleiben? Deine schriftstellerischen Arbeiten in
Ehren, aber deswegen brauchst du doch nicht am Glück vorbeizugehen."
„Siehst du wohl!" lachte Hans-Albrecht und schlug mit seinem
Stock einen Lufthieb. „Noch nicht drei Stunden bist du im Hause,
da bläst du schon auf Tante Reppchens Horn. Seit dieser Unglücks-
brief ankam, höre ich am Morgen, Mittag und Abend nichts anderes
als die aufdringliche Mahnung: ,Es ist Zeit, daß du an dein Glück
denkst!^ ,Nie ist dir das Glück näher gekommen — du darfst es dies-
mal nicht vorbeigehen lassend Wenn es nach Tante Regine ginge,
müßte ich bereits auf dem Schiff sitzen und den Gestaden Uruguays
entgegendampfen. Ihr begreift ja gar nicht, daß das Glück — wenn
es überhaupt eines gibt — nichts als die Ruhe ist. Jawohl, die Ruhe!
Und aus der soll ich um jeden Preis aufgescheucht werden."
„Darüber läßt sich streiten."
„Uber das Glück? Selbstverständlich; besonders von jenen, die
davon ausgehen, daß das Leben wichtiger ist als das Wissen, das
Gefühl für menschlichen Glücksreichtum bedeutungsvoller als die
Wissenschaft. Du kannst das in meiner neuen Abhandlung nachlesen."
„Später!" wehrte Horst v. Halm ab, den heute weniger als je
nach den philosophischen Weltbetrachtungen des Freundes gelüstete.
Überrascht sah er auf, als Hans-Albrecht fragte: „Kannst du eigent-
lich noch fidel sein, Halm, oder hast du das in der großen Geistes-
schmiede, wo Moltkesche Weisheit getrieben wird, verlernt? Du
hattest eine gute Ader — ehe du auf die Kriegsakademie zogst. So eine,
wie mein Onkel Heinrich sie für unsere Familie als Erbhumor in An-
spruch nimmt. Er selbst will natürlich das größte Stück davon besitzen."
„Fidel? Ja, bin ich denn nicht lustig genug? Die Frage wäre
eigentlich an mir."
„Na, ich hatte dich jedenfalls in anderer Erinnerung; heute warst
du einsilbig, und mitunter sehen deine Augen so traumbeschattet ins
Blaue, um etwas Unfaßbares, viele Erdenweiten Entferntes zu
suchen." Hans-Albrecht lachte; sie standen auf der Brücke, wo die
Wilde Ache über die Felsen tanzte.
„So? Das hast du bemerkt?"
„Ja. Wer dich früher nicht kannte, dem würde es vielleicht nicht
auffallen; hast du dienstlichen Arger gehabt?"
„Nein."
„Dann verstehe ich dich nicht."
Der Hauptmann mußte lächeln; wie weltfremd dieser Bruder
Annemaries doch war. Der dachte wirklich nicht ans Heiraten —
weder bei sich, noch bei anderen. Und Horst trug sich eine Zeitlang
mit dem Gedanken, ihn zu seinem Vertrauten zu machen. Wie einer
nur bei noch nicht dreißig Jahren so ein Einsiedelmann sein konnte,
dachte er. Sie waren ja gleichalterig. Kam es Horst nur so vor,
weil er es wußte, oder mußte es nicht jeder Hans-Albrecht ansehen,
daß er ungelenk und ein guter, schüchterner Junge geblieben und
nur hinter seinen Scharteken sicher war?
„Nun, wenn du keinen Arger hattest, um so besser. Man kann
seine gute Laune nicht kommandieren." Mit seinen Gedanken schon
wieder in seiner Studierstube, fuhr er fort: „Der Mensch ist seiner
Natur nach entweder froh oder unfroh, nicht heute so und morgen
so. Grundlos froh oder grundlos unfroh. Ich bin dir auf jeden
Fall dankbar, daß du mir zu guter Stimmung verhalfen hast."
„Ich? Erlaube, ist das nun eine Schmeichelei oder das Gegen-
teil; habe ich schon was Dummes angestellt?"
„Bis auf die Torheit, daß du zu uns Einsiedlern flüchtest, während
in München deine sonst so vielgeliebten Rennen stattfinden, vorder-
hand nichts. Sicherlich wirst du dich langweilen ..."

„Erholen will ich mich, Queri!"
„Ich hätte ohne dich während der Festtage nichts anderes zu
hören bekommen, als die alte Litanei; in deiner Gegenwart kann
das nur halb so schlimm werden. Rede nur vor allem dagegen, Halm!
Du bist mir eine wertvolle Unterstützung."
„Gegen was soll ich mich denn erklären?"
„Gegen alle guten und bösen Geister, die meine Tante losläßt:
gegen Verwandtschaftsehen und gegen Ehen mit Ausländerinnen;
gegen jede Heirat überhaupt meinetwegen."
„Dazu bin ich eigentlich nicht hergekommen ..."
„Natürlich nicht!" Hans-Albrecht legte dem Freunde die Hand auf
die Schulter und lachte: „Aber es tut dir ja nichts. Tante Reppchen
hat neulich geäußert, du besäßest gediegene Ansichten; da machst du
unbedingt Eindruck — und ich habe meine Ruhe."
„Jawohl! Aber mir ist das zu gewagt; ich komme dann in den
Ruf eines Ehefeindes, und daran liegt mir nicht das geringste."
Hans-Albrecht merkte immer noch nichts. „Na, dann richtest du
deine Ansicht eben auf meinen besonderen Fall ein. Ich bin einer!"
„Bis die Rechte kommt."
„Nein, mein Lieber; laß das nur, wie es ist. Was soll ich mir
denn Besseres wünschen? Annemarie ist eine rührende Schwester;
Tante lernt sie jetzt in allem, was die Wirtschaft angeht, glänzend
an, sie wird Tante Reppchen eines Tages noch einmal übertreffen.
Und sie liebt Erinderode, sie will nie von hier weg."
„Bis der Rechte kommt und sie holt."
Hans-Albrecht riß die Augen auf; Halm ärgerte sich über die Eigen-
liebe, die aus Hans-Albrechts Worten sprach; fast trotzig klangen seine
letzten Worte. Da schlug sich Hans-Albrecht mit der Hand vor die Stirn:
„Halm! Horst! Menschenkind ! Du willst doch nicht etwa sagen . . .?"
Er lachte hell auf und reichte dem alten Schulfreund beide Hände.
„Warum hast du denn das nicht gleich gesagt! Und ich tappe blind
daneben! Ja, natürlich habe ich recht! Ich seh' dir's ja an, du bist
verliebt, alter Junge! Und Annemarie? Ja, wie weit seid ihr denn,
um alles in der Welt?"
Halm v. Eäudecker hatte Mühe, den Fragen und Händedrücken
zu wehren: „Einigermaßen blind bist du freilich gewesen; aber die
Stunde, wo du mir glückwünschend die Hand drücken kannst, ist noch
nicht gekommen. Noch hat deine Schwester keine Ahnung von meiner
ernsthaften Absicht — noch viel weniger ahne ich, was sie mir zur
Antwort geben wird. Ich habe ja das Gefühl ..."
„Und solche Dinge gehen hier vor, von denen ..."
„Von denen sich deine Weisheit nichts träumen läßt! Jetzt be-
greifst du hoffentlich, daß ich nicht gegen das Heiraten predigen kann."
„Alles begreife ich; deinen traumverlorenen Blick, deine Einsilbig-
keit, deinen — ja, nimm mir's nicht übel — deinen Osterbesuch
überhaupt. Das ist nicht eben schmeichelhaft für mich, oder wenig-
stens nicht für meine Klugheit. Ob Tante Reppchen schon Wind
davon hat, Horst?"
Sie standen wieder dicht vor dem Hause; das Mädchen kam her-
aus und bestellte dem Kutscher der Generalin Euntermann, der noch
immer steif auf dem Bocke saß, er solle ausspannen.
„Aha! Sie gedenkt bei uns zu Nacht zu speisen," flüsterte Hans-
Albrecht, ohne die Antwort Halms abzuwarten; er sah auch nicht
mehr die enttäuschte Miene des Freundes. Ihn erfüllte die Über-
raschung: Annemarie und verliebt? Ja, wie ging denn so etwas vor?
Sein Begleiter seufzte innerlich; er hatte auf diesen ersten Abend
so große Hoffnungen gesetzt: „Laß dir nichts anmerken von dem,
was ich dir anvertraut habe," rief er leise Hans-Albrecht zu.
„I wo! Ich freue mich doch nur; ich bin doch riesig gespannt;
das ist alles. Halte mich nur nicht für so ungeschickt, alter Freund!"
Horst v. Eäudecker lächelte ungläubig; sein Blick ging zu Anne-
marie, während Ihre Exzellenz sagte, sie habe der liebenswürdigen
Aufforderung ihrer alten Freundin nicht widerstehen können und
gedenke den Abend dazubleiben. Statt daß Annemarie ein be-
trübtes Gesicht über diese Mitteilung machte, glaubte er eia schel-
misches Lächeln bei ihr aufzucken zu sehen, das ihn beunruhigte;
freute sie sich darüber, daß nun jede Gelegenheit, sich unter vier Augen
zu sprechen, so gut wie unmöglich war? Oder erriet und deutete
es seine stürmische Ungeduld richtig? Die alte Exzellenz riß ihn aus
seinen Grübeleien: „Nun müssen Sic uns von München erzählen,
lieber Herr v. Halm. Ihr beneidenswerten Menschen sitzt ja immer
an der Quelle. Mich interessiert natürlich alles. Wollen Sie?"
Sie reichte ihm ihren Arm; eines Augenaufschlags Länge sah
er wieder ein schalkiges Aufblitzen in Annemaries Gesicht. Hans-
Albrecht lächelte schadenfroh, während Halm heldenhaften Mutes sich
 
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