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DasBuchsüvAlls

55

standesgemäße Ehe? Ein Queri blieb ein Queri, und kein Rechi'
ward ihm verkürzt, wenn er, wie das mehrfach vorgekommen war,
sein Herz einer Gutbürgerlichen schenkte.
Dabei fiel ihm noch etwas anderes ein. Fast alle Queris hatten
erst in gesetzten Jahren geheiratet. Im neunzehnten Jahrhundert
war das Mannslehen des Geschlechts nur zweimal neu vergeben
worden, so langlebig waren die Väter gewesen; mit grauen Haaren
oder einem Glatzkopf unter der Perücke erlebten sie die Geburt des
ersten Erben. Er kannte ja die Familienchronik in- und auswendig;
alle heirateten entweder als besonnene Männer erst spät, oder, wie
der selige Kornett-Oberstleutnant, überhaupt nicht. Bloß von ihm
verlangte man plötzlich einen Entschluß; als ob man es in der Hand
hätte, daß die Lrebe wie ein Blitz über einen käme.
Er hing diesen Gedankengängen noch nach, als er in den ge-
pflasterten Hof von Buchtenhagen einritt.
Onkel Heinrich stand schon winkend am Fenster und rief ihm
zu: „Na, du bist wenigstens pünktlich, Junge! Macht dir alle Ehre.
Ich fürchtete schon, weil du etwas von einem Gast telephoniertest,
du kämst nicht rechtzeitig los. Von dem Hauptmann erzählte mir
Mieze schon. Das ist einer von den ganz Klugen, die das Kraut
wachsen hören. Siehst du, da kommt auch schon unser Justizrat!
Nun sollst du gleich hören, weshalb ich dich so früh am Morgen
herausgetrommelt habe."
„Grüß Gott!" wünschte Justizrat Kraußer. „Was Sie scheinbar
an Geduld und Ruhe zu viel haben, das hat Ihr verehrter Oheim
zu wenig. Glücklicherweise hat man uns eben einen Brief gebracht..."
„Ja, Hans-Albrecht, dieser Brief dürfte sehr wichtige Aufschlüsse
enthalten, und du mußt bei der Öffnung zugegen sein. Überhaupt
ließ ich dir schon durch deine Schwester sagen und wiederholte es
dir telephonisch, ich verstehe nicht, daß es dir nicht ebenso geht wie
mir und du gleichermaßen aufatmest, wenn das verflixte Testament
erst einmal für uns alle klar verständlich sein wird. So, Junge! Nun
nimm mal Platz und stecke dir eine Zigarre ins Gesicht. Doch ehe
ich es über anderem vergesse — da schickte mir vorhin meine liebe
Kölsch die Papiere — Sie verzeihen doch einen Augenblick, Justiz-
rat! — nimm die mal zu dir, lieber Neffe. Sie heißt also Eva Neu-
reuther."
„Wer ist denn das, ich verstehe nicht ..."
„Na, nu sei so gut. Das junge Mädchen, für das du dein gewich-
tiges Wort in die Wagschale werfen sollst, wie ich dir durch Annemarie
und vorhin dir selbst durchs Telephon haarklein auseinandergesetzt
habe."
„Ah so! Die Lehrerin meinst du?"
„Natürlich. Die Zeugnisse sind sehr gut. Weiß der Geier, wo
die kleine Krabbe das her hat! Ich habe sie vor Jahren mal bei
meiner lieben Ursel Kölsch gesehen. Ein famoses, frisches, junges
Ding. Das Zeugnis ist großartig. Und nicht minder die Empfehlung,
die der Studienrat dazu gegeben hat. Lies das Tante Neppchen
vor — möglichst mit Betonung, damit sie es richtig begreift, daß
du mit dem jungen Mädchen eine wahre Perle nach Grinderode
bringst. Lache nicht! Ich kenne den Widerspruchsteufel, der in
ihr steckt!"
„Und du meinst wirklich ..."
„Ich meine, daß du die Wahl keinen Augenblick bereuen wirst,
weiter gar nichts. Wen mir Ursel Kölsch empfiehlt, an dem ist etwas.
Ich habe da meine Erfahrung. Und ehe sie mich um etwas bittet,
überlegt sie nächtelang, erwägt, prüft, dreht und wendet die Sache.
Bringt sie aber dann ein Anliegen vor, so darf man mit geschlossenen
Augen ja und amen sagen. So ist sie!"
„Beneidenswerter Onkel!" sagte Hans-Albrecht lachend.
Der alte Kraußer stimmte vergnügt ein: „Wer sich so feurig
für jemanden ins Zeug legt, den dürften keine zehn Testamente
aus dem Gleichgewicht bringen."
„Danke. Mir genügt das eine schon. Aber nun wollen wir's
mal durchgehen — Punkt für Punkt! Du paßt genau auf, Hans-
Albrecht, und vergißt mal so lange deinen Schopenhauer."
> „Den ich ja bekämpfe, Onkel! Ich stehe ja längst auf den Schultern
von Dühring und von Schleich und beweise, daß Schopenhauers
Pessimismus ebenso glänzend vorgetragen, wie seine Begründung
falsch ist."
Onkel Heinrich wehrte entschieden ab. „Um Himmels willen,
ich werde nie wieder an deine falschen Propheten rühren. Nicht
ein Wort versteh' ich. Und unser verehrter Freund Kraußer hat feine
Zeit auch nicht mit Scheffeln gemessen. Aus purer Liebenswürdig-
keit ist er bis jetzt hier geblieben."

„Doch nicht so ganz. Nicht aus Liebenswürdigkeit, wie Sie sagen,
es ist meine Pflicht und Schuldigkeit Ihnen beizustehen. Bitte, stellen
Sie Ihre Fragen, meine Herren. Der wichtigste Punkt für uns
dürfte der sein, daß ein Kapital vorhanden und auf der Landbant
niedergelegt ist. Sie erlauben, daß ich Ihnen über die Entstehungs-
geschichte der Summe ein paar Worte sage, die ich vom Erblasser
selbst habe."
„Wir bitten darum!" sagte der Major, faltete die Hände auf dem
Tisch und sah den Justizrat aufmerksam an. Hans-Albrecht hüstelte
über seine Zigarre und nickte.
„Ihr Herr Vetter zweiten Grades Gotthart v. Queri erfocht
sich bei der vierten Kavalleriedivision unter von der Tann bei Orleans
oder Coulmiers die Epauletten; kurz nach achtzehnhunderteinund-
siebzig — jetzt darf man das wohl sagen — schied er sang- und
klanglos aus seinem stolzen Kürassierregiment."
„Stimmt," nickte der Major. „Schuldenhalber um die Ecke
gegangen. Ehrenschulden, soviel ich weiß, die ordnungsmäßig be-
glichen wurden."
„Ganz richtig. Das von Ihrem Herrn Großonkel vorgestreckte Kapi-
tal half dazu. Mit dem Rest wanderte der ehedem flotte Reiteroffizier
nach Südamerika- aus. Von dort aus tilgte er noch, was hinter ihm
lag. Des Mannes Arbeit ist seine Ehre. Und alle seine Arbeiten
wurden gesegnet. Verhältnismäßig spät entschloß er sich erst zu hei-
raten."
Jetzt nickte Hans-Albrecht. „Das ist echt Querisch."
Onkel Heinrich sah ihn kurz an und dachte: „Was verstehst denn
du davon?"
Der Justizrat fuhr fort: „Männliche Erben wurden, wie Sie
schon wissen, Ihrem Herrn Eroßvetter nicht beschert. Wohl aber
eine Tochter, die im Legat benannte Esther. Als sie geboren wurde
— ich wiederhole, was mir der Herr Kornett-Oberstleutnant ge-f
sprächsweise mitteilte —, hatte der Vetter das Darlehen noch nichtz
zurückgegeben, wohl aber geschrieben, daß es gut angelegt sei und
auf Heller und Pfennig, mit Zins und Zinseszinsen über kurz oder
lang die Rückreise nach Europa antreten werde. Weil ihm nur
ein Töchterchen geschenkt worden sei, schrieb Ihr Herr Großvetter,
hülfe das nun nichts, ein Queri, der im Mannslehen säße, sei dort
nicht vorhanden, aber wenn es das Schicksal so wolle, könnte es ja
eines Tages sich fügen, daß sich die Tochter mit einem Queri ver-
lobe. Dann wäre alles Geld wieder in einer Hand."
Der Major stieß einen leisen Pfiff aus: „Das gibt der Sache
ein ganz anderes Gesicht! Das erklärt manches!"
„Das alles war in scherzendem Tone geschrieben worden," fuhr
der Justizrat fort. „Aber hinter dem Ton, der die Musik machte,
mag mehr geklungen haben. Und so hörte es auch der alte Baron Euse-
bius aus jenem Briefe, und aus anderen, die ihm folgten, heraus.
Es lag altes Heimatsehnen darin, das so schwer sich aus Menschen-
herzen verliert. Und das verstand der Herr Kornett-Oberstleutnant
sehr wohl, wenn er gleich ein Leben lang hier auf festgefügter Scholle
saß. Sehnsucht nach der Heimat — er kannte sie, mochte sie nun der
Heimat unter oder der über den Sternen gelten. Aber ich will nicht
zu sehr abschweifen. Jedenfalls schwebte auch ihm der Gedanke
vor, daß sich vielleicht mit diesem Töchterchen Esther wieder etwas
zusammenranken lasse, was das Geschick einmal zerriß."
„Bravo!" sagte der Major. „Nun verstehe ich die wahren Gründe.
Und was die Gesinnung anlangt, so ehrt sie Onkel Eusebius noch
übers Grab hinaus."
„Ja, dem läßt sich gewiß nicht widersprechen," pflichtete der
Neffe bei.
Der alte Kraußer begann: „In weiteren Briefen, die herüber
und hinüber gingen, wurde der Gedanke weiter gesponnen, und
heute stehen wir vor der Tatsache, daß sich die beiden ledigen Herren
Queris und, wie der Erblasser ausdrücklich sagt, benannte Tochter
Esther in freier Wahl entscheiden, ob der Gedanke zur Tat werden
soll oder kann."
Eine Minute blieb alles still; eine Hummel schwirrte summend
über den Tisch. Der Major faßte sich zuerst: „Nun, Hans-Albrecht?"
„Onkel Heinrich?"
„Hattest du nicht den Wunsch, dich zu diesem Punkt zu äußern?"
Hans-Albrecht räusperte sich. „Nichts liegt mir ferner, als dir
vorgreifen zu wollen, Onkel Heinrich."
„Bitte, greife ruhig vor. Bei gewissen Abstimmungen bei
uns Soldaten zum Beispiel — gehört das erste Wort der Jugend.
Wie denkst du persönlich über die Entscheidung, die wir hier zu treffen
haben?" (Fortsetzung folgt.)
 
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