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62

DasBuchfüvAtls

HeftS

Die Jungfer Annett
vom „Goldenen Straußen".
Roman aus dem untersteirischen Vormärz
von Anna Wittula.
(Fortsetzung.)
as Herz voll Kummer, ging Nani die weniger: Schritte heim.
Im Laden sah die Gertschka und hatte den kleinen Konrad
auf dein Schoß; Urschel lehnte daneben.
„Küß d' Hand, Nanetterl, perdong, junge Frau; ich hätt' was
auszurichten vom Herrn Doktor." Heimlich deutete sie auf die alte
Magd, die keine Miene machte, roegzugehen.
„Urschel, sei Sie so gut, nehm Sie den Buben mit in die Küche,
schau Sie nach der Abendsuppe und stell Sie den Mädeln zum Stricken
eine Kerze hin, ich komme bald!"
Brummend ging die Magd: „Immer haben s' geheime Nüssen
miteinander, das is wahrscheinlich die neuige Mode so?"
Als sie allein waren, fragte Nani: „Gertschka, was macht die
Frau Mutter?"
„Schaut so lustig drein wie ein Häfen voll Sauerkraut. Hat dem
Kuchenmadel, der Mariedel, gestern die Lichtputzscher an den Kopf
g'worf'n. Sonst is sie g'sund."
„Was macht der Doktor? Spricht er gar nie von mir?"
„O ja, er hat mir das Packerl mitgeben für sein Herzensnanetterl.
Scheint ein Silbergeld drin zu sein."
Die treue Alte sah das Aufleuchten in Frau Nanis Augen und
erriet ihre Schmerzen: „Nanetterl, soll ich nit in der Speis' drüben
ein bisserl was zusammenpacken für die Kinder? Es ist so viel da,
daß es die Frau Mutter gar nit merken tät. Und wenn auch —
die Süud nähm' ich gern auf mich und den Tanz auch."
„Gott bewahr, Gertschka! Ich brauch' nichts, gar nichts. Höchstens
— Gertschka, glaubt Sie, daß unser altes Kripperl noch auf dem
Dachboden steht?"
„Aber freilich ist's noch da. Ich hab's doch selber in die Truhen
eing'sperrt, als der Tonerl dem Mohrenkönig die Nasen abg'haut
hat. Er hat sehen woll'n, der dalkerte Bub, ob sie drinnen auch
schwarz ist. — Gleich hol' ich's herüber, bevor es finster ist. Küß
d' Hand."

m Heiligen Abend war die rußige Küche im Fürberhause blitz-
blank gescheuert; die Urschel rupfte dem morgigen Festbraten,
einem feisten Indian, die letzten Federn weg. Zilli und Laura be-
streuten den großen Gugelhupf mit Zucker, und Christel schleckte ver-
stohlen an seinen knusperigen Mandelkernen. Mina achtete auf den
goldgelben Kaiserschmarrn, während Frau Nani ein paar Stücke
Karpfen im Fett umdrehte.
Die Bubeu deckten im Eßzimmer den Tisch. Konrad warf das
Salzfaß um und balgte sich mit dem Heiner!; die Mutter erschien
auf der Küchenschwelle: „Werdet ihr gleich ruhig sein? Wo's am
Heiligen Abend nicht mauserlstad ist, da fliegt das Christkindl, ohne
einzukehren, vorüber. Hört, ihr Kinder, da klingelt es schon!"
Aufmerksam horchten die Kleinen auf das Schellengeläute eiues
Schlittens, der über den Hauptplatz hinabfuhr.
„Wird das Christkind dem Konradl was bringen?"
„Freilich, freilich! Nach dem Essen gehen wir hinauf ins Eck-
zimmer; die Urschel hat schön warm eingeheizt, dort wird schon etwas
für die braven Kinder liegen."
Wie freute sich Frau Nani! Für das Geld, das ihr Stiefvater
ihr geschickt, hatte sie einkaufen können; bis Mitternacht war sie auf-
geblieben, um den handhohen Krippenfiguren die Mottenlöcher in
den Kleidern zu flicken. Franz hatte dem Mohrenkönig eine neue
Wachsnase gemacht und ihn neu angestrichen. Er war oben im
Eckzimmer und stellte in Moos und Tannenreisern die Krippe auf.
Die beurlaubten Gesellen fehlten heute beim Nachtmahl; mit
vielem Vergnügen verzehrte Muhrland den Karpfen und schwelgte
in Erinnerung an ein heimatliches Gericht: Aalsuppe mit Back-
pflaumen. Dann ging man hinauf in den Oberstock. Ein Heller,
kalter Himmel leuchtete über dem offenen Holzgang, Stern an Stern
glitzerte über der hohen Giebelwand des Nachbarhauses; zitternd vor
Ungeduld harrten die Kinder neben den Eltern auf den beeisten
Dielen, bis Franz endlich die Stubentüre öffnete und sie die breite
Türstufe hinabhasteten. Im Scheine sechs roter Öllichter glänzte der


Rauschgoldstern über der Hütte, das Kindlein lag in der Krippe,
anbetend knieten die Könige, und die Färberskinder schrien: „Ach,
wie schön, ach, wie schön!"
Konradl bekam Pferd und Peitsche, die Buben neue Pelzhauben,
Franz eine rote, warme Weste und die vier Mädchen hübsche Strick-
körbchen. Für den Eheherrn hatte Nani warme Fäustlinge gestrickt,
während er ihr und der Urschel selbstgedrucktes Zeug herbeibrachte.
Bevor der große Kuchen und der singende Teetopf auf den Tisch
kamen, mußte Zilli mit ihrer sanften, Hellen Stimme das Evangelium
lesen: „In der Zeit ging ein Gebot vom Kaiser Augustus aus .. ."

(<^rüben im „Goldenen Straußen" saßen die Neißin und der Doktor
^-^vor dem reichgedeckten Tisch; den gesülzten Forellen war ein
gebackener Karpfen gefolgt. Eben setzte die Neißin den Weinpunsch
auf den Ofen und Platten mit Bäckereien und Putizzen auf den Tisch.
Sie feierte heute; die wenigen einsamen Zecher unten in der Gast-
stube konnte die Mariedel allein bedienen. Der Doktor schenkte den
öligen Ierusalemerwein in die feinen Gläser, vergaß aber zu trinken.
Trübsinnig sah er vor sich hin und drehte mit der rechten Hand Brot-
kügelchen. Voriges Jahr hatte er sein Glas an Nanettens klingen
lassen, mit seinem Lieblingsspruch: „Vivant omnss virtuos — guantas
sunt!"
„Georg, schmeckt dir etwan der Wein nicht? Soll ich vielleicht
vom anderen bringen, von dem der selige Strauß immer gesagt
hat, daß die schwarze Katz draufsitzt?"
„Nein, nein!"
„Hast ja selbsten neulich gesagt, der Traminer von unserem Wein-
garten wär' milder als der Luttenberger?"
„Laß nur, Sephi, der Wein ist schon gut, aber —"
„Na was, aber?"
Der Doktor hüstelte in die hohle Hand und nahm eine Prise.
„Ja, ja, ich weiß schon, was dein ,Aber^ bedeuten soll. An die
Nanett denkst halt wieder, und da schmeckt dir der Wein nit."
„Warum soll ich denn nicht an mein Nanetterl denken? Ist doch
so ein liebes Mädel gewesen. Und wer weiß, ob sie heut einen Karpfen
und einen Wein gehabt hat?"
„Sie soll nur mit den fremden Kindern Erdäpfel essen. Warum
hat sie auch so einen armen Menschen g'heiratet, der nit einmal
ein Weingarten hat. Der ist von Eottweißwoher, nit einmal sein
Kauderwelsch versteht man, wer weiß, ob er überhaupt ein Deut-
scher ist? ..."
„Der Muhrland ist so deutsch wie ihr Steirer; und das mußt
du doch selber zugeben, daß er von früh bis spät fleißig arbeitet,
nicht trinkt und nicht Karten spielt."
„Ja, das leugn' ich auch nit. Aber er hat auf das Geld der Nanett
spinkuliert, sonst hätt' er sie nicht g'heiratet."
„Sephi, man hat bis dato von da drüben noch keinen Kreuzer
verlangt; wie ich mein Nanetterl kenn', wird sie lieber zugrund
gehen, bevor sie von dir ein Almosen nimmt. Nicht einmal ihres
Vaters Erbteil hat sie noch begehrt."
„Sie wird wohl wissen, warum sie es bei mir sicher stehen läßt.
Ich wett', der Blaudrucker hat ihr gewiß schon zug'setzt, daß sie es
holen soll. Lang wird's nit mehr dauern, bis die zwei zu Kreuz
kriechen. Und auf den Tag wart' ich, und auf die Stund freu' ich
Mich, wie die Juden auf den Messias."
„Wenn man nur nicht umsonst wartet!"
Hochrot wurde die Neißin im Gesicht; sie holte die Punschterrine
vom Ofen. Die Gläser vollschenkend, kostete sie einen Schluck, aber
auch ihr schmeckte es nicht. „Ich weiß nit, aber die Mariedel muß
zuviel Bamarentschenschalen hineingetan haben, so viel herb ist der
Punsch."
So saßen sie; der Doktor rauchte seine Pfeife, die Neißin hing
ihren Gedanken nach. Sie wanderten hinüber zu ihrer ältesten
Tochter, die dort, die Katzen fütternd, ihr Leben vertrauerte. Was
konnte die Mutter dafür, daß einmal ein fremder Maler gekommen
war und dem Mädel sein Herz mitgenommen hatte? Freilich hätte
die Neißin ihm nie und nimmer ihre Alteste gegeben. Aber deshalb
hätte Pepi doch den Alois des Bäckers heiraten können.
Und der Anton? Ja, den Tonerl hätte sie halt strenger halten
sollen. Sie hat ihm heimlich Gulden um Gulden zugesteckt, damit
er bei seinen Kameraden den Kavalier spielen kann. Uber Trunk
und Spiel hat er dann das Arbeiten verlernt; nun strolcht er im Lande
herum und kommt nur heim, wenn er gar nichts mehr hat.
Und das Nanetterl? Warum hat sie doch den dicken Apotheker
 
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