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68

DasVuchfüvAlle

Hefts

Dunkelrot schimmert das Ziegeldach des neuen Stalles, oben im
Taubenschlag gurren die weißgefiederten Bewohner. Ein Knecht
geht in der Morgensonne ab und zu, die Pferde und Kühe versorgend.
Sechs Schweine wühlen in dem eingezäunten Pfühle. Im oberen
Hof ist das Gärtchen verschwunden, unter dem großen Holunder-
baum steht die gemauerte Werkstätte. Heute ruht dort die Arbeit,
denn es ist Ostersonntag; die Leute rüsten sich für den Kirchgang.
In der Küche steckte Frau Nani das weiße Damasttuch unr den
runden Weidenkorb. Zur drallen Magd Susel, einer Nachfolgerin
der verstorbenen Urschel, sagt sie: „Heb Sie nur fein das Tuch bei der
Osterwrihe, damit der Segen des Priesters auch recht hineinkommt!"
Susel, in weiten, kurzen Röcken, unter denen die derbgestrickten
Strümpfe und die rotgeschnürten Schuhe zu sehen waren, dachte
bei sich: „Warum soll ich denn das Tuch nicht heben? Meine Kame-
radinnen sollen sich verwundern über den schönen Schinken, die
großen, roten Eier und das lockere Weißbrot!"
Sie hob den Korb auf den Kopf und ging stolzen Schrittes, ohne
die schwere Last auch nur mit den Fingern zu halten, zur Kirche.
Die erwachsenen Mädchen kamen in Feiertagskleidern herein und
baten um ihr Frühstück: „Küß die Hand, Frau Mutter. Wir haben
oben schon alles aufgeräumt, nur das Netterl schläft noch. Wir wollen
in die Frühmesse gehen."
„Geht nur Kinder, geht! Achtet auf die Zilli, die nichts hört,
denn die Bauernburschen rasen mit ihren Pferden wie närrisch
daher, wenn sie zur Stadt kommen."
Schlank und gut gewachsen sind die Mädchen. Alle vier erbten
sie die schönen Zöpfe der Frau Rosel. Christel, die älteste, ist sehr
hübsch, und Mina gleicht ihr. Laura ist brünett und noch hübscher
als die älteren Schwestern. Die schönste aber ist Zilli.
Als Frau Nani ihre Töchter das erstemal auf den Ball führte,
hatte Zilli das Unglück, durch eine Erkältung das Gehör zu verlieren.
Untröstlich war Frau Muhrland, aber kein Arzt und kein Hausmittel
konnten dem schönen Mädchen helfen. Sprach man leise mit ihr, so
konnte sie mit großer Fertigkeit alles vom Munde ablesen.
Während draußen die Glocken zur Frühmesse läuteten, rückte
Nani den alten Sorgenstuhl in die Morgensonne und nahm aus
dem hübschen, eingelegten Schreibspind ihr Evangelienbuch. Aber
bald sanken ihre Hände hernieder, und sie streichelte den grünen Damast-
bezug der Sessellehnen. Sie dachte daran, wie gerne der Doktor
Neiß abends darin gesessen sei, um seine Pfeife zu rauchen. Gerade

zu Dreikönig war es, da hatte ihn nach einer üppigen Mahlzeit der
Schlag getroffen. „Omuos morimur", flüsterte er noch, dann gab
er seinen Geist auf. Abgesehen von den vielen Silbertalern, die
durch ihn nach und nach in das Färberhaus gewandert, war er seinem
Nanetterl stets mit Rat und Tat beigestanden; aufrichtig betrauerte
sie den väterlichen Freund.
Viel Bitteres hatte Nani seitdem durchgemacht. Vor allem das böse
Seuchenjahr, in dem die alte Gertschka und der kleine Joseph gestorben
waren. Bald hernach kam das kleine Mariechen zur Welt, das, kaum
geboren, wieder scheiden mußte; monatelang lag dann der Stiefsohn
Poldel an der zehrenden Sucht. Trotz aufopfernder Pflege der Mutter-
ruhte er nun auch draußen bei der Frau Rosel. Den bittersten Schmerz
fügte ihr aber der Tod ihres Lieblings, des kleinen Konrad!, zu, denn
der. Bub war an ihr gehangen wie ein leibliches Kind. Im sechsten
Lebensjahre erkrankte er an der häutigen Bräune. Der Regiments-
arzt versuchte an ihm eine neue Art der Operation, den Kehlkopf-
schnitt, leider vergeblich. Noch im Tode hielten seine armen kleinen
Hände Frau Nani umklammert. Wirr hingen seine goldigen Locken
über ihre Schulter herab, als man den. starr gewordenen Knaben von
ihrer Brust löste. Schmerzlich senkte noch jetzt Frau Nani das Haupt.
Aber auch sonnige Stunden durfte sie in diesen zehn Jahren
verleben. Die gute Mutter hielt Wort. Stattlich und rein stand
das Färberhaus da. In die Vorderstube im ersten Stock zog der
alte Freund der Neißin, der verabschiedete Leutnant Erasmus Sauer-
klein, ein und wurde bald allen ein lieber Hausgenosse. Nett und
sauber vom Scheitel bis zur Sohle, flickte er stets selbst seine Kleider,
und heimlich richtete er oft den Färberbuben die zerrissenen Hosen-
böden in guten Stand, um seiner von ihm verehrten Hausfrau
Verdruß zu ersparen. Er besaß den schlichten Stolz, mit seiner
geringen Militärpension allein auskommen zu wollen, und wohnte
deshalb auch nicht im Jnvalidenhause. Nur einmal im Jahr, am
22. Mai, gönnte er sich ein feines Festmahl. Da bestellte er drüben im
„Straußen" Fisch, Braten und eine Flasche Wein. Fünfzehn Kreuzer
rechnete ihm die Neißin dafür und brachte ihm als Nachtisch jedesmal
ein Stück Torte. Dann ließ sie sich von ihrem klapperdürren Freund die
Geschichte vom Helden Karl in der Schlacht von Aspern jedes Jahr neu
erzählen. An des Erzherzogs Seite war Sauerklein mit fliegender
Fahne vorwärts gestürmt, ehe ihm die Kugel eines Franzosen das Bein
zerschmetterte. Seitdem ging er steif, „als wenn er einen Ladstock
verschluckt hätte", wie die Färbermädeln spotteten. «s-or-tsetzung folgt.»

Su unteveuBtld evn


L Über die Toppen geflaggt. — Zeugwäfche an Bord eines deutschen
U-Bootes (S. 49). — Flach über Wasser und hilf- und wehrlos scheinend,
liegt gleich vorn an: Torpedobootshafen ein Tauchboot, das erst gestern abend
voir einer mehrwöchentlichen Reise zurückkam. Auf dem langgestreckten Deck
herrscht emsiges Leben, als sollte die Reise schon wieder losgehen. Sonderbar,
da scheint etwas an den Antennen nicht in Ordnung zu sein; von dem Sehrohr
werden nach vorn und achtern Strecktaue gezurrt, und ehe wir uns recht versehen,
geht an dieser Vorrichtung ein buntes Eewimpele empor. Es ist möglich, daß
man wegen der letzten erfolgreichen Fahrt über die Toppen flaggt, aber bei
näheren: Zusehen werden wir inne, daß da statt Flaggen allerhand Hemden,
Hosen und Jacken lustig im Winde flattern. — Es war die höchste Zeit, daß
man in den Hafen kam; die Wäsche, die in dem öltriefenden Boot arg mit-
genommen wurde, ging aus, und der erste Tag in der Heimat brachte für die
Bordwache als ersten Bordbefehl: „Alle Mann an Deck zum Zeugwaschen!"
-t- Km Löhnungstag in einer staatlichen Betriebsstätte (S. 51). — Der
Weltkrieg in seinen nie geahnten Ausmaßen hat riesenhafte Bedürfnisse
geschaffen. Hierher gehört in erster Linie der Munitionsbedarf, der, gemessen
an dem früherer Kriege, die ein Trommelfeuer nicht kannten, ungeheuerlich
ist. In gewaltigen: Maßstabe ist daher auch die Heimatarmee der Rüstungs-
industrie gewachsen; in der jetzigen männerlosen Zeit seht sie sich zu einem großen
Teile aus Frauen und Mädchen zusammen, die hier in Tag- und Nachtschicht
in schwerer Arbeit mithelfen, den deutschen Sieg zu erringen. Ein eindrucks-
volles Bild aus einer solchen neuzeitlichen Waffenschmiede bietet stets der
Löhnungstag, der den klingenden Lohn für harte Wochenarbeit bringt.
/X Zarin Eleonore von Bulgarien P (S. 52). — Am Nachmittag des 12. Sep-
tember erlosch im Königsschloß von Sofia nach langem schweren Leiden
das Leben der Königin Eleonore von Bulgarien. Das deutsche Volk nimmt
warmen Anteil an der Trauer des bulgarischen Volkes un: seine Landesmutter.
In: Jahre 1908 folgte die Heimgegangene, die älteste Tochter des Fürsten
Heinrich XTIX. von Reuß j. L. der Werbung König Ferdinands, um ihm
die verlorene erste Gattin, seinen Kindern die Mutter zu ersetzen und das
bulgarische Land und Volk kennen und lieben zu lerueu. Ihr grund-
gütiges Wesen und ernste Lebensauffassung hatten sich schon früh darin gezeigt,
daß die Prinzessin den schweren Samariterberuf ausüben lernte und ihn dann

im russisch-japanischen Krieg als Führerin einer Abteilung des Roten Kreuzes
in Ostasien erfolgreich betätigte. In den Kriegen, die in den darauffolgenden
Jahren dem bulgarischen Volk schwere Wunden schlugen, verwertete sie die
gesammelten Erfahrungen und organisierte die Liebestätigkeit im eigenen Land.
Es blieb der Königin nicht erspart, auch-in: Ertragen eigenen schweren Leidens
sich bewähren zu müsse::.
k- Die Bucht von Kntivari (S. 53). — Malerisch in Felsen gelagert und von
südlichem Reiz umflossen, ist die Bucht von Antivari zu einer historischen Stätte
geworden; von hier aus hat König Nikita von Montenegro sein Land verlassen,
als es nach dem serbischen Zusammenbruch durch die kühne, kraftvolle öster-
reichisch-ungarische Offensive zu Beginn des Jahres 1916 auf die Knie ge-
zwungen wurde. Seit 1878 befindet sich Antivari in montenegrinischen:
Besitz. Die Stadt selbst liegt fünf Kilometer landeinwärts; sie bildet den Aus-
gangspunkt der Schmalspurbahn Antivari—Virpazar. Entlang dieser Straße
führte der todumlauerte Rückzug der geschlagenen, hungernden montenegri-
nischen Armee, sie mit Hunderten von Kadavern umsäumend. Mit begehrlichen
Augen seit langen: von Italien betrachtet, hatte dieses Land auch den Hafen,
Neu-Antivari, in der Weise an sich gebracht, daß eine italienische Gesellschaft
Besitzrechte erwarb. Die erträumte Herrschaft über die blaue Adria hat das
wortbrüchige Italien aber doch nicht erlangt.
Vie Rümpfe an -er Jsonzofront (S. 56). — Um die Engländer in Flan-
dern zu entlasten und den Durchbruch nach Triest zu erzwingen, entfesselten
die Italiener die elfte Jsonzoschlacht. Mehr als 40 Divisionen führten sie an
der sechzig Kilometer langen Front in den Kampf. Sechstausend Kanonen
schleuderten ihre Kaliber aller Art auf die österreichisch-ungarischen Stellungen.
In den Mündungssümpfen der Sdobba donnerten schwere 28-om-Geschütze,
die die Engländer.zur Verfügung gestellt hatten, und vor Triest griffen von
der See aus die Monitors ein. Trotz des unerhörten Masseneinsatzes, trotz
Trommelfeuer, wie es noch in keiner Jsonzoschlacht getobt hatte, trotz beispiel-
los zähen Ringens in erbitterten Nahkämpfen, Anwendung von Sprengröhren,
Phosphorgranaten und giftigen Gasen erzwangen die Italiener lediglich auf
der Karsthochfläche eine unwesentliche Vorstellung bei Selo, das zur Ruine zer-
schossen ist. Das Ergebnis der Kämpfe ist ein rühmlicher Abwehrsieg für die öster-
reichisch-ungarische Armee, ein furchtbar verlustreicher Mißerfolg für die Italiener.
 
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