Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
74

DasBuchfüvAlls

Heft 4

Major, sich unter anderen nötigen Sachen auch eine gute Schwimm-
weste zu bestellen."
Der Major ging gemütlich darauf ein: „Wird sich alles finden.
Heute nur noch eine kurze Frage: Der Punkt wegen einer standes-
gemäßen Ehe läßt sich also nicht anfechten?"
In den Augen des Justizrats blitzte es. Sein Stichwort war
gefallen, auf das er lange gewartet hatte.
„Ich sagte Ihnen ja schon, anfechtbar ist von Ihnen aus gar
nichts. Im übrigen ist im zweiten vorgesehenen Fall ausdrücklich
von einer standes w ü r d i g e n Ehe die Rede."
„Das ist dasselbe," polterte der Major heraus. „Auf Wortklaube-
reien können wir uns nicht einlassen. Willst du noch etwas fragen,
Hans-Albrecht?"
Der Justizrat schwieg, aber um seine bartlosen Lippen spielte
wieder ein verdächtiges Schmunzeln.
„Eine Frage?" sagte der Neffe. „Nein, ich wüßte wahrhaftig
nichts mehr. Aber ich kann jetzt unter keinen Umständen nach Monte-
video reisen. Meine Abhandlung, auf die unsere Zeitschrift wartet..."
„Dann fahre ich allein!"
„Verzeihe, lieber Onkel Heinrich, aber das hieße ja dem Gelde
nachjagen!"
„Auf dieser Jagd befindet sich deine geliebte Tante Reppchen
schon seit annähernd acht Tagen. Und warum um die Geschichte
herumgehen? Natürlich handelt es sich um das Geld; das ist doch
der Kernpunkt. Wir kommen nicht darum herum. Wir müssen handeln,
wir beide müssen es tun, ich und du; und zwar ohne Zögern, wenn
wir nicht wollen, daß die hundertfünfzigtausend Reichsmark am
Ende noch in ein Asyl für uruguayische Katzen abwandern. Ich wenig-
stens will mir keinen Vorwurf machen, nicht alles versucht zu haben."
„Zunächst war doch nur von Auswanderern die Rede —"
„Nu, wäre das Geld in diesem Falle etwa nicht für die Katze?"
Der Major lachte nun doch selber. Den Triumph, daß der Neffe
ihm mit einer Heirat zuvorkäme, den würde seine Base Regine
Walnstein nach allem, was er jetzt von Hans-Albrecht gehört, kaum
erleben; in absehbarer Zeit ganz gewiß nicht. Einem Träumer,
dem eine langatmige Abhandlung über Weltverneinung und die
letzten Daseinsfragen höher stand, als die nur mit einer Seereise
erkaufte Anwartschaft auf eine Millionürstochter, den brauchte man
nicht als gefährlichen Mitbewerber zu fürchten. Ein ausdrücklicher
Verzicht war in diesem Falle unnötig. Der Junge wäre imstande
gewesen, ihn allein übers Meer fahren zu lassen! Ihn, der im Ernst
ja gar nicht daran dachte. Es war ja nur ein Versuch gewesen; er
wollte nur auf den Busch klopfen, um zu sehen, wie die Dinge standen.
Nein, Hans-Albrecht sah wirklich nicht danach aus, als würde er
sich der drängenden Tante Reppchen zuliebe von heute auf morgen
ins Ehejoch spannen lassen.
Hans-Albrecht saß noch immer unschlüssig da; plötzlich fragte er:
„Nun, Onkel Heinrich?"
„Was denn, mein Junge; ich verstehe noch nicht ganz?"
Hans-Albrecht zuckte die Achseln, reichte dem alten Kraußer die
Hand und sagte: „Für heute wären wir also fertig!"
„Nein, durchaus nicht, ich habe ja noch den überseeischen Brief
in meiner Mappe."
Der Major zog seinen Neffen wieder auf den Stuhl zurück:
„Natürlich! Das wichtigste vergißt du! Und wir hätten dann deinem
Gaule nachrennen können."
Hubert Kraußer setzte den Klemmer auf und trennte den Um-
schlag auseinander, langsam und bedächtig, genau, wie er es in
seiner Kanzlei mit allen Briefen machte. Dann sagte er: „Wie
wir dachten. Der Herr Vetter Eotthart verfaßte ihn selbst, es ist
seine Handschrift."
„Lesen Sie, bitte, vor und spitze die Ohren, Hans-Albrecht!"
Der Justizrat überlas die ersten Zeilen für sich, schnippte mit
dem Finger und begann laut:
„San Felipe de Montevideo, Apartado Matriz . ..
Lieber Vetter Eusebius!
Seit Deinem letzten freundlichen Briefe verging kein Tag,
an dem ich nicht mit Esther von Dir sprach. Ich besinne mich
recht gut darauf, daß ich früher die Hoffnung hegte, daß mein
Kind wieder in unser liebes Bayernland kommen möge, wenn
es da einen unserer lieben Vettern glücklich machen könnte. Jetzt
liegen die Dinge in geschäftlicher Hinsicht schon gar anders, als
zur Zeit, da ich Dir darüber schrieb, und offen gesagt wäre es
mein Herzenswunsch, es könnte einer aus Bayernland kommen
und brächte uns das Glück in unser Haus hinein."

„Nanu!" rief der Major.
„Muß chereirck heißen!" bemerkte Hans-Albrecht.
„I wo! Herein oder hinein, das kommt doch auf eins heraus.
Um Himmels willen, Justizrat, der Amerikaner verlangt doch nichi
am Ende noch, daß wir uns am Orinoko ansiedeln?"
„Scheint so," schmunzelte Hubert Kraußer.
„Und außerdem ist es nicht der Orinoko, der bekanntlich Venezuela
durchquert, sondern der Rio de la Plata," ergänzte Hans-Albrecht
weise.
„Also hören wir weiter!"
„Nun willst du", fuhr der Justizrat fort, „mit dem Testament
meiner Esther einen Liebesdienst tun und willst, daß die viel-
genannte Summe auch ihr zugute kommt, und schreibst von unseren
zwei einzigen Vettern, die ich mir nach Deiner Beschreibung recht
wohl vorstellen kann — nette Kerle, mit sehnigen Gliedern; ein
schneidiger, alter Soldat, dieser Major Heinrich, ein angehender
Gelehrter der Jüngere, dem noch ein Schopf dichten, dunkel-
blonden Haares in die Stirne hängt. Alte, gute Querische Rasse.
Beiden willst du das Legat unter der Bedingung, daß sie Esther
freien, zugänglich machen. Ich darf Dir das nicht abreden oder
abraten, zumal Du ja selber sagst, daß bei Esther die Entscheidung
liegen soll. Aber Esther soll nicht gebunden sein, zumal wir Dir
noch ein langes Leben in alter Rüstigkeit wünschen. Unterdes
mag sich vieles ändern, und wer weiß, ob unsere Vettern es
überhaupt so eilig haben, sich zur Ehe zu entschließen? An Ver-
sorgung brauchen sie doch nicht zu denken."
„Vernünftig, Wort für Wort! Zeile für Zeile!" rief der Major.
„Es ist ein wahres Unglück, daß dieser Brief vier, fünf Wochen
zu spät kam. Jedes Wort unterschreibe ich! Wie richtig war meine
Annahme, daß sich Gottharts Brief unbedingt nut dem Legat befaßt!"
Der Justizrat las weiter: „Was Esther angeht, so wird sie
sich freuen, ihre Vettern kennen zu lernen. Ein guter Bekannter
unseres Hauses, ein Mann von deutscher Abstammung, wird im
kommenden Frühjahr mit seiner Schwester eine Europareise
antreten; sie wünschen den Rhein zu besuchen, Bayreuth und
unsere Königschlösser ..."
„Behüte uns der Himmel," fiel Onkel Heinrich ein.
„... und unsere Königschlösser," wiederholte Kraußer. „Esther
entschloß sich, diese Reise mitzumachen —"
„Alle guten Geister! Das wird ja immer bunter!" platzte der
Major heraus; es war ihm gar nicht gut zumute. Unwillkürlich
hingen seine Blicke an seinem Neffen. „Ja, so sprich doch, Junge!
Hast du so etwas für möglich gehalten?"
„Ich bin ebenso überrascht wie du. Das wird eine unruhige
Zeit geben!"
„Fraglos! Und es wird vor allen Dingen die Zeit werden,
wo du dein Junggesellendasein beschließt. Tante Reppchen wird
ein Rad schlagen vor Vergnügen, wenn sie das erführt. Jetzt blüht
ihr Weizen! Jetzt ist sie Siegerin!"
„Wieso, ich kann nicht verstehen warum?"
„Beruhigen wir uns." Hubert Kraußer legte seinen Arm auf den
des Majors. „Alles sieht gefährlicher aus, als es ist; es wird sich unter
Umständen harmloser abspielen, als es aussieht."
„Alles kommt anders, als man denkt!" polterte der Major.
„Hören Sie nur noch den Nachsatz. Hier steht: das gnädige
Fräulein wird noch zuvor vou sich hören lassen und hofft, alle gesund
und guter Dinge anzutreffen. Und bei der Gelegenheit wird es
sich ja zeigen, ob Esther zu einem ihrer beiden Vettern paßt, wovon
doch letzten Endes alles abhüngt. Und besondere Freude bereitete
es mir, daß Du schriebst" — hier hob der alte Hubert Kraußer seine
Stimme —-, „daß Du für alle Fälle dafür sorgen würdest, daß auf
die Vettern kein Druck ausgeübt und daß auch ohne das Zustande-
kommen eines Ehebündnisses mit meiner Tochter keiner von beiden
zu kurz kommen werde. Das ist für mich und Esther beruhigend. —
Nun, was denken Sie jetzt, lieber Major?"
„Sie kommt, das ist mir genug. Jetzt, Hans-Albrecht, muß
ich dir dasselbe sagen, was Tante Regine mir zurief, als sie mich
davon zu überzeugen suchte, daß ich keine anderen Ansprüche mehr
ans Leben zu stellen hätte, als einen Herd zu besitzen und mich einer
Wirtschafterin zu erfreuen. Sie sagte: ,Bleibe fest!' Und dasselbe
wiederhole ich dir — immer vorausgesetzt, daß dein Herz nicht Feuer
fängt. Denn für che Vernunftehe — das präge dir wohl ein! — bist
du bestimmt noch zu jung."
„Unbesorgt, Onkel Heinrich! Wenn wirklich Gefahr drohen sollte,
werde ich es dir rechtzeitig bekennen."
 
Annotationen