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76

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Hsst 4

„Hans-Albrecht, das hat dir ein Gott eingegeben! Tue das! Über-
haupt sollten wir irn engsten Einvernehmen bleiben, solange uns das
Testament zum Narren hält. Denn nur so ist es möglich, daß nicht
ein Zankapfel daraus wird."
„Von mir aus könnte alle Welt sich vertragen."
„Was sagen Sie da?" meinte Hubert Kraußer, der sich erhoben
hatte. „Was sollte dann aus meinen schönen Prozessen werden?
Wie sagt das Sprichwort? ,Des einen Tod, des andern Brot* —"
„Sehr richtig! Ans Brot sollten Sie nicht umsonst erinnert haben.
Du bleibst doch zum Frühstück, Hans-Albrecht?"
„Ich habe doch einen East, der mich erwartet."
„Latz ihn ruhig eine halbe Stunde länger warten. Die Magen-
stärkung geht vor. Der junge Mann wird sich inzwischen mit Anne-
marie unterhalten."
„Vielleicht sogar besser als mit mir," fuhr es Hans-Albrecht
heraus; aber er bereute es sofort, denn Onkel Heinrich bekam gleich
Wind.
„So? Sieh mal an, sieh mal an! Dieser Herr Halm v. Gäu-
decker war mir gleich verdächtig. Hat da auch wieder Tante Reppchen
ihre Finger zwischen?"
Hans-Albrecht lachte gezwungen: „Aber nicht die Spur!"
„Na, dann komm man erst mal zu Tisch!" Damit schob der Major
ihm den einen und dem alten, getreuen Kraußer den anderen Arm
unter und betrat mit beiden das Frühstückszimmer, wo Jochim
Heberlein drei Gedecke aufgelegt hatte. Der alte Kraußer bekam
den Ehrenplatz und das erste Glas Burgunder, und als er sagte,
er habe ja noch gar nichts geleistet, und man sei, dank der neuerlichen
Wendung der Dinge, der Vollstreckung des Testaments nicht eben
näher gekommen, schnitt ihm der Major, das Glas anklingen lassend,
jedes Wehren der Bescheidenheit ab: „Ehre, wem Ehre gebührt.
Urlaubsdienst ist doppelter Dienst, und daß Sie uns diesen erwiesen,
rechnen wir Ihnen an."
„Oder ich Ihnen!" drohte der Justizrat.
„Macht nichts," lachte der Major, „dafür sparen wir nun die
Reisekosten über den Ozean."

ut Ding will Weile haben. Wie im Fluge waren dem Divisions-
adjutanten Horst Halm v. Gäudecker die Grinderoder Urlaubs-
tage enteilt, ohne daß er das Ziel, das er sich ungestüm gesteckt, errei-
chen konnte. Die alte Generalin Karoline Guntermann war nicht die
einzige geblieben, die sich vor die Pforte seines Glücks stellte. Am
nächsten Tag war der Pfarrer zu Tisch gekommen und nachmittags
die verwitwete Gräfin Kressendorf mit zwei heiratsfähigen Töchtern,
die es sich nicht nehmen ließen, die Grinderoder mündlich zu einem
in sechs Wochen geplanten Gartenfest einzuladen, obwohl sie drei
Stunden Wagenfahrt für diese Liebenswürdigkeit in Kauf nehmen
mußten. Anderthalbe von ihrem Gute Seekirchen her und andert-
halb zurück. Als sie an den Aufbruch dachten, hatten die Sterne
am Himmel gestanden.
Der nächste Tag schenkte eine große Überraschung, die Annemaries
Bruder aus Buchtenhagen mitbrachte, eine Überraschung, auch für
Annemarie, und den Tag darauf — der Hauptmann hatte sich
schon so gut wie in sein Los ergeben — erschien der Major aus Buchten-
hagen selbst, der sogleich jedem Blick, den Horst v. Halm mit seinem
Nichtchen wechselte, achtsam nachspürte.
Trotz aller Hindernisse nahm der Hauptmann bei der Abreise
den einen Trost mit, daß manches, was nicht über die Lippen kommen
konnte, durch Blicke gesagt worden war. Und seine Blicke waren deut-
liche Huldigungen gewesen.
„Ja, das ist nun schade, daß du so wieder wegfahren mußt,"
nahm Hans-Albrecht das Gespräch auf, als sie im Jagdwagen saßen.
„Ich meine, daß euer Urlaub immer so knapp bemessen ist."
„Du meintest etwas anderes; ich danke dir. Es klappt nicht alles
so, wie man gern möchte."
„Bestimmt nicht. Was wirst du nun tun? Du wirst dich in Mün-
chen zerstreuen?"
„Durch meine Arbeit, so gut das geht. Und vorher werde ich
in Seekirchen Besuch machen."
„Ah! Und zu Pfingsten wieder Herkommen? Also hat sich nichts
geändert!"
Halm lächelte. „Ach, du besorgtest wohl, ich hätte schon die Flinte
ins Korn geworfen? Da sieht man, wie unerfahren du in der Liebe
bist. Merke dir eins: Richtige Liebe kann wohl Hindernisse finden,
schrecken aber läßt sie sich durch nichts. Ärgerlich sind nur Hindernisse,

die eigentlich gar keine sind. Solche stellten sich mir entgegen, und
da sich bei euch jetzt alles um dich, das Legat und die Ankunft deiner
Märchenprinzsssin dreht, war meine Stunde noch nicht gekommen.
Tu mir bloß die Liebe und nimm, soviel an dir ist, den Alpdruck
von der Seele deines verehrungswürdigen Tantchens. Wenn du
sie gehört hättest, wie sie uns von ihrem Traum erzählte —"
„Ja, ihr träumte, daß meine Base Esther glücklich am Arm von
Onkel Heinrich hing und ich mit einer ,Person^ lustwandelte? Wenn
sie nur nichts Schlimmeres träumt!"
„Lieber Queri, jedenfalls nehme ich den Eindruck mit mir, daß
bei euch nicht eher Ruhe sein wird, bis sich das in mehr als einer
Beziehung wunderliche Testament eures Geschlechtsältesten Eusebius
in Wohlgefallen aufgelöst hat."
„Ja, Ruhe wäre mir allerdings recht nötig. Meine Abhandlung ..."
„Versteht sich! Und dann wird auch der Zeitpunkt kommen,
wo ich in Ruhe und Frieden vor deiner hochmögenden Tante meine
Sache führen kann. Ich hoffe, deiner Unterstützung sicher zu sein."
„Ganz gewiß."
„Und du kanust dafür auf mich zählen, wenn du mich einmal
brauchen solltest. Kein Mensch weiß, ob du nicht eines Tages in eine
ähnliche Lage kommst, und es gibt immer Dinge ..."
„Wovon die Schulweisheit ..."
„Nein — ich meine jetzt, wo man sich am besten mit einem Freund
ausspricht. Manchmal klopft das Glück nur ganz zart an die Tür,
und die Reue ist lebenslänglich. Und dann — das nimm mir, bitte,
nicht übel — gehörst du zu denen, die am Glück vorbeitappen, wenn
nicht ein guter Freund acht gibt."
„Sag mal, Halm, du spielst doch nicht auf die beiden Kom-
tessen an?"
„Auf die Seekirchener Mädchen? Ja, die haben dich freilich
bös angeschmachtet, ohne daß du mit der Wimper zucktest. Aber
beruhige dich. Was ich sagte, gilt nur ganz allgemein. Kommt
Zeit, kommt Rat, und wenn er nicht ungebeten kommt, steht er dir
gern zu Diensten."
„Ich werde mich deiner Worte gewiß erinnern."
„Wenn wir nicht selbst bestimmen, werden wir bestimmt."
Sie waren am Ziel. Hans-Albrecht warf dem halbwüchsigen
Stallburschen die Leinen zu. Er war auf die Minute genau gefahren;
es blieb gerade noch Zeit zum Lösen der Fahrkarte. Mit Hellen
Lichtern kam die Lokomotive.
„Also zu Pfingsten!"
„Du wirst sie bestimmt grüßen?"
Noch ein Händedruck, ein Winken, und Hans-Albrecht ging nach
dem Wagen, um heimzufahren. „Wenn wir nicht selbst bestimmen,
werden wir bestimmt," wiederholte er für sich. An das erstere dachte
er dabei nicht, aber daß Tante Regine jetzt mancherlei bestimmen
würde, was ihn um seine Ruhe bringen müßte, das stand zu be-
fürchten. Die Nachricht, daß Esther nach Deutschland kommen wollte,
hatte tiefen Eindruck auf sie gemacht. Ihr erster Gedanke war,
Haus Grinderode würdig für den Empfang des Goldfisches instand
zu setzen. Onkel Heinrich war Ohrenzeuge ihrer ersten ausschwei-
fenden Umgestaltungspläne, mit denen sich ihr ewig reger Geist
beschäftigte.
Hans-Albrecht sollte sich nicht getäuscht haben. Kaum zu Hause
angelangt, stieß er vor dem Stall mit Tante Regine zusammen,
die zu ungewöhnlicher Stunde die Futterkästen einer strengen Prüfung
unterzog.
„Gottlob, daß wir wieder unter uns sind!" sagte sie. „Gib es
nur ruhig zu: auch dir war der Trubel etwas zu viel. Das laute
Lachen Onkel Heinrichs muß jedem auf die Nerven fallen. Dein
Hauptmann schien sich auch in den ersten drei Stunden, wie man
sagt, mit ihn: ausgesprochen zu haben. Jedenfalls soll uns nun
niemand unsere Vorbereitungen stören. Esther soll hier ein Schmuck-
kästchen vorfinden."
„Es ist aber doch alles wunderschön .. ."
Tante Reppchen meinte, man könnte nie zu viel tun. Von dieser
Stunde an wachte sie mit Gedanken an Esther auf, mit denen sie
abends zuvor einschlief. Onkel Heinrich hatte ihr für kurze Zeit
den Brief aus Montevideo überlassen; sie kannte ihn Satz für Satz
auswendig.
Als Hans-Albrecht ihr das Fräulein Neureuther für die zu be-
setzende Lehrerinnenstellung vorschlug, kam sie ihm auf halbem Weg
entgegen. Die Zeugnisse waren ja ganz außerordentlich gut, und das
Gesuch des Postmeisters Joseph Melber wurde abschlägig beschieden.
Tante Regine übernahm es, ihm telephonische Mitteilung zu machen,
 
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