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DasBuchfürAtlü

Heft 4


Die Wetterzeichen der Erhebung wurden in Deutschland noch nicht überall
bis in-die Tiefen der Völker begriffen, aber die Massen blickten doch mit Staunen
und Bewunderung nach Tirol und Vorarlberg, wo sich ein kleines Land helden-
haft zuerst für Österreich erhob. Und es erhob sich mit demselben Rechte, mit
dem vier Jahre später, nach seinem Beispiel, ganz Deutschland gegen seinen
Zwingherrn und Frankreich aufstand, um die Last und Schmach fremder Unter-
drückung und Eroberungssucht niederzuschmettern. Zum zweitenmal seit der
spanischen „Rebellion" lernte der Korse die gewaltige Macht des Volkswillens
kennen, und in Norddeutschland feierte man Andreas Hofer, Joseph Speck-
bacher und ihre todesmutigen Genossen als deutsche Nationalhelden.
Als einziger Sohn des Joseph Hofer, Wirtes zur Krone am Sand in Passeier,
wurde am 22. November 1767 Andreas Hofer geboren und stand im kräftigsten
Mannesalter, als er sich durch das unbegrenzte Vertrauen seiner Landsleute 1809
an die Spitze der Landesverteidigung und Verwaltung gestellt sah. Schon von
1796 bis 1805 war er gegen alle Feinde Österreichs zu Feld gezogen, meistens
von den Schützen des Passeiertals zum Hauptmann erwählt. Keine unechte
Triebfeder bewegte den biederen, redlichen Mann; ihn leitete weder Ehrgeiz
noch Habsucht, weder Stolz noch Leidenschaft. Er stellte sich an die Spitze der
Landeserhebung für den Glauben seiner Väter, das teure Vaterland und das
angestammte Haus Österreich wider dessen Feinde und die Geißel Europas —
Napoleon. So lange er das Oberkom¬
mando in Tirol führte, herrschte allgemein
und überall im Lande Ruhe, Ordnung
und Sicherheit. Als Stellvertreter des
Kaisers bezog er in der Hofburg zu Inns¬
bruck mit seinem Adjutanten und Vertrauten
die bescheidensten Gemächer. Der einfache
Mann gab für seine tägliche Nahrung wäh-
rend dieser Zeit seiner Regierung nicht
mehr als fünfundvierzig Kreuzer aus. Er
redete mit den Bauern die vertraute Landes¬
sprache und fand zuzeiten den treffendsten,
derben und überzeugend wirkenden Ausdruck.
In einem seiner Aufrufe stehen die Worte:
„Mehr als gestorben kann nicht sein, und an¬
deres steht nimmer bevor. Lieber dem Feind
sich wehren und sterben, als mit allem Hab
und Gut ein Opfer seiner wilden Wut
werden." ... „Wohlan denn, Brüder und
Nachbarn, stehet auf, ergreifet die Waffen
wider den allgemeinen Feind HimmelZ
und der Erde. Keiner bleibe weg. Das
einzige und letzte Los von uns allen sei:
Für Gott und den Kaiser Franz siegen oder
sterben." Die Bewohner Kärntens forderte
er auf: „... sich lieber unter der Haus¬
schwelle begraben, als für den unersättlichen
Feind der deutschen Nation auf die Schlacht¬
bank führen zu lassen. Dieses haben leider
so viele deutsche Völker empfunden, welche
gleich Schafherden von den feindlichen Gene¬
ralen mit dem Säbel in der Faust ange¬
trieben, ihr Blut auf fremdem Boden ver-
spritzen mußten. ... Kärntner, Österreichs
Untertanen, euch drohet das nämliche traurige
Schicksal, wenn ihr eure Streitkräfte nicht
anwendet." ... „Gott wird zwischen dem
niederträchtigen Feind und uns Richter sein."
In beispielloser Verschwiegenheit wurden die Vorbereitungen getroffen, und
fast gleichzeitig, lawinenhaft anwachsend brachen die Tiroler Schützen, vor allem
die kühnen Männer der entlegenen Täler und hohen Gelände, los und rissen
alles mit sich. In wenigen Tagen hatten die Bauern 2 Generale, 17 Stabs-
und 113 Oberoffiziere samt 5900 Mann gefangen genommen. Mit Recht ver-
glich man die Erfolge der Tiroler Bauern mit den Siegen der Spanier gegen
Dupont in der Sierra Morena. Das alles war um die Mitte des Monats
April geschehen. Die Tiroler besetzten Innsbruck, schlugen zwei feindliche Heere
zurück, kämpften am 29. Mai glorreich am Berg Jsel, legten trotz des Waffen-
stillstandes von Znaim die Waffen nicht nieder und jagten den „ruhmgekrönten
Marschall und Herzog von Danzig, Lefebvre, mit seinen 40 000 Mann nach
Innsbruck und nach einem glücklichen Angriff von da nach Salzburg zurück.
Der Marschall fluchte wie ein Rasender über Tirol; selbst in Spanien habe
er nichts ähnliches an Unerschrockenheit gefunden. Jung und alt, Frauen
und Kinder verteidigten die heimische Scholle; aus den Schluchten stürzten
sie aufgeschichtete Felsmassen ab und vernichteten ganze Abteilungen. Da-
mals spotteten die Bauern über den französischen Marschall: Er werde
noch verlangen, daß inan Steine und Felsen als verbotene Waffen abliefern
müsse.
Durch den unglücklichen Wiener Frieden wurde den Tirolern befohlen, die
Waffen niederzulegen; sie sollten Verzeihung bei Napoleon finden, wenn sie
sich unterwerfen würden. Unter dem Vizekönig Eugen ließ der Korse
50 000 Mann gegen Tirol anrücken. In der allgemeinen Entmutigung ent-
flohen die Führer, und während sein Vaterland aufs neue erobert wurde, ver-
barg sich Andreas Hofer mit feinem treuen Schreiber Sweth in der Pfandler

Mahderhütte, wohin ihm nach vier Wochen seine Frau mit dem vierzehnjährigen
Sohne Hofers folgte. Die Franzosen setzten fünfzehnhundert Gulden auf seinen
Kopf, und Franz Raffl aus Schenna, ein verlotterter Bauer, wurde für das Blut-
geld zum Verräter an Hofer. Zuerst banden die Soldaten den Schreiber und
den Sohn und warfen sie halb angekleidet in den Schnee. Hofer hörte sie
jammern, trat aus der Hütte und sprach mit fester Stimme: „Wer spricht
Deutsch?" Der Anführer drängte sich vor, und Hofer sagte zu ihm: „Ich bin
Andreas Hofer. Mit mir tun Sie, was Sie wollen; ich bin schuldig. Für
mein Weib und mein Kind und den jungen Menschen bitte ich um Gnade, denn
sie sind wahrhaft unschuldig."
Die Franzosen benahmen sich gemeiner als Henkersknechte; sie banden
Hofer die Hände auf den Rücken und legten ihm einen Strick um den Hals wie
einem Stück Vieh. Einer nach dem anderen rissen sie ihm mit Gewalt ganze
Haarsträhnen aus dem Bart, daß von allen Seiten Blut floß und der ganze Bart
ein blutiger Eiszapfen wurde. Den Knaben Hofers und den Schreiber führten
sie mit bloßen Füßen über Schnee und Eis. Wund und mit erfrorenen Füßen
kamen die beiden mit Hofer am 28. Januar 1810 in Bozen an; ein Arzt mußte
sich dort der Mißhandelten annehmen.
Hofer wurde nach Mantua geführt. Nach dein Urteil soll sich für den Tod
keine Einhelligkeit der Stimmen, ja selbst keine entschiedene Mehrheit ergeben
haben. Von Mailand aus wurde
der Tod und die Vollstreckung
binnen vierundzwanzig Stun-
den befohlen. »Napoleon wollte den
Tod des Tiroler Freiheitskämpfers. Gene-
ral Bisson suchte Hofer zum Übertritt in
französische Dienste zu bewegen und erhielt
die schlichte Antwort: „Ich war, bin und
bleibe meinem Haus Österreich und Kaiser
Franz treu." Das von Napoleon einge-
setzte „Kriegsgericht" handelte rasch; Hofer
verzichtete auf einen Sachwalter. Man zog
am letzten Tage den jungen jüdischen Advo-
katen Basevi bei, der keine Zeit mehr fand,
die Akten zu prüfen; bei seiner knappen
Verteidigung gebot ihm der Vorsitzende,
sich noch kürzer zu fassen. Nach Basevis
Worten war es von vornherein auf Ver-
urteilung abgesehen. Man wollte Öster-
reichs Vermittlung zuvorkommen; Napo-
leon, der Beil und Galgen als liberale
Mittel empfahl, wünschte den kaum ver-
schleierten Mord, und Marschall Berthier
mußte am Hofe in Wien heuchlerisch er-
klären, daß der Korse das Urteil nie ge-
billigt haben würde, wenn er etwas davon
erfahren hätte.
Den letzten Brief, den Hofer seiner Frau
schrieb, schloß er mit den Worten: „Ade mein
schnöde Welt, so leicht kommt mir das Sterben
vor, daß mir nit die Augen naß werden.
Geschrieben um fünf Uhr in der Früh und
um neun Uhr verreis ich mit der Hilfe aller
Heiligen zu Gott."
Am 20. Januar gegen elf Uhr vormit-
tags erklangen die Trommeln; Offiziere
führten den Verurteilten, der in helden-
mütiger Fassung, ein blumengeschmücktes
Kruzif'X in der Hand, vom Beichtvater begleitet, voranschritt. Abschied ließ
man ihn von seinen geliebten Landsleuten, die dort gefangen lagen, nicht
nehmen; als er an ihren Kerkertüren vorbeischritt, lagen sie alle auf den
Knien, beteten und weinten laut. .Man reichte ihm ein Tuch, um sich die Augen
zu verbinden und hieß ihn niederknien; er wehrte das Tuch ab und sagte: „Ich
stehe vor dem, der mich erschaffen, und stehend will ich ihm meinen Geist zurück-
geben." Sein letztes laut gesprochenes Wort galt seinem Kaiser Franz. Mit
emporgehobenen Händen betete er noch einige Minuten, winkte den Grena-
dieren, die ihn von drei Seiten umstanden und kommandierte selbst mit fester,
lauter Stimme: „Gebt Feuer."
In Julius Mosens schönem Hoferlied lauten die letzten Worte: „Gebt
Feuer! ach, wie schießt ihr schlecht! Ade mein Land Tirol."
Die Soldaten trafen schlecht; nach den ersten sechs Schüssen sank der Held
in die Knie und stützte sich noch mit einer Hand. Nach sechs weiteren Schüssen
machte er noch eine Bewegung, sich aufzurichten. Ein Korporal setzte ihm die
Mündung seines Gewehrs vor den Kopf; erst der dreizehnte Schuß machte
dem irdischen Leben des edelsten Mannes ein Ende. Hofers Beichtvater, ein
Italiener, schrieb: „Ich bewunderte voll Trost und Erbauung einen Mann,
der als ein christlicher Held zum Tode ging und ihn als ein unerschrockener Mär-
tyrer erlitt."
Sweth, der Schreiber Andreas Hofers, sagt in seiner Lebensgeschichte: „So-
lange Herzensgüte, Frömmigkeit, Untertanentreue, Vaterlandsliebe, uneigen-
nütziges Handeln und heldenmütiges Dulden ihre Geltung unter den Menschen
nicht verlieren, wird der Name Andreas Hofer mit Bewunderung und Liebe
genannt werden."

Ein Abschied in Tirol 1809. Von Egger-Lienz.
 
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