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Heft 4

DasBurhsüvAtl«

89

ein Gewand vom seligen Doktor richten lassen. Der Jud Herschel
hat mir wieder eine Menge Sachen abgekauft, damit ich dem Anton
hab' Geld geben können. Die Herren vom Stammtisch sagen zwar
jedesmal, daß es schad ist, wenn ich dem Doktor seine Altertümer um
so ein Spottgeld hergeb'. Aber was soll ich denn machen? Sollt' ich
vielleicht auf den -Goldenen Straußen" eine Hypotheken aufnehmen?
Nein, dazu ist die Neißin zu stolz; dir und der Josephin will ich auf
keinen Fall das Erbteil schmälern. Weißt Nanett, da ist mir heut
nacht ein Gedanken aufg'stiegen. Wie wär's, wenn ich dir schon bei
Lebzeiten alles übergeben möcht? Mein Schwiegersohn ist ja so ein
braver, grundehrlicher Mann, der tat mich in mein Altenteil gewiß
nit verkürzen, und ihr könntet im Straußen drüben gut wirtschaften.
Freilich, das Färberhaus müßtet ihr verkaufen."
Meister Muhrland kam herein, er hörte die letzten Worte der
Neißin.
„Gud'n Tag, Madam Swiger; wat soll denn verkost werden?"
„Grüß Gott, Herr Schwiegersohn! Ich sag' arad der Nanett, daß
ich Ihnen den,Goldenen Straußen" übergeben möcht, damit ich mich
zur Ruh setzen kann."
„Wat soll denn ick macken mit dem ollen Straußen?"
„Was ich gemacht hab': Wohlhabend darauf werden."
»Je ja, je ja, wohlhabend? Dat kann ick hier ock werden."
„Nein, so ohne Müh wie da drüben nit. Der Strauß ist eine
Goldgruben, dort brauchen Sie nur den Herrn spielen und nit ar-
beiten bis in die Nacht hinein."
„Madam Swiger, als ick in de Fremd ging, da hadd min Vadder
selig mich gesackt: Verlaß dein Handwerk nich um äußerer Vorteile
willen. Es hadd uns ümmer dat Brot gegewen, wenn es ock mank-
mal een büschen trocken war. Von Ihrem Geschäft versteh' ick nicks.
Glaubt dat mir."
„Aber Herr Schwiegersohn, das versteht doch die Nanett, und
unser Herrgott wird mir vielleicht auch noch ein paar Jahrln schenken,
da kann ich Ihnen zeigen, wie man alles macht."
„Nee, nee!"
„Geben S' nur Obacht, daß Ihnen nit einmal die Kinder Vor-
würfe machen, daß Sie die schöne Gelegenheit, zu Geld und Gut zu
kommen, verpaßt haben."
„Dat sollen se man, ick lat mir nich so schnell us de Fassung bringen."
Frau Nani mahnte: „Mer lieber Franz, vielleicht solltest du doch
darüber erst einmal schlafen?"
„Nee, beslafen brauk ick dat nich. Ick kann nich dat Anhängsel von
zwei Frugenslüd sin!"
„Was könnt' er nicht sein, kein Anhängsel an Frauensleut," sagte
die Neißin. „So ein Eigensinn ist mir doch im Leben noch nit vor-
kommen! Jetzt frag' ich Sie zum letztenmal, wollen Sie oder wollen
Sie nicht?"
„Nee, ick wull nich."
„Na, Sie sind ein bockbeiniges Mannsbild!"
„Adjüs ock, Madam Swiger!"
Der Meister erhob sich, um einen Geschäftsgang zu machen. Vor
der Türe draußen ballte er die Hand und sagte leise: „Swigermudder
— es is dock des Deuwels Unnerfudder!"
Dann saß man um den Kaffeetisch; Laura reichte der Neißin den
Kuchen. Sie nahm davon und befühlte mit der anderen Hand den
Stoff von des Mädchens Kleid.
„Schau, schau, der ist aber fein! Warum habt's denn so schöne
Kleider an?"
„Aber Frau Mahm, am Sonntag können wir doch nicht in unseren
Blaudruckkleideln gehen?"
„Ja ja, so ein Madel will allerweil geputzt sein. Aber über den
untersteirischen Blaudruck lass' ich nichts kommen. Meine Großmutter
hat mit einem blauen Leinwandkittel angefangen, und wie sie ge-
storben ist, hat sie acht Seidenkleider, jedes zehn Ellen weit, hinter-
lassen. Und das war ein Taffet! Ja, ja —- jetzt sind halt andere
Zeiten, immer schlechter werden die Leut! Da hat mir gestern die
Frau Bürgermeisterin erzählt, daß es in Wien eine Köchin geben soll,
die am Sonntag einen Hut aufsetzt. Jetzt denkt's nur — einen Hut!"
Die Neißin sah auf die Christel.
„Du hast ja schon wieder keine Strickerei?"
„Ach, entschuldigen S' Frau Mahm! Aber ich hab' mich beim
Schinkenschneiden in den Finger g'schnitten," log die Christel.
„So, so! Wann i auf den Tanzbod'n geh, tut mir mein Fuß nit
weh, — aber mein Fuß, wann i arbeit'n muß," sang die Neißin, mit
einem Blick auf die Christel.
„Großmutter, bitte, erzähl uns eine Geschichte!" bat Netterl.

„O du kleines Herzerl, die Großmutter ist alt, die hat schon alles
vergessen. Mer wart, gestern hab' ich mich auf etwas besonnen, was
meine Urahnel erzählt hat."
Die Neißin begann: „Meine Urahne ist noch ein kleines Mädel ge-
wesen, da hat sich in unserer Stadt folgende Geschichte begeben. Das
schöne Haus da drüben beim Allerheiligengässel war immer schon ein
Apothekerhaus gewesen. Damals hat der Inhaber Adventius ge-
heißen. . Der Magister Adventius hat das einzige Töchter! aus dem
reichen Kaufherrngeschlecht der Gufante heiraten wollen, aber ihre
Eltern wollten diese Heirat nicht zugeben. Schließlich mußten sie
das Paar aber doch zusammentun, denn es hatte sich gar zu lieb.
Aber im ersten Ehejahre starb die junge Frau Jlsebeth, und des Jam-
mers war kein End. — Der Magister ließ sie auf ein Schaubett von
seidenen Rosen und Lilien legen. Er selber kleidete sie in ihr kost-
bares Hochzeitskleid, legte ihr Perlen und Geschmeide um und steckte
an ihre weiße Hand einen glitzernden Smaragdenring. Nicht trennen
wollte er sich von der toten Frau. Aber es kam doch die schwere
Stunde, wo man den Sarg vernageln mußte und man das schöne
Menschenkind eingrub drüben im Kirchhof. Der lag dazumal neben
dem hohen Stadtturm von einer hohen Mauer eingeschlossen. Der
Totengräber war ein unheimlicher Mensch; der rote Leuthold hieß
er in der Stadt. Man sagte, er sei ein Schatzgräber, denn er lebte
manchmal in Saus und Braus. Fragte man, woher er das Geld
brächte, dann sagte er lachend: ,Wer um Mitternacht einer Jungfer
Fingerlein anzünden kann, der find't gar viel, was sonst in der Erde
verborgen ist." Hat aber keiner gewagt aus Menschenknöchelchen Fett
zu sieden, denn das meinte wohl der unheimliche Mann. — Frau
Jlsebeths Amme, die alte Eertrudis, ließ der Schmerz um ihre tote
Herrin nit schlafen. Sie lehnte das Haupt an die Fensterbank, wo
die Verstorbene so gerne im Erkerlein gesessen. Sie hörte auf den
tobenden Sturm, sah die finsteren Wolken um den Hellen Mond und
seufzte: ,Ach, nun schläft sie die erste Nacht in ihrem kalten Bett!"
Gerade schlug es Mitternacht, da hörte sie ein feines Stimmlein
durch das Toben des Windes: ,Gertrudis, macht auf, macht auf!"
Die Alte schob den Fensterriegel zurück. Mit einem lauten Schrei
warf sie das Fenster wieder zu: Mle guten Geister loben Gott den
Herrn!" Da draußen stand die schöne Frau Jlsebeth im weißen
Kleide. Zitternd kroch die Alte in ihr Bett und zog die Decke über
die Ohren, daß sie das feine Stimmlein nimmer hörte, das bitterlich
klagte: ,O wie kalt ist die Nacht, weh mir, ich erfriere!"
Als der Magister Adventius des Morgens das Tor öffnete, da lag
auf den Steinstufen unter dem Erkerlein die schöne Frau Jlsebeth —
tot und erfroren. — Der rote Leuthold hatte sie des Nachts berauben
wollen und den Sarg erbrochen. Sie aber ist nur scheintot gewesen^
und aufgestanden. Da hat den Leichenräuber vor Entsetzen der Schlag
gerührt. Man fand ihn neben dem offenen Grab. Sein Leichnam
wurde draußen auf dem Schindanger gerädert und gevierteilt. Ist
dem Bösewicht nur allzu recht geschehen."
Still schwiegen die Mädchen, tief hielt Netterl den Kopf in der
Großmutter Schoß verborgen. Es weinte um die schöne, tote Frau.
— Lachend schob die Neißin das Enkelkind zurück: „Aber Herzerl, was
weinst denn? Schau, das ist ja schon so lange her, und wer weiß, ob's
wahr ist? Nun heißt's aber heimgehen; die Herren werden sich bald
zum Abendschoppen einfinden. Madeln, wollt ihr abends nicht her-
überkommen, auf ein Schaler! Tee? Ich will auch den Herrn Leut-
nant Sauerklein und den Kaufmann Höllriegel einladen."
Die Christel lachte verächtlich: „O jeh! Die beiden zählen ja mit-
einander über hundert Jahr?"
„Merkt's euch, Madeln, zum Heiraten ist ein Mann nie zu alt. So
lang er noch über einen Schwefelfaden steigen kann, der auf der Fuß-
dielen liegt, so lang hält ihn noch die Venussin beim Frackschößel. Ich
werd' mir doch nit so ein junges Geflügelwerk einladen, wie ihr seid?
Nein, die Neißin hält auf erprobte, alte Freundschaft. So! und nun
behüt euch Gott, Kinder; kommt nur bald, seid alle herzlichst will-
kommen!"

ieses Mal standen der Engel des Lebens und des Todes beisammen
in der Herrengasse des Städtchens. Der eine wandte sich in das
Färberhaus, um drüben ein Mädchen zu bringen; der andere schritt
rechts auf das goldene Straußenbild zu und wollte dessen Herrin mit-
nehmen. Schon vor Wochen hatte er seine Vorboten gesandt. Die
sonst so bewegliche Neißin mußte liegen.
Endlich konnte Nani ihr knapp bemessenes Wochenbett verlassen.
Sie brachte ihr kleines Kindlein mit herüber, daß die Mutter es
segne.
 
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