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DasBuchskwAtis

101

„Also endlich lernt man sich kennen!" Tante Reppchen versüßte
ihren schnellen, kurzen Händedruck durch ihr gewinnendstes Lächeln.
„Meinen Neffen kennen Sie bereits. Dies ist unsere Annemarie."
Sie nahm Platz. Das Freifräulein versicherte, daß es eigentlich
wie bei einer alten, lieben Bekannten sitze, denn seit Jahren habe
sie ja schon so unendlich viel von der treusorgenden Helferin ihres
Vetters gehört; sie habe sich längst ein genaues Bild von ihr machen
können und müsse nur sagen, daß das Zug um Zug bestätigt werde.
„Ihre Geschicklichkeit, verehrtes Fräulein Kölsch, begegnet einem
hier auf Schritt und Tritt. Das war mein erster Eindruck, den ich
meinem Vetter mitteilte."
Bescheiden wehrte Ursula Kölsch ab. Sie kenne nur die beson-
deren Eigenheiten des Herrn Majors, das sei ihr ganzes Verdienst.
Ja, das wolle sie meinen,
nickte Tante Reppchen. Und nie¬
mand wisse das mehr zu würdi¬
gen als ihr Vetter. Sich richtig
gegenseitig auskennen, das sei die
Quelle jedes häuslichen Glücks.
Der Major räusperte sich;
aus Harmlosigkeiten konnte leicht
ein zu ernster Ton werden, und
er bemühte sich, das Gespräch
abzulenken. Annemarie kam ihm
zu Hilfe. Ob er den Hannove¬
raner ihres Bruders geritten
habe, wollte sie wissen. Nein,
er habe noch nicht Zeit gefunden.
Tante Reppchen bewunderte die
schönen Blumen auf dem Tisch,
während Fräulein Kölsch den
Teekessel richtete. Das seien kost¬
bare Amaryllis, soviel sie wisse;
sie hätten in Grinderode im
Treibhaus welche, aber die blüh¬
ten noch nicht, wie sie heute erst
festgestellt habe.
Der Major wechselte einen
schnellen Blick mit Ursel Kölsch.
Da hatte alsoHans-Albrechtrichtig
alle bis zur letzten abgeschnitten.
„Weißt du übrigens," fragte
Tante Reppchen ihren Vetter,
„daß diese Amaryllis aus Süd¬
amerika stammen?"
Onkel Heinrich bedauerte, er
habe in Botanik stets „unge¬
nügend" gehabt. Aber genau
kenne er Enzian, Korn und
Doppelkümmel.
Lachend sagte Annemarie, er
solle dann nur auch nicht den
Kognak mit drei Sternen ver¬
gessen. Aber Tante Reppchen
schalt sie. Sie meinte: „Unter
solchen entzückenden Gewächsen Vizeadmiral
ist das Kind Esther aufgewachsen.
Sie wissen sicherlich schon, liebes Fräulein Kölsch, daß wir die Kleine
aus Uruguay bei uns erwarten?"
„Davon sprach der junge Herr Baron. Sie freuen sich gewiß
sehr auf den Besuch?"
„Das kann ich nicht anders sagen. Etwas Alltägliches ist es ja
nun wohl auch nicht." Tante Reppchen warf ihrem Vetter einen
fragenden Blick zu, ob er wohl seiner Kölsch gar nichts von der Be-
deutung des Estherschen Besuches gesagt hatte? Das schien in der
Tat nicht der Fall zu sein.
„Uber das, was kommt, soll man sich nicht vorzeitig den Kopf
zerbrechen," sagte der Major und warf zwei große Stücke Zucker
in seinen Tee.
Obwohl die Antwort Tante Reppchen etwas zweideutig schien,
nickte sie. „Da hast du wieder recht, Heinrich. Man zerbricht sich nicht
über Dinge den Kopf, die einen in einmal gefaßten Entschlüssen
nicht mehr zu stören vermögen."
„Und vor allen Dingen ist Esther noch nicht da," erwiderte der
Major. Eine Bemerkung, die Tante Reppchen lieber nicht gehört
V. 1918.

hätte, denn nun wußte sie ebensowenig wie vorher. Es war doch
schrecklich, mit einem Menschen zu tun zu haben, der nicht Farbe
bekennen wollte. Warum denn nur so geheimnisvoll, wo er doch dem
Glück gegenübersaß, seinem Glück, und nur den Mund aufzumachen
brauchte?
Aber er machte ihn nur auf, um von dem Tee zu nippen.
„Das Rezept müssen Sie mir geben," wandte sich Tante Regine
an Ursula. „Tee ist Tee, aber der Ihre ist wundervoll. Wirklich,
mein Vetter ist zu beneiden. Was ich sagen wollte — wir sehen
uns doch nun hoffentlich öfter, meine Liebe? Sie müssen sich von
nun an zur Familie rechnen."
Vor so viel Güte errötete Fräulein Ursula. Welch anderes Bild
hatte sie sich von dem alten Freifräulein gemacht. Das war ja be-
schämend, wie sie mit Liebens-
würdigkeit überschüttet wurde.
Beschämend und überraschend.
Aber noch überraschender war,
wie wenig der Major sich aus
dieser Liebenswürdigkeit machte.
Er zog ein Gesicht, wie er es
sonst nur bei grimmiger Laune
heraussteckte, und trommelte mit
den Fingern auf dem Tischtuch.
Was hatte er denn nur?
Annemarie zerstreute ihm sicht-
lich den Arger und plauderte mit
ihm vom Reiten.
„Weißt du, Onkel, ich will dir ja
nicht abraten, wenn du das Pferd
kaufen willst, aber wie du neulich
draufsaßest, mußte ich denken,
daß du es doch nicht ganz deckst."
„Aber was soll denn nicht stim-
men, daß es kein Bild gibt? Der
Hannoveraner ist dick, und ich
stehe auch nicht schlecht im Futter.
Gleich und gleich deckt sich nach
Adam Riese."
„Ich hatte das Gefühl, daß das
Tier unter dir nicht gut aussah.
Du brauchst ein höheres Pferd,
Onkel Heinrich. Auf einem Pferd,
das nicht ganz zu ihm paßt, kann
der schönste Reiter —"
„Na, sei so gut! , Schönste Rei-
ters Willst du dich schon wieder
über deinen Patenonkel lustig
machen? Und außerdem habe ich
dar Pferd noch nicht gekauft."
„Siehst du! Jetzt kommt die
Eitelkeit!"
„Krabbe!"
„Eitel muß ein Mann in dei-
nen Jahren sein. Gerade du!"
Und leiser fügte sie hinzu: „Du
willst dir doch keinen Korb holen,
wenn du auf Freiersfüßen gehst —"
„Na, bittschön! Und was verstehst du denn davon!" Er sah
sein lachendes Nichtchen doch von der Seite an. Hatte er nicht ganz
ähnlich so schon zu sich selber gesprochen? Und wen meinte denn
das Kind? Ursel Kölsch oder die Base aus Montevideo? „Und außer-
dem habe ich den Schinder noch gar nicht gekauft. Dein Bruder
wird dir sehr dankbar sein, daß du seinen Käufern so freundlich
in den Arm fällst."
„Aber wenn man dabei ganz selbstlos ist!" lachte sie.
„Jawohl! Auf anderer Leute Kosten!"
Annemarie lächelte. Sie wußte, was sie wollte. Tante Regine
meinte, daß der alte Heberlein immer klappriger werde» aber sie fand
bei Onkel Heinrich kein Ohr dafür. Sie erwiderte, sie meine es doch
nur gut, und jetzt, wo eine junge Hausfrau im Schlosse schalte ...
„Gib dir keine Mühe," sagte der Major abwehrend. „Die letzten
Anordnungen von Onkel Eusebius halte ich in Ehren. Diese, wie
andere!"
Da erhob sich Tante Regine; ihr Gesicht sah merkwürdig spitz
aus, als sie erwiderte, diesmal könne sie leider nicht länger bleiben,


Phot. Urbahns, Kiel.
Erhard Schmidt.
 
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