Hefts
DasVurhfüvAlle
111
„Um Himmels willen nur nit die Nanett! Vor der hab' ich einen
heillosen Respekt. Wenn s' einem so anschaut mit ihre stillen Augen,
da könnt man rein aus der Haut fahrn."
Etwas schwankend stieg Anton die Stufen hinan. Laura schritt
hinter ihm und murmelte: „Na, im Zeichen des Wassermanns ist der
Vetter nicht geboren."
Seitdem war Anton wie verwandelt. Abends war er oft nicht zu
finden. Einmal schlich er des Morgens angetrunken durch die Hof-
türe herein. Der Meister hielt dem „Lüderjahn" eine Standrede,
Frau Nani weinte, und der Vetter sah zerknirscht zu Boden. Als die
Schwester bald darauf des Bruders Kleiderkasten öffnete, gähnte ihr
eine trostlose Leere entgegen. Alles war nach und nach zum Trödler
Weingarten auf siebentausend. Ich würde Ihnen, hochschätzbarstes
Fräulein, alles verschreiben im Falle meines vorzeitigen Ablebens.
Einer wohlgeneigten Antwort entgegensetzend, bin ich in Ergebenheit
und Hochachtung
Ihr Adalbert Höllriegel, bürgerlicher Handelsmann."
Christel ließ den Brief sinken und begann nachzusinnen. Höll-
riegel hatte schon einmal durch die selige Frau Mahm um sie geworben.
Er hatte einen kleinen Verdruß auf dem Rücken, auch standen seine
kleinen Auglein ein wenig scheel im Kopf. Laura sagte: „Der Herr
von Höllriegel schaut mit dem linken Äug' dem Kaiser aus dem Land."
Oder sie sang hinter der Schwester das Spottliedchen her: „Wie mich
das Ding verdrießt, daß mein Schatz bucklig ist." Christel schloß er-
Nach einem Gemälde von p. Philippi. Beim Krämer.
gewandert. Nani suchte den Leichtsinnigen, um ihm gehörig die
Meinung zu sagen. Doch gerade heut hatte den Vetter die alte
Wanderlust ergriffen. Als die Abendglocken klangen, schritt er schon
weit über Wurmberg hinaus den Windischen Büheln entlang. Er
wollte wieder wandern.
er Sommer war um; die neuen Felder hatten reichlich Frucht
getragen, der Krautacker stand schon voll fester Köpfe; im Garten
begann es kahl zu werden. Meister Muhrland hatte gestern die letzten
Rosen hereingebracht. Christel füllte sie in die alte Barockvase; dann
sah sie gedankenvoll zum Fenster hinaus. Die Muskatellertrauben
hingen fast bis ins Zimmer herein. Einen Brief zog das Mädchen
aus der Tasche und las ihn, zum dritten Male schon: „Hochachtbares
Fräulein! Verzeihen Sie, wenn ich noch einmal anfrage, ob Sie mit
mir in den Stand der heiligen Ehe treten wollen? Mein Haus und
das Eewürzgeschäft ist auf zwanzigtausend Gulden geschätzt, der
schauernd die Augen. Nein, nein! Sie wollte ihm abschreiben. War
nicht ihr ganzes Herz erfüllt vom Bilde Roman Reimers? Immer,
immer dachte sie an seine heißen Küsse. Aber zwei Wochen der
bittersten Qual lagen hinter ihr; Nacht für Nacht hatte sie unter dem
Fliederbaum ganze Stunden lang gewartet; vergeblich.. Roman
Reimer kam nicht mehr. Sollte es wirklich nur ein kurzes Sommer-
glück gewesen sein? Sie konnte den bitteren Gedanken nicht fassen.
Solche Liebe konnte nimmer enden! Sie wollte weiter geduldig auf
den Geliebten warten, bis er wieder kam und ihre Sehnsuchtstränen
mit seinen Küssen trocknete. Heute noch wollte sie dem Kaufmann
Höllriegel schreiben: „Ich kann Ihre Frau nicht werden."
Christel sprang auf und raffte die Blumenreste in die Schürze.
Unten im Geschäft hatte sich unterdessen ein seltener Gast ein-
gefunden, die Jungfer Pepi, mißtrauisch von Frau Nani begrüßt.
Fast jedesmal verkündete deren spitzer Mund ihr irgend eine folgen-
schwere Unannehmlichkeit.
DasVurhfüvAlle
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„Um Himmels willen nur nit die Nanett! Vor der hab' ich einen
heillosen Respekt. Wenn s' einem so anschaut mit ihre stillen Augen,
da könnt man rein aus der Haut fahrn."
Etwas schwankend stieg Anton die Stufen hinan. Laura schritt
hinter ihm und murmelte: „Na, im Zeichen des Wassermanns ist der
Vetter nicht geboren."
Seitdem war Anton wie verwandelt. Abends war er oft nicht zu
finden. Einmal schlich er des Morgens angetrunken durch die Hof-
türe herein. Der Meister hielt dem „Lüderjahn" eine Standrede,
Frau Nani weinte, und der Vetter sah zerknirscht zu Boden. Als die
Schwester bald darauf des Bruders Kleiderkasten öffnete, gähnte ihr
eine trostlose Leere entgegen. Alles war nach und nach zum Trödler
Weingarten auf siebentausend. Ich würde Ihnen, hochschätzbarstes
Fräulein, alles verschreiben im Falle meines vorzeitigen Ablebens.
Einer wohlgeneigten Antwort entgegensetzend, bin ich in Ergebenheit
und Hochachtung
Ihr Adalbert Höllriegel, bürgerlicher Handelsmann."
Christel ließ den Brief sinken und begann nachzusinnen. Höll-
riegel hatte schon einmal durch die selige Frau Mahm um sie geworben.
Er hatte einen kleinen Verdruß auf dem Rücken, auch standen seine
kleinen Auglein ein wenig scheel im Kopf. Laura sagte: „Der Herr
von Höllriegel schaut mit dem linken Äug' dem Kaiser aus dem Land."
Oder sie sang hinter der Schwester das Spottliedchen her: „Wie mich
das Ding verdrießt, daß mein Schatz bucklig ist." Christel schloß er-
Nach einem Gemälde von p. Philippi. Beim Krämer.
gewandert. Nani suchte den Leichtsinnigen, um ihm gehörig die
Meinung zu sagen. Doch gerade heut hatte den Vetter die alte
Wanderlust ergriffen. Als die Abendglocken klangen, schritt er schon
weit über Wurmberg hinaus den Windischen Büheln entlang. Er
wollte wieder wandern.
er Sommer war um; die neuen Felder hatten reichlich Frucht
getragen, der Krautacker stand schon voll fester Köpfe; im Garten
begann es kahl zu werden. Meister Muhrland hatte gestern die letzten
Rosen hereingebracht. Christel füllte sie in die alte Barockvase; dann
sah sie gedankenvoll zum Fenster hinaus. Die Muskatellertrauben
hingen fast bis ins Zimmer herein. Einen Brief zog das Mädchen
aus der Tasche und las ihn, zum dritten Male schon: „Hochachtbares
Fräulein! Verzeihen Sie, wenn ich noch einmal anfrage, ob Sie mit
mir in den Stand der heiligen Ehe treten wollen? Mein Haus und
das Eewürzgeschäft ist auf zwanzigtausend Gulden geschätzt, der
schauernd die Augen. Nein, nein! Sie wollte ihm abschreiben. War
nicht ihr ganzes Herz erfüllt vom Bilde Roman Reimers? Immer,
immer dachte sie an seine heißen Küsse. Aber zwei Wochen der
bittersten Qual lagen hinter ihr; Nacht für Nacht hatte sie unter dem
Fliederbaum ganze Stunden lang gewartet; vergeblich.. Roman
Reimer kam nicht mehr. Sollte es wirklich nur ein kurzes Sommer-
glück gewesen sein? Sie konnte den bitteren Gedanken nicht fassen.
Solche Liebe konnte nimmer enden! Sie wollte weiter geduldig auf
den Geliebten warten, bis er wieder kam und ihre Sehnsuchtstränen
mit seinen Küssen trocknete. Heute noch wollte sie dem Kaufmann
Höllriegel schreiben: „Ich kann Ihre Frau nicht werden."
Christel sprang auf und raffte die Blumenreste in die Schürze.
Unten im Geschäft hatte sich unterdessen ein seltener Gast ein-
gefunden, die Jungfer Pepi, mißtrauisch von Frau Nani begrüßt.
Fast jedesmal verkündete deren spitzer Mund ihr irgend eine folgen-
schwere Unannehmlichkeit.