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Arm ihres verwachsenen Gatten. Der Kupferhelm des mächtigen
Stadtturmes ragte gegen den Himmel, davor stand der alte Pranger-
stein. Mer dem schlafenden Städtlein wachten die Sterne. Christel
wollte ihr Glitzern nicht sehen — vor wenig Wochen noch hatten sie
ihr Liebesglück mit Roman Reimer belauscht. Heist stieg es auf in
ihrem Herzen, schaudernd nahm sie die Schleppe ihres kostbaren Braut-
gewandes in die Hand und wartete mit gesenkten Augen, bis ihr Ehe-
herr den Schlüssel im kreischenden Schlosse gedreht.
Nächstes Jahr flog der Storch über die Draustadt. Er schien sich
in ihren Gassen nicht zurechtzufinden, denn er brachte Frau Nani
einen Spätling, den kleinen Peter, während die schöne Christel ver-
geblich auf ein Kindlein wartete.
Sonst hatte sich die junge Frau nicht zu beklagen. Die Tante
Lisette führte ohne viel Geräusch den großen Haushalt, so dast Frau
Christel noch genug freie Zeit blieb. Sie legte gern ihre schönen
Kleider an und stellte sich um die Mittagszeit hinab in das Geschäft;
sie plauderte mit den Kunden oder wanderte nach Tisch hinaus in
den Stadtberg, wo das schöne Weingut des Kaufmannes lag.
Von den politischen Wirren Österreichs merkte man in den ersten
Monaten des Jahres 1848 in Pettau nicht viel. Nur vereinzelte Leser
verfolgten beim Tabakkramer die Ereignisse in den wenigen Nummern
der „Grazer Zeitung". Durch Leutnant Sauerklein gelangten sie
auch zu Muhrland.
„Ja, ja," sagte er bedächtig, „Konstitutschion? Se werden doch
nich den guten Kaiser Ferdinand abtun wollen, um de Revolutschion
in dat Land tau rufen?"
Eifrig versammelten sich die Bürger im „Goldenen Strausten",
gründeten eine Nationalgarde und rückten bei der Fronleichnams-
prozession nach dem Muster der Wiener und Grazer in Uniform aus.
Die Frauen spendeten ihnen eine schöne, seidene Fahne, deren Weihe
für den 27. September angesetzt wurde. Schon zwei Tage vorher
liefen die kleinen Mädchen mit aufgewickeltem Haar herum. Das
Netter! schrie wie am Spiest, als Zilli ihm unsanft die Locken auf-
drehte. Erst durch Laura auf das Weinen des Kindes aufmerksam
gemacht, sagte die Taube: „Ach was, Hoffart must Zwang leiden!"
Lebhaftes Treiben herrschte am Vorabend; in den Häusern wurde
gescheuert, gesotten und gebraten. Die Eheherrn brachten Körbe voll
Weinflaschen aus den Kellern herauf, um die alte deutsche Gastlich-
keit der Pettauer wieder zu bewähren. Jedes Haus bekam Einquar-
tierung von Festgästen; man war stolz darauf, es ihnen behaglich zu
machen.
Bunte Fahnen wehten von den Dächern; das Rathaus war mit
dem steirischen Silberpanther und dem Stadtwappen geschmückt,
Blumenkränze und das Laub der Eiche wanden sich herum. Grüne
Birkenbäumchen waren in den Straßen aufgestellt.
Begleitet von vierzehn Priestern nahm der infulierte Propst die
Fahnenweihe vor. Aus ganz Steiermark waren Abordnungen der
Nationalgarden gekommen; Mitglieder der Wiener und Grazer
Studentenlegion mit den federreichen Stürmern und den dreifarbigen
Kokarden. War manch feurig Blut darunter das bald hernach auf
den Barrikaden von Wien sein junges Leben für Österreichs Freiheit
gelassen.
Zur Freude der vierzig blühenden Festjungfrauen, gekleidet in die
weißgrünen Farben der Steiermark, fand im „Goldenen Straußen"
der Festball statt. Auch die Muhrlandmädchen waren dabei, und die
schöne Frau Höllriegel machte Aufsehen in einem seegrünen Atlas-
kleid mit neun Staffeln feinster Spitzenfalbeln. Schwer fielen ihre
schwarzen Locken von dem stolz getragenen Haupte. Nicht satt konnte
sich Christel im Tanze drehen. Doch finster blickte der kleine Gatte
aus seiner Ecke herüber, wo er sehr nachlässig Tarock spielte.
Lange dachten sie alle an diesen Ball, besonders die schöne, taube
Zilli. Heimgekehrt, versteckte sie eine dreifarbige Bandrosette zu
unterst in ihrer Schublade. Heimlich küßte sie das kleine Andenken
und gedachte mit Wehmut des jungen Studenten, der sich mit ihr
nur durch einen heißen Händedruck hatte verständigen können. Wer-
weiß, wo er jetzt weilte? Vielleicht war auch für ihn schon die tödliche
Kugel gegossen.

er Festesjubel war verklungen, schlimme Nachrichten trafen aus
Wien ein. Schreckerfüllend ging der Name des Grafen Latour
von Mund zu Mund. Der Bürgermeister berief die Nationalgarde ein.
Die Frauen begannen in den Abendstunden Scharpie zu zupfen und
Verbände herzurichten. Als das österreichische Militär unter seinem
greisen Anführer, dem Grafen Nugent, nach Großsonntag zog, um
die Grenzen des Reiches zu schützen, übernahmen die Bürger den

harten Garnisonsdienst der Stadt, welche unausgesetzt durch Truppen-
durchzüge zu leiden hatte. Hart bedroht waren die Bewohner durch
die ungestüm fordernden Truppen der Seressaner.
Im Färberhause schloß man nicht rasch genug das Hoftor. Ein
wildbebarteter Rotmantel drang herein und wollte den feisten Trut-
hahn mit dem krummen Säbel abschlachten. Unter großem Geschrei
und mit spitzen Nägeln verteidigte die Susel des Meisters Geburts-
tagsbraten. Dem Gesellen Blasch war es zu danken, daß sich der
freche Dieb nicht auch an der jungen Magd vergriff. Erst nach hartem
Kampf gelang es, den schwarzen Räuber zum Tor hinauszudrängen.
Weinend über die zerrissenen Kleider dankte Susel dem stattlichen
Gesellen für ihre Rettung.
Als die Abende länger und kühler wurden, fand sich abends Blasch
in der warmen Küche ein. Er schnitzte Kraut- oder Rübenhobel und
brannte darauf zierlich seinen Namen ein. Sie waren für die Haus-
töchter als Weihnachtsgeschenk bestimmt.
Susel kehrte sorgsam die Asche im Herde auf ein Häufchen. Es
herrscht in der Untersteiermark der Glaube, dast der Gevatter Tod
des Nachts komme, um seine dürren Knochenhände an der Glut zu
wärmen. Findet er den Herd kalt, dann holt er bald jemanden aus
dem Hause, damit die ungastliche Hausfrau an ihn erinnert werde.
Gemütlich war es in der Küche. Ein Heimchen zirpte; an der
Wand gleißte der seligen Neißin ganzer Kupferschatz. Sogar eine
große Form für einen ganzen Pfauhahn war darunter. Als die
Kaiserin Maria Theresia einst bei dem Grafen Leslie zu Gast geweilt,
trug die Mutter der Neißin das selbstverfertigte Schaugericht, mit
vergoldetem Schnabel und buntem Pfauenfedernrad geschmückt, die
vielen Stufen hinauf nach Schloß Oberpettau. Sie setzte die schwere
Zinnschüssel auf die Galatafel, bei welcher sechs Ratsherren der kaiser-
lichen Majestät aufwarten durften. Mit einem Dukaten war ihr
diese Festgabe belohnt worden.
Die Susel zog einen groben Wollstrumpf auf die Haud, um kunst-
los die Löcher zu stopfen. Der Geselle schnitzelte und neckte: „Susel,
heut hab' ich den neuen, steirischen Mandlkalender g'sehen, da fallt
im künftigen Jahr der Karfreitag auf den Ostersonntag."
Entrüstet schrie die Magd auf: „Jesses, wie unchristlich jetzt die
Leut sein! Sogar den Ostersonntag tun s' einem verschandieren."
Der Geselle trug im Ohr einen silbernen Ring. Die Susel fragte:
„Du, Blasch, warum hat man dir denn das Ohrwaschel durchstochen?"
„Z'wegen die Augen."
„Ja, bist denn etwan am linken Ohr blind?" Oder die Magd sagte
dem Gesellen das böse Sprüche! vor: „Tüffererwein, Cillierkind und
Praßberger Loden, wann die geraten, darf man s' loben."
Da lachte der Cillier: „Freilich, du bist auf den Zwiefelfeldern von
Moschganzen daheim, wo die ganz gescheiten Leut wachs'n!"
Wenn Blasch sich entfernt hatte, kroch die Magd in ihr großes
Tafelbett. Manchmal rüttelte der lose Wicht draußen an der Tür.
Er fand sie stets verschlossen. Da lachte die Susel unter ihrer schweren
Decke.
^Aber heiraten wollte Blasch die Magd nicht. Er sagte: „Na, na!
Ich heirat' erst eine Alte, die recht viel Geld hat. Wenn die stirbt,
kann ich noch immer eine Junge hab'n."
Die Apfelbaumwirtin, zwanzig Jahre älter als der Geselle, erkor
er sich als Braut und feierte bald darauf seine Hochzeit. Er lud die
Meisterstöchter ein, ihm die Ehre ihrer Anwesenheit zu geben. Die
Susel weinte sich die Augen rot.

ehr früh fiel Heuer der erste Schnee. Anton war wieder heim-
gekommen, zerrissener als je; Frau Nani grämte sich und be-
kleidete den Bruder heimlich aufs neue. Grinsend bezog er sein
kleines Gemach. Ein neues Vergnügen hatte er sich ersonnen. Das
Haus der Schwester war durch drei Schwibbögen mit dem Muhrland-
hause verbunden. Schräg durch die dicke Hausmauer lief ein
Fensterchen. Aus diesem steckte die Jungfer fleißig den Kopf heraus,
um über das Eässel hinüber zu schauen, was bei den Färbersleuten
vorging. Hatte der Vetter Langeweile, stellte er sich an die Hausecke
auf den Prellstein. Sah die Schwester heraus, dann drohte er mit
der Faust: „Wart, du schwarze Her!" Trotz des kalten Wetters
öffnete Pepi die Scheiben und leerte vor seinen Augen in kleinen
Schlückchen ein Schoppenglas Wein. Gierig sah Anton hinüber und
brach fast in Tränen aus, wenn er der Laura klagte: „Ausg'rechnet
einen Kolloser trinkt sie. Ich kenn' jeden Wein am G'ruch. Der
Feistritzer riecht nach Gewürznagerln; der Radkersburger nach Vei-
gerln, der Pickerer nach Muskatzindel, aber der Kolloser, der riecht wie
 
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