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DasBuchfüvAllL

SestS

ein Wein riechen soll — nach Wein. Und ausg'rechnet den trinkt sie
nnd gibt mir armen Hascher nit ein Tröpferl!"
Einmal schlich der durstige Vetter in das reiche Höllriegelhaus.
Aber die junge Frau benahm sich hochmütig gegen ihn, und der Kauf-
mann wehrte eine zarte Anspielung auf seinen wohlgefüllten Wein-
keller so deutlich ab, daß Anton nie mehr diesen Besuch wiederholte.
Die Christel kam selten in ihr Elternhaus; es war ihr zu einfach
dort. Zum ersten Male brannte Heuer da ein Weihuachtsbaum. Die
Lebzeltfiguren, bunten Papiertetten, Bienenwachskerzen und gol-
denen Nüsse riefen das Entzücken der Kinder wach. Netterl und
Franzi warfen nicht ihre neuen Puppen mit den hölzernen Locken,
spitzen Nasen und bunten Kattunkleidern nach der Bescherung in den
Winkel. Die taube Zilli hielt strenge darauf, daß sie ihnen Hemden
und Röcke nähten, die nicht gleich bei der ersten Puppenwäsche in
Fransen gingen.
Am Christtagnachmittag bimmelten durch die Spiialsgasse lustig
die neuen Schlittenglocken, welche Frau Nani gestern dem Gatten
beschert. Muhrland führte seine Töchter, groß und klein, hinaus in
den schönen Wintertag.
Nur der kleine Peter schlief daheim bei Frau Nani. Müde von
der Feiertagsplage setzte sie sich in des Doktors großen Stuhl. Ein
Klopfen an der Türe ließ sie aufschrecken, die Schwester Pepi war es.
Nach längerem Herunireden und einer guten Tasse Kaffee, sagte
der Besuch: „Weißt du, liebe Nanett, ich muß dir nun sagen, daß die
Zeiten für mich andere worden sind. Es hat mir damals, in deinem
ersten Ehejahr, schier das Herz abdruckt, daß ich dir nit mit Geld hab'
aushelfen können, aber — ich hab' für einen Mann sorgen müssen."
„Aber Pepi — du wirst doch nicht gar verheiratet sein?"
Em bitteres Lächeln teilte die Lippen der alten Jungfer: „Ich
nit — aber er! Kannst du dich, liebe Nanett, auf den braunlockigen
Maler erinnern, der im zwanziger Jahr die Bilder zu Sankt Georg
aufgefrischt hat? Er hat bei uns im Straußen gewohnt und auf
Wunsch der Mutter auch mein Bild gemalt. Weil ich da immer vor
Ungeduld so gezappelt hab', hat er mir von Rom erzählt. Von

den berühmten Meistern, den vielen Kunstwerken, und wie schön dort
in der Campagna die Sonn untergeht. Übervoll war damals mein
Herz an Sehnsucht für das Land Italien, und wenn Amadeus Gellen-
sperg nur ein Mörtel g'sagt Hütt', ich hätt' Heimat, Eltern und alles
verlassen und wär' mit ihm fort nach Rom gewandert, wo abends
der Mond so schön scheint. Aber er hat kein Mörtel nit g'sagt. Und
als das Bild fertig war, da hab' ich es still in die Ecke gelehnt und
hab' gemeint, das Weh müßt mich erdrücken. ,Josephine!' hat er
aufgeschrien und hat mir mit unvergeßlichen Worten gesagt, daß er
mich lieb — unendlich lieb hat."
Die alte Jungfer senkte den Kopf. Dann sprach sie weiter: „Nur
nach Minuten hat mein Glück gezählt, denn mit schmerzlicher Stimme
hat mir Amadeus gestanden, daß irgendwo in der Heimat eine jnnge
Frau und ein Kind auf seine Rückkehr warten. Ich hab' verzichten
müssen. Als einzigen Trost hat mir Amadeus versprochen, jedes Jahr
einmal schreiben zu wollen. Dann ist er gegangen auf Nimmer-
wiedersehen. Und weil mir die Mutter keine Ruh gegeben hat, ich
soll des Bäckers Alois heiraten, da bin ich in meines Vaters Erbe
hinübergezogen, hab' mit dem Schicksal und dem Herrgott gehadert
und bin das geworden, was ich jetzt bin, eine ungeduldige alte
Jungfer."
Nani wollte die Schwester unterbrechen, doch Pepi wehrte ab,
sie wollte weiter sprechen: „Nur einmal hat mir Amadeus einen
Brief geschrieben, das zweite Jahr ist er schon ausgeblieben. Was
ich da in meiner Ungeduld gelitten hab', kann ich nit sagen. Eudlich
im Frühjahr hat seine Frau geschrieben. Sein Kind war bei einem
Hochwasser ertrunken. Und er selber ist auf beiden Augen erblindet.
Die Armen hatten keinen Kreuzer Geld im Haus. Da hab' ich ihnen
jedes Halbjahr die Zinsen von meinem Vermögen geschickt und nur
das Notwendigste für mich und die Katzen behalten. Heuer in Ver-
letzten Adventswoche hat mir Frau Gellensperg den Tod ihres Mannes
gemeldet. Die Frau ist weit weg nach Tirol gezogen. Amadeus ist
von seinen Leiden erlöst. Sein letztes Wort war ein Dank und ein
Gruß an Mich!" «Fortsehunn folgt.)

Qu UrULMNBÜÜ Lvu

/X In Fliegerdeckung (S. 99). — Der Weltkrieg ist immer brutaler, immer
rücksichtsloser geworden. So wird auch die Zivilbevölkerung der Erenzgegenden
immer häufiger, selbst in Städten ohne irgendwelche militärische Bedeutung,
von Fliegergefahr bedroht. Wer sich genügend kaltes Blut bewahrt, kann bei
Ansammlungen von Schutzsuchenden in Kellern manche komische Szene beob-
achten. Als recht wenig entzückend offenbart sich da mancher „schöne Schein",
und manche zeigen sich in ihrer Kopflosigkeit und den sehr wenig Geist ver-
ratenden Zügen, daß sie in Wirklichkeit und im Ernstfall viel kleiner sind, als
ihre sonst zur Schau getragene Pose erwarten ließ. Anderseits ist aber leider
von vielen in ganz unangebrachter Mutvorspieglung die einzig vernünftige
Vorsicht außer acht gelassen und — wie die Unglücksfälle beweisen — bestraft
worden. Für viele gilt auch das polizeiliche Schutzgebot der Fensterabdunklung
nicht, solange die Übertretung nicht fühlbar geahndet wird. Daß dieser Mangel
an Selbstzucht sehr beschämend und das Zeichen eines sehr kurzsichtigen Egoismus
ist, scheinen sich recht viele nicht klar machen zu können.
1- Auf der Flucht (S. 102). — Die Tage des afrikanischen Elefanten sind
gezählt; wie der amerikanische Büffel scheint auch dieses größte aller Landtiere
der Geldgier der Menschen erliegen zu sollen, die ihm um des Elfenbeins willen
schonungslos nachstellen. Hoffentlich gelingt es durch die bereits erlassenen
Jagdverbote, das Verschwinden dieses Tierdenkmals einer vergangenen Epoche
wenigstens hinauszuschieben, damit uns dieses eindrucksvolle Bild eiuer aus
dem Vollen schaffenden Natur recht lange erhalten bleibt. Und unvergeßlich
prägt sich dem Beschauer der Anblick eines in Todesangst dahinstürmenden,
vor dem Steppenbrand flüchtenden ausgewachsenen riesigen Elefanten ein.
Der anscheinend so plumpe Koloß vermag dann in Lebensgefahr eine ungeahnte
Schnelligkeit zu entwickeln, die wohl fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde
erreicht. Man hat Beispiele dafür, daß erschreckte Tiere Strecken von sechzig
bis siebzig Kilometer, ohne anzuhalten, zurückgelegt haben, obwohl sie weder
traben noch galoppieren können. Die gewöhnliche Gangart ist ein gleichmäßiger
Paß, der sie in der Stunde vier bis sechs Kilometer vorwärts bringt. Und so
ist denn auch zu hoffen, daß das angstvoll den Rüssel hebende Tier den eiligen,
gierigen Flammen entkommt.
k- Bilder aus einer großen Filmfabrik (S. 105). — Wohl die wenigsten
Besucher eines Lichtspieltheaters ahnen, welche Summe von Arbeit dazu
gehört, einen Film gebrauchsfertig herzustellen. Es ist durchaus nicht nur nötig,
daß die Rollen „gemimt" werden, und daß der „Operateur", wie der fremd-
ländische Ausdruck leider noch immer lautet, einfach „kurbelt". Abgesehen von
der unendlich zeitraubenden Auswahl eines zugkräftigen Filmstückes gehören
tage-, ja wochenlange Vorbereitungen dazu, die geeignete Szenerie darzustellen,

die notwendigen Requisiten und Kulissen herbeizuschaffen, die heute alles, vom
Schiffsuntergang bis zur Nordpolentdeckung, umfassen. Es gehört hierzu ein
gewaltiges Betriebskapital, und so sind große Filmfabriken entstanden mit
riesigen Glashäusern und vielen Nebengebäuden, in denen sich zeitweise Hun-
derte von Filmschauspielern drängen. Hier hat der Krieg Gutes geschaffen,
indem er die französische Vorherrschaft im Filmwesen bei uns brach.
L Vie Besetzung -es Rigaischen Meerbusens durch die deutsche Flotte
(S. 108,109). — Zu den bedeutsamsten, in ihren militärischen Folgen noch gar
nicht übersehbaren Ereignissen des Weltkriegs gehört die Besetzung der Inseln
im Rigaischen Meerbusen durch die deutsche Flotte. Mit dieser in zahlreichen
Einzelkämpfen zu Wasser und zu Lande durchgeführten großzügigen Unter-
nehmung, bei der zum ersten Male im Verlauf des Weltkriegs das deutsche
Heer mit der Marine gemeinsam operierte, ist nicht nur ein Zugang zu unserem
Stützpunkt Riga geschaffen und damit der linke Flügel der Ostfront gesichert,
sondern die ganze Ostsee wurde damit zum unbestrittenen Besitz der deutschen
Flotte. Was diese Tatsache allein bedeutet, wird sich erst erweisen, wenn die
Minensäuberung der dortigen Gewässer bis zum Bottnischen Meerbusen und
dem Zugang zu Petersburg durchgeführt ist.
Die aus verschiedenen Einheiten der deutschen Flotte zusammengestellten
Geschwader standen unter dem Befehl des Vizeadmirals Erhard Schmidt.
Die nicht unbeträchtliche Flottenmacht hatte die Aufgabe, die Küstenbefesti-
gungen der Insel Osel und der anderen Plätze an der esthnischen Küste nieder-
zukämpfen und gleichzeitig die große Transportflotte zu geleiten und die Aus-
schiffung der Landungstruppen artilleristisch zu decken. Am 12. Oktober, nach-
dem das Fahrwasser von Minen gesäubert war, wurden die ersten Truppen
auf der Insel Osel gelandet. Den: gewaltigen Ansturm der unter dem Ober-
befehl des Generals von Kathon stehenden Truppen waren die Russen nicht
gewachsen. In acht Tagen war das schwierige Werk der vollständigen Besetzung
der Inseln im Rigaischen Meerbusen beendet, die russische Flotte nach Osten
zurückgedrängt und die russischen Zufuhren über die esthnische Küste unmöglich
gemacht.
Von der Lhinaerpedition im Jahre 1900 besaß unsere Marine über die
Technik der Verschiffung großer Heeresteile auf einer Transportflotte Erfah-
rungen, die ihr jetzt trefflich zustatten kamen. Alle Vorbereitungen und die
Durchführung des ganzen Unternehmens bis in die kleinsten Einzelheiten gaben
ein glänzendes Bild deutscher Organisation. Unwillkürlich vergleicht man damit
die mißglückte Dardanellenoperation der Ententemächte, die mit wesentlich
größeren Mitteln und unter günstigeren Bedingungen für den Angreifer be-
gonnen werden konnte.
 
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