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Das Testament des sel. Euseöius.
Roman von Viktor Hellinq.
(Fortsetzung.)
a verriet Hans-Albrecht der Schwester, daß Fräulein Neu-
reuther die Nichte von Ursula kölsch sei. „Onkel Heinrich
wünschte nicht, daß Tante Reppchen es erführe. Wegen der
Anstellung, verstehst du."
Jetzt war das Erstaunen auf Annemaries Seite.
„Wenn mir das Onkel Heinrich doch wenigstens eher verraten hätte!"
„Warum?"
Darauf wußte Annemarie keinen Grund anzngeben. Sie schien
gekränkt, daß ihr nichts
davon gesagt worden war.
„Dann hätte ich sie doch
mit ganz anderen Augen
angesehen; auch Fräulein
Kölsch Hütte ich ein paar
liebe Worte sagen können!"
Noch am selben Tag
konnte sie beides nachholen.
Als sie am Nachmittag
Hans-Albrecht ins Dorf be¬
gleitete, der Fräulein Neu¬
reuther wieder etwas „Lese¬
stoff in ihre Einsamkeit
tragen" wollte, trafen die
Geschwister vor dem Schul¬
haus mit Ursula Kölsch zu¬
sammen. Nach einigen all¬
gemeinen Worten sprach
Annemarie ihr Bedauern
aus, daß sie leider nicht
gewußt habe, daß Fräulein
Neureuther die Nichte von
Fräulein Kölsch sei.
„Sie wissen alles, liebe
Baroneß? Es war nicht
recht von Ihrem Oheim,
daß er ein Geheimnis aus
meiner Verwandtschaft mit
Eva machte. Ich war neu¬
lich drauf und dran, Ihre
Tante darüber aufzuklären.
Denn schließlich sollte es
doch unter so nahen Ver¬
wandten kein Vsrsteckspiel
geben."
„Sehr richtig," bestä¬
tigte Hans-Albrecht. „Ich
werde Onkel Heinrich noch
heute ..."
„Heute wird es leider
nicht möglich sein," er-
widerteUrsula Kölsch. „Der
Herr Major ist auf den
Pferdekauf nach Landshut
gefahren."
Annemarie sah ihren
Bruder schuldbewußt von
der Seite an.
„Vielleichtbesuchen Sie
Ihren Herrn Oheim mor-

gen," fuhr Ursula fort. „Er sagte, daß er sich mit Ihnen über
irgend etwas aussprechen müsse. Es kam ein Brief aus Südamerika
an. Sie erwarten ja, wie ich höre, in naher Zeit den oftgenannten
Besuch."
Jetzt glaubte Annemarie alles zu verstehen. Die Eitelkeit des
Onkels hatte bei der Nachricht von Esthers bevorstehendem Ein-
treffen neue Nahrung bekommen. Tante Reppchen putzte das Haus,
Onkel Heinrich kaufte sich ein Pferd. Vor ihren Blicken stieg ein
Bild auf; sie sah den Oheim hoch zu Noß der Base aus Uruguay
entgegengaloppieren. Sie lächelte noch darüber, als ihnen Eva
aus der weinumrankten Gartenlaube entgegenkam.
Eva errötete und wollte etwas von einer unerwarteten Ehre
sagen, allein Annemarie schnitt ihr jedes bescheidene Wehren ab.
„Wir kommen als Bittende,
weil wir gern bei Ihnen
Platz nehmen möchten."
Annemarie faßte die Hände
Evas und rief: „Hier ist
es wirklich wunderhübsch.
Du hast nicht zu viel ge-
schwärmt, Hans-Albrecht."
Gleichalterige junge Da-
men verstehen sich schnell.
Eva fand Annemarie lie-
benswürdig, und Anne-
marie bewunderte das be-
scheidene Mädchen, das
nach den Worten ihres
Bruders so viel verstand.
Da sie keine Frenndin be-
saß, fühlte sie sich in schnel-
ler Neigung zu ihr hin-
gezogen.
„Ich bin so viel allein,"
sagte sie ihr. „Ich hoffe,
daß wir uns von jetzt an
recht oft sehen."
Hans-Albrecht verfolgte
jede Bewegung Evas, die
jetzt den Kaffee einschenktc.
Annemarie sah auf den
Bruder und lachte. Es
war so lustig, und es lagen
so viel Heimlichkeiten in
der Luft. Sie neckte den
Bruder, ob er sein Schwei-
gen sehr unterhaltend fände.
Er hob den Kopf und ant-
wortete, er habe so viel zu
überlegen; jetzt erst reichte
er Fräulein Neureuther die
Bücher.
„Ich wollte Ihnen man-
ches zum Verständnis dien-
liche sagen, aber es wäre
unhöflich."
„Sie überschätzen mich,
Herr v. Queri, ich bin Ihnen
für jede Erläuterung dank-
bar. Sie führen mich in
eine ganz neue Welt, aber
Sie dürfen mir nicht böse
sein, daß ich mich noch sehr
unbeholfen darin bewege.

Graf v. Hertling, der neue Reichskanzler.

VI. 1SI8.
 
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