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Sammel-Hilfsdienst der deutschen Jugend.
Bon Fritz Fleischer.
„Nichts, was den geringsten Wert besitzt,
darf ungenützt Zugrunde gehen."
atz cs unseren Feinden mit der wirtschaftlichen Niederringung
unseres Vaterlandes bitterer Ernst ist, spüren wir täglich in
unserer grotzen Festung. Der frühere englische Marine-
minister Edward Carson trat mehr als einmal für den unerbittlichen
„Wirtschaftskrieg" gegen uns ein. Von ihm stammen die Worte:
„Nach dem Krieg wird ein gewaltiger Kampf um die Roh-
stoffe beginnen, in dem Deutschlands Lebensfrage
auf dem Spiel steht. Die Engländer würden Narren sein,
wenn Metalle, Wolle, Baumwolle und andere Roh-
stoffe wieder in deutsche Hände kämen!" ... „Die Rohstoff-
Versorgung ist gleichsam ein Strick in den Händen
Englands und A m e r i k a s, womit Deutschland e r-
drosseltwerdenkan n." Unter Beifall und Gelächter
seiner Hörer fügte er hinzu: „I a, w a r u m s o l l a u ch D e u t s ch-
land nicht zu¬
grunde gehen?
Das klingt zwar
nicht christlich,
aber es ist nicht
zu ändern!"
Die Einfuhr von
Rohstoffenfürunsere
Kriegsindustrie, für
Nahrung und Klei¬
dung, ist sehr stark
unterbunden. Dem
deutschen Geist ist es
wohl gelungen, neue
Quellen zu erschlic¬
hen und ihre Ergeb¬
nisse nutzbringend zu
gestalten, und durch
unsere grotzen kriegs¬
wirtschaftlichen Or¬
ganisationen konnte
der von unseren Fein¬
den sehnlichst erhoffte
Niedergang verhin¬
dert werden. Noch
immer sind indes
gar manche Abfallstoffe und als wertlos angesehene Reste der ver-
schiedensten Art dem Verderben ausgeliefert, weil Zu ihrer Herbei-
schaffung und Sammlung zu entsprechender Verwendung die Kräfte
der Erwachsenen sich nicht lohnend in Anspruch nehmen lassen.
Mer viele Millionen von Kinderhänden sind für diese Kleinarbeit
noch immer frei. Die Schulen müssen nut ihren grotzen Armeen
antreten, denn es gilt noch viel mehr zu leisten, als es trotz aller höchst
dankenswerten Mühe und Arbeit bisher geschehen ist. Keine mensch-
liche Arbeitskraft darf sich künftig in diesem gewaltigen Ringen um
unser Dasein dem Vaterland entziehen. Jung und alt mutz auf
dem Posten sein und das Höchste leisten, vereint mutz die gesamte
Jugend mithelfen, um allen das Durchhalten zu erleichtern. Alle
irgendwie noch verwertbaren Abfälle unserer Wirtschaft sollen im aus-
gedehntesten Umfang zusammc ngebracht werden, um wichtige Dienste
zu leisten. Wenn auch in den vergangenen Jahren auf diese Weise
schon große Werte geschaffen wurden, so ist es doch möglich, durch ent-
sprechende Organisation noch viel mehr zu erreichen. Auf Anordnung
der Reichsbehörden und nach dem Beispiel Preußens werden die Kriegs-
ministerien über die Sammlung kriegswichtiger Stoffe verfügen, und
die bisher freie Sammeltätigkeit wird künftig im wesentlichen aus-
geschlossen sein. Von Berlin aus wirkt ein Kriegsausschutz für
Sammel- und Helferdienst unter dem Vorsitze des Kriegsamtes*).
Durch die Tätigkeit dieser Stelle soll das bisherige Nebeneinanderher-
arbeiten der verschiedenen örtlichen Vereinigungen in größerem

Maßstab organisatorisch gebunden und einheitlicher gestaltet werden.
Eine vor kurzem in Berlin von dieser Seite errichtete Ausstellung:
„Aus allen Ecken", bot ein überzeugendes Bild dafür, wie aus
fertigen Fabrikaten wichtige, zurzeit knapp gewordene Rohstoffe ge-
wonnen werden können. Alte Zeitungen, Akten, Geschäftsbücher
verwandeln sich in Pappe, Karton und Schreibpapier. Das Alt-
papier hilft die Zellulose strecken und macht sie frei zur Erzeugung
der verschiedensten Gegenstände aus Papiergewebe. Alte Kon-
servenbüchsen und Stanniol liefern Zinn für neue Weitzblechdosen.
Metallreste aller Art bieten Rohstoff für Munition und Maschinen.
Alte Korke werden wieder brauchbar gemacht, und aus Korkabfällen
kann Kunstkork hergestellt werden. Alte Flaschen sind an der Front
zu verwenden, und durch jede so verwertete Flasche können drei
Pfund Kohlen erspart werden, die zur Herstellung einer neuen not-
wendig gewesen wären. Aus alten Gummipuppen, Spielbällen
oder zerrissenen Gummischuhen können neue Autoreifen oder Räder-
schläuche gemacht werden. Frauenhaare bieten Stoff zur Herstellung
von Treibriemen für Maschinen und finden Verwendung zur Her-
stellung von Filzstoffen. Aus Knochen wird vollwertiges Speisefett,
Knochenöl, Glyzerin, Stearin und zuletzt noch Knochenmehl, das
als Düngemittel ge-
braucht wird, gewon-
nen. Stark vorgc-
kochte Knochen ent-
halten noch etwa fünf
bis sechsProzentFett,
weniger stark ausge-
kochte sogar acht bis
zehn Prozent. Das
aus gewissen Knochen
hergestellte Klauen-
oder Knochenöl ist
endlich der einzige
Stoff, aus dem im
Raffinationsproze tz
Torpedo - Schmieröl
für unsere Marine
hergestellt werden
kann. Einen Ersatz-
stoff für dieses Öl
gibt es nicht. So
steht die Knochen-
sammlung und Kno-
chenverwertung in
unlösbarem Zusam-
menhang mit dem
U-Boot-Krieg! Obstkerne liefern Öl, Wildfrüchte Ersatz für Tee und
Marmelade. Die Brennesselfaser wird zu Hemden für unsere Soldaten
versponnen, und die Blätter der Nessel geben ein hochwertiges Nähr-
futter für Vieh. Um diesen außerordentlich verzweigten Kreislauf der
verschiedensten Stoffe im denkbar höchsten Grade lebendig zu gestalten,
bedarf es vieler Tausende geschäftiger Hände. Die Organisation ist im
Gang, und umsichtige Führung wird Heuer die Mängel zu beseitigen
wissen, die durch das Fehlen sicherer Führung im vergangenen Jahre
den nötigen Ansporn und Eifer da und dort leider erschlaffen ließen.
Durch richtige Organisatiou und fleißige Sammeltätigkeit kann
sehr viel erzielt werden. Nach Mitteilung des Studienassessors
W. Böttcher in Landsberg a. d. W., dem vierzehn Schulen unterstellt
sind, wurden von den Klassen in einem Monat fünfundzwanzig Zentner-
Knochen abgeliefert, wofür ein Prozent der Gewichtsmenge in
Form von Speisefett an die Schulen zurückfloß. In Landsberg a.d.W.
gelang es im Vorjahre den Schülern des Kgl. Gymnasiums und
der Realschule, innerhalb sechs Wochen große Mengen der so über-
aus wichtigen Brennessel zu sammeln. In dieser Zeit wurden
Zwölfeinhalb Zentner Trockenstengel neben sechseinhalb Zentner
Blättern eingebracht. Das ist eine Leistung, die sonst nirgends
auch nur annähernd erreicht wurde. Die Nessel-Anbau-Gesellschaft
äußerte sich darüber: „Wenn jede Schule Deutschlands ein solches
Sammelergebnis zu verzeichnen hätte, könnten wir gut auf die
Baumwolle Amerikas verzichten!" Hier öffnet sich — angesichts
des Mangels an Rohstoffen für Gewebe — für die nächsten Jahre
ein gewaltiges Arbeitsfeld. Wenn auch die Umgegend von Lands-




Phot. Assessor Böttcher, Landsberg a. d. W.
Schüler aus Landsberg a. d. W. beim Einbringen der Nesseln.

*) Berlin 8, Charlottenstraße 71.
 
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