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534

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Heft 23

„Freilich erfahre ich manches!" unterbrach ihn der Reiter,
selbstgefällig die Mähne seines Kleppers streichelnd. „Man kommt
ja ein bißchen herum in der Welt. Von Hapsal bis Meriküll ist kein
Ort, wo man mir nicht gern ein Gläschen Branntwein vorsetzte."
„Dann wirst du mir sagen können, wie es um die Tagung in
Reval steht?"
„Das kann ich dir sagen! Es ist zwar schon das zweite Mal Voll-
mond, seit ich von Reval fort bin, aber damals hieß es, daß acht
Tage vor Michaelis im Ritterhause der Bratspieß gedreht werden
solle. Der Speisemeister hat es mir selbst gesagt und mir auch ver-
raten, was es geben wird. Es sind Leckerbissen darunter, die vom
anderen Ende der Welt Herkommen und ein halbes Jahr vorher
verschrieben werden müssen, damit nur die Schiffe sie rechtzeitig
heranbringen. Wenn du willst, kann ich dir auch die Namen nennen."

Gesühnt. Erzählung von Siegfried Baske,
ei unserem ersten gemeinsamen Essen hinter Veracruz, wo
wir an Bord gekommen waren, fiel uns ein Mann auf, den
offenbar niemand kannte. Man konnte es sehen, daß er allen
fremd war, denn die Augen der einzelnen Fahrgäste wanderten
fragend die lange Tafel auf und nieder; in allen stand die stumme
Frage, wer dieser Mann sei. Dann hörten wir, daß er sich Björn
Thorgrim nannte. Auffallend groß, muskulös und stämmig, schätzten
wir den leicht ergrauten Mann als guten Fünfziger. Bald zeigte
es sich, daß der Fremde über Bildung und Takt verfügte, Eigenschaften,
die man in jeder Gesellschaft gern sieht. Er machte den Eindruck
eines furchtlosen, zufriedenen alten Seekapitäns. Mit einem


- - Phot. Bild- u. Film-Amt, Berlm.
Im zerstörten Soissons.


„Laß nur!" sagte Arwi abwehrend. „Viel lieber möchte ich er-
fahren, ob sie auf dem Ritterhause über den fremden Leckerbissen
auch nicht die eigenen Leute vergessen, und ob es wahr ist, daß sie
diesmal Ernst machen und uns die Freiheit geben werden?"
„Das soll wahr sein!" rief der Bote. Er war immer bereit,
den Leuten zu bestätigen, was sie gern hören wollten. „Ich will
keinen Branntwein mehr in Gesundheit trinken, wenn die Herren
Ritter nicht endlich ihren Kopf durchsetzen und dem Gouverneur ein
Schnippchen schlagen. Er hat ihnen eigentlich doch auch nichts zu
sagen, von wegen der verbrieften Rechte, und weil alles auf die
Hostie beschworen ist vom Väterchen in Sankt Petersburg. — Nein,
nein, diesmal wird es kommen, Arwi. Das wird ein Leben werden!
Der Weißensteiner Graf hat schon den Hemdschilling und den Sterb-
fall abgeschafft und in seinem ganzen Haken verboten, daß die Burschen
nach England und Holland in die Manufakturen verdingt werden.
Ich habe die neue Verordnung selbst herumgetragen, und der Kusaler
will es in Zukunft ebenso halten. Gott segne sie für diese Wohl-
taten !" (Fortsetzung folgt.)

Mann wie Björn Thorgrim auf der Kommandobrücke konnte man
sich selbst im wildesten Sturm geborgen fühlen. Aber es stellte sich
zu aller Überraschung heraus, daß er kein Seemann war. Nur eine
außergewöhnlich harte Schule für Geist und Körper hatte ihm dies
zwingend beruhigende Außere gegeben. An jeder Bewegung sah
man, daß in seinen Gliedmaßen eine außerordentliche Kraft liegen
mußte. Alles an ihm besaß Übermaß; sein Kopf war lang geformt,
die Stirn wirkte fast viereckig in ihrer harten Kantigkeit; seine Kinn-
laden waren auffallend stark. In dem vollen und dunkeln Haar ent-
deckte man noch keine Altersfärbung; nur durch den kurzen Vollbart
zogen sich einige wenige eisengraue Streifen. Um seinen Mund und
die stahlblauen Augen schien ein ewiges gutmütiges Lächeln zu liegen.
Die Brauen waren dunkler als der Bart, und über ihnen liefen viele
kleine Fältchen zu einer tiefen Furche über der Nasenwurzel zusammen.
Wenn auch besonders feinfühlige Naturen sein bärenhaftes Außere nicht
angenehm berührte, so wären sie darum doch nie auf den Gedanken
geraten, ihn darum für einen Menschen zweifelhafter Herkunft zu halten.
Dazu benahm er sich viel zu sicher, zu ruhig und geradeheraus. Man
 
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