Leben und Treiben unserer Internierten
in der Schweiz.
Von Kapitänleutnant zur See b. R. Wendling.
4 s nvergeßlich wird mir jene Stunde bleiben, in der ich zum ersten
Male mit kräftigem Händedruck und herzlichen Worten kranke
und verwundete Soldaten begrüßen durste, die, von England
freigegeben, in unserem
Jnternierungsorte am
Vierwaldstätter See ein¬
trafen. Meist waren es
tapfere Flandernkämp¬
fer, die -in Feindeshand
gefallen waren; ein Teil
gehörte zu jenen Un¬
glücklichen, die seit den
ersten Kriegsmonaten —
ja Kriegslagen, wie ein
Matrose der „Königin
Luise" — das harte Los
der Gefangenschaft tra¬
gen mußten. Alle sahen
bleich und abgehärmt
aus.
Doch nicht lange
braucht es in der herr¬
lichen Umgebung und
wunderbaren Ruhe der
Bergesriesen und tief¬
blauen Seen, bei wohl¬
wollender ärztlicher Be¬
handlung, guter Kost
und menschenwürdigem
Dasein, daß unsere neu¬
angekommenen Krieger,
die seelisch und körper¬
lich leidend, oft nerven¬
zerrüttet in der Schweiz
anlangten, den schweren
Alp losschütteln und sich
wieder zu frischem Leben
aufraffen. Weggeworfen
wird der Gefangenen¬
kittel und mit ihm so
manche bedrückende Er¬
innerung! Freudig zieht
jeder die altvertraute
Uniform an, die baldigst
nach der Ankunft von
den deutschen Beklei¬
dungsstellen in Zürich
und Luzern geliefert
wird. Dann stellen sich
aufrechte, straffe Hal¬
tung und froher Lebens -
mut wieder ein, und
bald erwachen, zumal
im Hinblick auf die ge¬
waltige Arbeit, die in
der nahen Heimat geleistet wird, und aus Dank und Anerkennung
für die Wohltat der Internierung, die alte Spannkraft und die Lust
zum Schaffen und zur Betätigung.
Deutsche Kriegs- und Zivilgefangene finden in der Zentral- und
Ostschweiz Aufnahme. Lungen- und Malariakranke werden den
Heilstätten in Davos und Arosa sowie anderen Höhenkurorten Grau-
bündens überwiesen, Rheumatismus- und Magenleidende kommen
gewöhnlich nach Ragaz; Verwundete, deren Zustand eines aber-
maligen operativen Eingriffes bedarf, und die Kriegsbeschädigten,
welche die Hilfe der Orthopädie in Anspruch nehmen müssen, werden
auf Luzern und zahlreiche Orte an den Ufern des Vierwaldstätter
Sees verteilt. Da der Fremdenverkehr der Schweiz seit Kriegsbeginn
erheblich zurückging, bietet die Unterbringung der Kriegsgäste, deren
Gesamtzahl um Ostern 1918 etwa zehntausend betrug, keine Schwierig-
keiten; die der Mannschaften erfolgt in kleineren Hotels und Fremden-
pensionen derartig, daß zwei bis drei Leute in einem freundlichen
Zimmer zusammenliegen und allen ein gemeinsamer Speisesaal und
ein Gesellschaftszimmer zur Verfügung steht. E'n älterer Unter-
offizier bekleidet die Stellung des sogenannten Anstaltchefs und ist
für den inneren Dienst, Ordnung und Disziplin im Hause verantwort-
lich. Die Offiziere woh-
nen in den größeren
Hotels der Jnternie-
rungsorte. Verheiratete
können die Erlaubnis
erwirken, eine Privat-
wohnung zu beziehen
und sich selbst zu ver-
pflegen. An jedem Ort
befindet sich ein schwei-
zerischer Sanitätsoffizier
als Platzkommandant,
dem ein deutscher Hilfs-
offizier unterstellt ist.
Die Internierten, welche
in einem festgesetzten
Umkreis vollkommene
Bewegungsfreiheit ge-
nießen, haben den Vor-
schriften der eidgenössi-
schen Armee und ihren
schweizerischen Vorge-
setzten Folge zu leisten.
Für die militärischen
Umgangsformen gelten
die Bestimmungen des
deutschen Heeres. Von
den Schweizer Behör-
den, der Kaiserlich Deut-
schen Gesandtschaft, bei
der eine besondere Ab-
teilung für Gefangenen-
fragen gebildet werden
mußte, von deutschen
Hilfsstellen und den In-
ternierten selbst ist eine
großartige und vielsei-
tige Fürsorge getroffen,
daß jeder Internierte,
wenn er sich hinreichend
erholt hat und gesundet
ist, die Wartezeit in der
Schweiz nach seiner Art
und seinen Kräften aus-
nützen kann — und auch
soll. An Gelegenheit
zur Fortbildung und
Beschäftigung fehlt es
nicht. Für solche, die
infolge ihrer Verwun-
dung ihren früheren
Beruf nicht mehr aus-
üben können oder aus anderen Gründen umsatteln wollen, ist die
Jnternierungszeit von größtem Wert. Durch hochherziges Ent-
gegenkommen ist deutschen Internierten, die ihr Studium an einer
höheren Lehranstalt fortzusetzen wünschen, Gelegenheit dazu geboten.
So haben die Universitäten in Bern und Basel, die^Technische Hoch-
schule in Zürich und die Handelshochschule der e^tadt St. Gallen
bereitwilligst ihre Tore geöffnet, und verschiedene Gymnasien und
Fachschulen nehmen Internierte unter ihren Schülern auf. Mit der
Zeit stellte sich die Notwendigkeit ein, teils auch wegen Überfüllung
der entsprechenden schweizerischen Lehranstalten, eigene Internierten-
schulen ins Leben zu rufen und einzurichten, so unter anderen: die
In Erwartung neuankommender Kameraden.
Benn Torfabbau in Ruswkl (Kanton Luzern).