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DaeBuchfürAlle
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Rach einer Originalzeichnung von Prof. Georg Schöbel.
'V / -7^.^
„Nein, ani Dienstag. Am Mittwoch schlief er sofort ein; er
schien sehr ermüdet." .
„Und dem Direktor der Schule", forschte Recking weiter, „wurde
von unbekannter Seite telephonisch mitgeteilt, daß Ihr Sohn zwei
Tage das Zimmer hüten müsse? . Das wäre also Dienstag und
Mittwoch gewesen."
„Ja, so ist es. Schließen Sie etwas daraus?"
„Vielleicht. Ich könnte mir aus diesen beiden Angaben zu-
sammenreimen, daß die Entfernung Ihres Sohnes, wie ich es einmal
nennen will, zuerst für Mittwoch geplant war, im letzten Augen-
blick aber auf einen anderen Tag verschoben wurde. Ihr Töchterchen,
sprang auf und eilte
zur Tür. Eine Män¬
nerstimme klang zu
Ralf Recking herein.
Gleich darauf brachte
der Hausherr einen
Herrn Ruck, wie er
ihn vorstellte, ins
Zimmer. Herr Ruck,
in einer der an¬
grenzenden Straßen
wohnend, rvar mit
seinem zehnjährigen
Töchterchen gekom¬
men. Das Mädchen
hatte ganz verweinte
Augen und sah er¬
schrocken zu Ralf
Recking auf. Es war
die Jugendgespielin
des vermißten Jörg
Bahr. Die Rinder
waren alltäglich zu¬
sammen gewesen und
liebten sich zärtlich.
Es war begreiflich,
daß Herr Bahr sein
Söhnchen bei dieser
Familie zuerst ge¬
sucht hatte.
„Ich dachte nicht
daran, Ihnen zu
sagen," wandte er
sich an den Detektiv,
„daß mein Junge
am Dienstag gegen
Abend bn Anneinarie
Ruck gewesen ist. Das
war nicht auffallend,
da ja doch noch kein
Mensch ahnte, daß er
am Vormittag, wie
auch am Tage vor¬
her, nicht in seiner
Klasse gewesen war."
„Ich selbst habe
den Jungen nicht
gesehen," sagte Herr
Ruck. „Und eben¬
sowenig meine Frau.
Sonst wäre mir sein
absonderlichesWesen
gewiß aufgefallen,
von dem unsere
Annemieze nachher
uns erzählte. Nur
daß auch sie in dem
lebhaft erregten Ge¬
baren des Kleinen an
jenem Abend nichts
Besonderes gesehen
hat. Erst seit er
fehlt, gewannen diese
Dinge Bedeutung."
„Das ist begreiflich," meinte Herr Bahr. „Ich selbst war ja
mit Blindheit geschlagen. Hinterdrein, als ich mir jeden Augenblick
des Zusammenseins mit dem Jungen wieder ins Gedächtnis rief,
. erinnerte auch ich mich seiner Hastigkeit beim Abendessen und seiner
Einsilbigkeit am Dienstag abend; Fräulein Hempel, die ihn zu Bett
brachte, will ihn am Dienstag unterdrückt weinen gehört haben.
Sie machte Licht, aber da lag er anscheinend schon in tiefem Schlummer,
und sie glaubte sich getäuscht zu haben."
„War das am Dienstag abend?" fragte der Detektiv Fräulein
Hempel, die hinter Annemarie Nuck eingetreten war. „Entsinnen
Sie sich dessen ganz genau? War es nicht am Mittwoch?"
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DcisVu chfüvAlle
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Herr Nuck, sah den kleinen Kameraden also nur einmal, und zwar
am Dienstag?"
„Ja! Sie hat ihn gesehen und gesprochen. Und zwar in unserem
Hausflur. Er machte ihr eine Andeutung, daß er vielleicht nicht
mehr inxdie Schule zu gehen brauche, aber sie dürfe es niemand
sagen. Und dann schenkte er ihr zwei Bonbons. Ich habe die
Stanniolhülle und das Seidenpapier mitgebracht."
„Das ist ein guter Gedanke, Herr Nuck. Diese Kleinigkeiten
können von großem Wert sein."
„Das dachte ich mir. Und deswegen kam ich auch."
Ralf Recking betrachtete die Stanniolstückchen und das weiße
Papierchen, an dem
noch eine Spur von
Schokolade hastete.
„Also wenigstens
eine kleine Hand-
habe!" sagte er dann.
„Ich nehme diese
Sachen an mich.
Könnte ich sonst noch
etwas erfahren?"
Plötzlich fiel Fräu-
lein Hempel ein:
„Ein winzigesFeder-
kielchen in Papier
könnte ich Ihnen
noch bringen, das
ich in Jörgs Stube
gefunden habe. Da
Ihnen solche Klei-
nigkeiten wertvoll
scheinen .. ."
„Aber geschwind,
liebstes Fräulein!
Versteht sich! Solche
Kleinigkeiten, wie
Sie es nennen, kön-
nen die wertvollsten
Anhaltspunkte bie-
ten. Nichts, nicht
das geringste ist un-
wesentlich !"
Als FrüuleinHem-
pel mit dem Feder-
kiel — einein Zahn-
stocher — wieder-
kehrte, erhellte sich
RalfReckings Gesicht.
„Gottlob!" sagte er,
als er die Seiden-
papierhülle betrach-
tet hatte. „Der gol-
dene Firmenaufdruck
des hiesigen Lu.rus-
papiergeschäfts von
Lohmer. Die erste
Handhabe wäre ge-
funden! Ich kann
Sie nun schon über
einen Punkt beruhi-
gen, Herr Bahr: der
oder auch die mut-
maßlichen Entführer
Ihres Sohnes sind
nicht unter jenen
Leuten zu suchen,
von denen Sie hellte
sprachen."
„Und das scheint
Ihnen durch dies
LtückchenPapier an-
nehmbar?" fragte
Heinrich Bahr un-
Deutfcher Feuerüberfall auf Reims. s^uGg und doch
" > freudig erregt.
„Diese BonbonhüUen und das Papier mit dem Namen Lohmer
sind mir Goldes wert. Diese Art von Bonbonverpackung wird be-
kanntlich bei ganz auserlesenen Dessertbonbons verwendet, wie sie
beispielsweise nur in unseren ersten Weinrestaurants oder Hotels
zum Nachtisch gereicht werden. Und was diese verpackten Günse-
kielzahnstocher anbelangt, so bürgt mir der Name der darauf ange-
brachten Firma für die Art der Käufer. Ich bin mit diesen Finger-
zeigen sehr zufrieden. Wollen Sie mir, bitte, jetzt noch die Photo-
graphie Ihres Sohnes geben."
Als Ralf Recking das Bild eine Weile betrachtet hatte, erhob
er sich. Liebkosend fuhr seine Hand über den goldblonden Scheitel
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Rach einer Originalzeichnung von Prof. Georg Schöbel.
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„Nein, ani Dienstag. Am Mittwoch schlief er sofort ein; er
schien sehr ermüdet." .
„Und dem Direktor der Schule", forschte Recking weiter, „wurde
von unbekannter Seite telephonisch mitgeteilt, daß Ihr Sohn zwei
Tage das Zimmer hüten müsse? . Das wäre also Dienstag und
Mittwoch gewesen."
„Ja, so ist es. Schließen Sie etwas daraus?"
„Vielleicht. Ich könnte mir aus diesen beiden Angaben zu-
sammenreimen, daß die Entfernung Ihres Sohnes, wie ich es einmal
nennen will, zuerst für Mittwoch geplant war, im letzten Augen-
blick aber auf einen anderen Tag verschoben wurde. Ihr Töchterchen,
sprang auf und eilte
zur Tür. Eine Män¬
nerstimme klang zu
Ralf Recking herein.
Gleich darauf brachte
der Hausherr einen
Herrn Ruck, wie er
ihn vorstellte, ins
Zimmer. Herr Ruck,
in einer der an¬
grenzenden Straßen
wohnend, rvar mit
seinem zehnjährigen
Töchterchen gekom¬
men. Das Mädchen
hatte ganz verweinte
Augen und sah er¬
schrocken zu Ralf
Recking auf. Es war
die Jugendgespielin
des vermißten Jörg
Bahr. Die Rinder
waren alltäglich zu¬
sammen gewesen und
liebten sich zärtlich.
Es war begreiflich,
daß Herr Bahr sein
Söhnchen bei dieser
Familie zuerst ge¬
sucht hatte.
„Ich dachte nicht
daran, Ihnen zu
sagen," wandte er
sich an den Detektiv,
„daß mein Junge
am Dienstag gegen
Abend bn Anneinarie
Ruck gewesen ist. Das
war nicht auffallend,
da ja doch noch kein
Mensch ahnte, daß er
am Vormittag, wie
auch am Tage vor¬
her, nicht in seiner
Klasse gewesen war."
„Ich selbst habe
den Jungen nicht
gesehen," sagte Herr
Ruck. „Und eben¬
sowenig meine Frau.
Sonst wäre mir sein
absonderlichesWesen
gewiß aufgefallen,
von dem unsere
Annemieze nachher
uns erzählte. Nur
daß auch sie in dem
lebhaft erregten Ge¬
baren des Kleinen an
jenem Abend nichts
Besonderes gesehen
hat. Erst seit er
fehlt, gewannen diese
Dinge Bedeutung."
„Das ist begreiflich," meinte Herr Bahr. „Ich selbst war ja
mit Blindheit geschlagen. Hinterdrein, als ich mir jeden Augenblick
des Zusammenseins mit dem Jungen wieder ins Gedächtnis rief,
. erinnerte auch ich mich seiner Hastigkeit beim Abendessen und seiner
Einsilbigkeit am Dienstag abend; Fräulein Hempel, die ihn zu Bett
brachte, will ihn am Dienstag unterdrückt weinen gehört haben.
Sie machte Licht, aber da lag er anscheinend schon in tiefem Schlummer,
und sie glaubte sich getäuscht zu haben."
„War das am Dienstag abend?" fragte der Detektiv Fräulein
Hempel, die hinter Annemarie Nuck eingetreten war. „Entsinnen
Sie sich dessen ganz genau? War es nicht am Mittwoch?"
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Herr Nuck, sah den kleinen Kameraden also nur einmal, und zwar
am Dienstag?"
„Ja! Sie hat ihn gesehen und gesprochen. Und zwar in unserem
Hausflur. Er machte ihr eine Andeutung, daß er vielleicht nicht
mehr inxdie Schule zu gehen brauche, aber sie dürfe es niemand
sagen. Und dann schenkte er ihr zwei Bonbons. Ich habe die
Stanniolhülle und das Seidenpapier mitgebracht."
„Das ist ein guter Gedanke, Herr Nuck. Diese Kleinigkeiten
können von großem Wert sein."
„Das dachte ich mir. Und deswegen kam ich auch."
Ralf Recking betrachtete die Stanniolstückchen und das weiße
Papierchen, an dem
noch eine Spur von
Schokolade hastete.
„Also wenigstens
eine kleine Hand-
habe!" sagte er dann.
„Ich nehme diese
Sachen an mich.
Könnte ich sonst noch
etwas erfahren?"
Plötzlich fiel Fräu-
lein Hempel ein:
„Ein winzigesFeder-
kielchen in Papier
könnte ich Ihnen
noch bringen, das
ich in Jörgs Stube
gefunden habe. Da
Ihnen solche Klei-
nigkeiten wertvoll
scheinen .. ."
„Aber geschwind,
liebstes Fräulein!
Versteht sich! Solche
Kleinigkeiten, wie
Sie es nennen, kön-
nen die wertvollsten
Anhaltspunkte bie-
ten. Nichts, nicht
das geringste ist un-
wesentlich !"
Als FrüuleinHem-
pel mit dem Feder-
kiel — einein Zahn-
stocher — wieder-
kehrte, erhellte sich
RalfReckings Gesicht.
„Gottlob!" sagte er,
als er die Seiden-
papierhülle betrach-
tet hatte. „Der gol-
dene Firmenaufdruck
des hiesigen Lu.rus-
papiergeschäfts von
Lohmer. Die erste
Handhabe wäre ge-
funden! Ich kann
Sie nun schon über
einen Punkt beruhi-
gen, Herr Bahr: der
oder auch die mut-
maßlichen Entführer
Ihres Sohnes sind
nicht unter jenen
Leuten zu suchen,
von denen Sie hellte
sprachen."
„Und das scheint
Ihnen durch dies
LtückchenPapier an-
nehmbar?" fragte
Heinrich Bahr un-
Deutfcher Feuerüberfall auf Reims. s^uGg und doch
" > freudig erregt.
„Diese BonbonhüUen und das Papier mit dem Namen Lohmer
sind mir Goldes wert. Diese Art von Bonbonverpackung wird be-
kanntlich bei ganz auserlesenen Dessertbonbons verwendet, wie sie
beispielsweise nur in unseren ersten Weinrestaurants oder Hotels
zum Nachtisch gereicht werden. Und was diese verpackten Günse-
kielzahnstocher anbelangt, so bürgt mir der Name der darauf ange-
brachten Firma für die Art der Käufer. Ich bin mit diesen Finger-
zeigen sehr zufrieden. Wollen Sie mir, bitte, jetzt noch die Photo-
graphie Ihres Sohnes geben."
Als Ralf Recking das Bild eine Weile betrachtet hatte, erhob
er sich. Liebkosend fuhr seine Hand über den goldblonden Scheitel