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DasBuchfürAüe

Heft 27

ansässige, später in München lebende Sigmund Schrofkensteiner- hier
kinderlos gestorben. Er war geboren am 26. August 1839 als Sohn
des Sigmund Schroffensteiner und dessen Frau Margarete, geb.
Lenz; der Vater starb 1854, die Mutter 1860. Als gerichtlich be-
stellter Nachlaßpfleger fordere ich etwaige Verwandte des Verstorbenen
auf, sich bei mir zu melden, allenfallsige Erbschaftsansprüche unter
Vorlage der behördlichen Nachweise über das bestehende Verwandt-
schaftsverhältnis innerhalb vier Wochen bei mir geltend zu machen."
Unterzeichnet war dieser Aufruf vom Verlassenschaftsgericht.
„Denken Sie nur, Herr Sekretär! Eine Erbschaft! Vielleicht
werden Sie gar noch Millionär!" rief Christians ältester Bekannter.
Schroffensteiner war weniger hochgestimmt über die Nachricht,
als seine Freunde es erwarteten. Er erinnerte sich allerdings, daß
ein Bruder seines Großvaters in der Schweiz gelebt hatte. Der
Verwandte war einmal zu Besuch bei ihnen gewesen und hatte auf
ihn, der damals noch ein Schulknabe war, einen geringen Eindruck
gemacht, so daß er keine Reichtümer von ihm erwartete. „Vielleicht
erbe ich einen Pfeifenkopf und ein Paar Wasserstiefel!" sagte er
lachend. Aber am Stammtische war den ganzen Abend von der Erb-
schaft die Rede, und Schroffensteiner mußte versprechen, eine kleine
Feier zu veranstalten, wenn er der gesuchte Erbe sein sollte.
Er verschaffte sich die Sterbeurkunden seiner Eltern und seiner
jüngeren Geschwister und was sonst noch an gesetzlich geforderten
Vorlagen nötig war, und schickte die Papiere ein. Dann kümmerte
er sich weiter nicht mehr darum. Seine Zukunftserhoffnungen
fußten ja auf der Neigung, die, wie er wohl vermuten durfte, Frida
zu ihm gefaßt hatte. Warum hätte man ihn sonst wiederholt zum
Abendessen eingeladen und zu dem kleinen Fest gebeten, das am
Geburtstag der Tochter stattfinden sollte? Ob man erwartete, daß
er bis dahin schon um ihre Hand anhielt, damit dann zugleich Ver-
lobung gefeiert werden konnte? Man machte ihm jedenfalls Mut.
Aber es war doch ein Zögern in ihm, das ihn zu keinem Entschluß
kommen ließ. Er fühlte sich innerlich dem jungen Mädchen fremd;
er wußte so wenig von ihrem Wesen, da sie nie eine eigene Meinung
aussprach, nur immer, hübsch angezogen, dasaß und jedem Wink
d:r Mutter folgte.
Noch vor der Geburtstagsfeier erhielt er eine gerichtliche Vor-
ladung vom Verlassenschaftsgericht. Vor allem freute er sich, daß
er auf diese Weise zu einem kleinen Urlaub kam, und trat ohne be-
sondere Spannung und große Erwartungen die Reise an.
Es hatten sich verschiedene angebliche Erben mit dem Namen
Schroffensteiner gemeldet. Daß er der nächste Verwandte des Ver-
storbenen war, daran zweifelte er trotzdem nicht. Aber er meinte
doch kaum seinen Ohren trauen zu dürfen, als er dann hörte, daß
ihm, als dem Großneffen, ein Kapital von fünfundzwanzigtausend
Mark und eine vollständige Wohnungseinrichtung zufiel. Erst als
er es schwarz auf weiß sah, glaubte er an dies unerhoffte Glück.
In vergnügter Stimmung kehrte er in einem neuen Anzug,
den er sich in München kaufte, an einem Sonntagabend in sein
Städtchen zurück. Unwillkürlich warf er einen Blick in das Gärtchen,
wo er sonst das blonde Mädchen zu sehen gewohnt war. Heute
saß Rosine mit ihrer Mutter in der Laube mit einem fremden Hetrn.
Sie war so vertieft in eine lebhafte Unterhaltung, daß sie den Vor-
übergehenden gar nicht bemerkte. Und so sonderbar ist der Mensch!
Er war doch nun in der letzten Zeit oft rasch vorübergegangen, und
heute verdarb ihm eine ausgesprochen eifersüchtige Regung über
den Fremden die gute Laune. Rosine sah so hübsch aus in ihrem
weißen Kleid mit den blonden Zöpfen, die goldig in der Sonne
leuchteten. In diesem Augenblick fühlte er erst, wie lieb sie ihm
doch gewesen war.
Abends löste er am Stammtisch sein Versprechen ein. Er wollte
lustig sein. Im Lauf des Gesprächs fragte ihn einer der Herrn,
ob er schon gehört habe, daß sich um das hübsche Fräulein Rosine,
die Tochter der Lehrerswitwe, ein Gutsbesitzer aus der Nachbar-
schaft bewerbe. Er sei ein Witwer und nicht mehr jung, aber die
Mutter wünsche ihr Kind versorgt zu sehen. Christian hörte kaum
auf die weiteren Bemerkungen, die sich noch an dieses Ereignis
knüpften. Er fühlte sich mißgestimmt und brach früher auf als an
sonstigen Abenden.
Am nächsten Abend veranstaltete die „Harmonie" ein kleines
Sommerfest im geschlossenen Kreise. Da Christian sich nach dem
Dienst erst umziehen mußte, kam er verspätet in den mit bunten
Lampions geschmückten Garten. Frida Grubhofer begrüßte ihn mit
holdseligem Lächeln und zärtlichem Augenaufschlag und zeichnete
ihn so merkbar aus, daß sich neugierige Blicke auf das junge Paar

richteten. Einmal konnte er deutlich vernehmen, daß man sich Ver-
mutungen über eine zu erwartende Verlobung zuraunte.
. Auch Frau Grubhofer behandelte ihn mit ausgesuchter Liebens-
würdigkeit: „Lieber Herr Sekretär, man darf Ihnen doch zu einer
schönen Erbschaft Glück wünschen!" sagte sie mit strahlender Miene.
Er war nicht verwundert über diese Frage. Solche Dinge sprachen
sich rasch herum. Aber niemand konnte wissen, wie hoch sich die
Erbschaft belief. Der lebhafte Anteil und die auffallende Herz-
lichkeit des Tones fielen ihm auf, und ein Gedanke durchzuckte ihn,
der ihn stutzig machte. Bald glaubte er gewiß zu sein, daß Frau
Grubhofer den Aufruf gelesen hatte. Die freundliche Zuvorkommen-
heit, mit der ihn die Familie auszeichnete, schien sich auf die Aus-
sicht der Erbschaft zu gründen. Mit der Zeit, da die Wendung in
ihrem Benehmen eingetreten war, stimmte diese Wandlung auf-
fällig. Mit diesem Argwohn, der ihm bisher nie gekommen war,
weil er selbst sich so wenig versprochen hatte, schoß ihm ein Gedanke
durch den Kopf. Er konnte es ja auf eine Probe ankommen lassen,
ob Frida ihm wirklich gut sei, oder ob man, mehr wie er, an die Hinter-
lassenschaft geglaubt und damit gerechnet hatte, vielleicht mit dem
Gedanken, daß man ihn ja wieder fallen lassen könne, wenn die
gehegten Hoffnungen sich nicht oder in zu geringem Maße erfüllten.
Eine Berechnung dieser Art von wohlhabender: Leuten war ja
eigentlich nicht unerhört. Christian wollte sich Klarheit verschaffen.
In leichtem Tone wandte er sich Frau Grubhofer zu: „Die Erb-
schaft," sagte er wegwerfend. „Oh, das ist wirklich nicht der Rede
wert! Einige alte Möbel und ein paar hundert Mark. Solche
Dinge werden zu gern übertrieben geschildert."
Er beobachtete sofort, wie sich Frau Grubhofers Miene ver-
änderte. „Soo!" sagte sie gedehnt. „Wie schade. Es wäre Ihnen
gewiß mehr zu wünschen gewesen."
Frida wurde von einigen Freundinnen weggeholt. Später sah
er die Mutter mit ihr flüstern, während sie verlegen an ihrem Haar
herumzupfte. Er ging wieder auf das junge Mädchen zu. Nun
wünschte er auch ihre Gefühle zu prüfen. Wenn er ihr lieb gewesen
war, dann konnte ihr doch nichts daran liegen, ob die Erbschaft
mehr oder weniger bedeutend sei. Bald zeigte es sich, daß auch
aus ihrem Gesicht das holdselige Lächeln verschwunden war; sie,
die ihn vor einer Viertelstunde noch geradezu zärtlich angeblickt,
benahm sich wieder so hochmütig wie früher. Sie unterhielt sich
mit anderen Herren und schenkte ihm kaum mehr Beachtung.
Christian hätte laut auflachen mögen, wie schnell durch ein paar rasch
hingeworfene Worte die wahre Gesinnung an den Tag gekommen
war. Der Gedanke, das junge Mädchen habe ihn liebgewonnen, hatte
ihm geschmeichelt und weich gestimmt. Aber sein Herz war doch
weit weniger beteiligt als sein Verstand. Er fühlte sich befreit.
Dieses Mädchen, das sich je nach den Wünschen ihrer Mutter lieb und
ablehnend, warm und kalt benahm, begehrte er länger nicht, und
wenn sie auch noch viel reicher gewesen wäre. Er wünschte sich
alles andere eher als eine Frau, die wie eine Puppe sich von der
berechnenden Mutter gängeln ließ.
Am nächsten Tage kam eine höfliche Absage. Das Geburts-
tagskind sei erkältet, und daher müsse die kleine Feier leider unter-
bleiben. Damit war alles abgetan. Nun begann er sich an der
Vorstellung zu freuen, wie verblüfft Frau Grubhofer sein würde,
wenn sie einmal erfuhr, daß er sie über die Erbschaft getäuscht hatte,
und daß er sich dadurch nur über ihre wahre Gesinnung Gewißheit
verschafft habe.
Eine Weile verharrte er in feindseliger Stimmung gegen das
ganze weibliche Geschlecht.
Es war ein paar Wochen später, als eines Tages Rosine am
Schalter erschien und einen Brief aufgab. Da sie diesen einschreiben
ließ, mußte der Beamte die Aufschrift lesen. „An die Expedition
der Neuesten Nachrichten, München ATZ 1100."
Da außer ihr niemand am Schalter stand, fragte er, als er ihr
den Schein aushändigte: „Man erzählt sich ja, daß Sie sich verloben
werden, Fräulein Rosine?"
Errötend erwiderte sie: „Man redet viel, was nicht wahr ist!"
Obwohl ihr Ton lange nicht so freundlich klang wie sonst, ward
ihm doch mit einem Male froh und leicht zumute.
„Ich sah Sie einmal mit einem fremden Herrn in der Laube
sitzen; Sie unterhielten sich so gut, daß Sie meinen Gruß gar nicht
bemerkten," neckte er sie.
„Der Herr ist schon lange wieder abgereist," warf sie rasch hin.
Christian sah, daß ihr Gesicht nicht mehr so heiter war wie früher,
ja es schien ihm, als seien ihre Augen verweint. „Warum sieht
 
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