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DasBuchfürAlle

Heft 27

Ralf Recking nickte. „Und Sie haben wohl die Güte, sich Mijnheer
van Jerckens anzunehmen? Ein recht gutes Hotel, nicht wahr?"
„Oh, um mich machen Sie sich keine Sorge," meinte der Reeder.
„Ich bin ja gewissermaßen nur Zaungast und werde mich schon
irgendwo zurecht finden, bis Sie zurück sind."
„Damit wäre uns beiden wenig gedient. Nein, vertrauen Sie
sich der Findigkeit von Herrn Martin an, Mijnheer, der Ihnen das
beste Hotel aussuchen wird. Ich komme vielleicht erst spät zurück.
Und nun eine kleine Bitte, lieber Herr Martin. Geben Sie mög-
lichst bald dies Telegramm nach Berlin auf."
„Wird besorgt. Und den Herrn bringe ich in den ,Hof von
Flandern*."
„Und Sie können sich morgen für mich freihalten?"
„Unbedingt!"
Noch ein Winken, und der Kraftwagen fuhr weiter. Ralf Recking
machte vor dem bezeichneten Hause halt und stieg die engen, steilen
Treppen empor. Auf sein Schellen öffnete Aristide Schepen selbst.
Er war längst zum Ausgehen fertig, hatte ungeduldig gewartet
und war nun angenehm überrascht, daß der deutsche Detektiv doch
noch kam.
„Offen gesagt, mir war etwas bänglich zumute, denn so leicht
läßt sich dieser Pfiffikus nicht an der Nase führen. Nun Sie da sind,
fällt mir eine Zentnerlast vom Herzen."
„Und dennoch muß ich Sie zunächst mit dem Mann allein lassen."
Ralf Recking gab Herrn Schepen, dessen ganzes Wesen einen ehr-
lichen, weichherzigen, guten Menschen verriet, hierfür die gleiche
Erklärung, wie vorher Herrn Martin.
„Ich verstehe," gab der Bankbeamte zur Antwort. Seine milden
und freundlichen grauen Augen blickten dabei etwas beklommen.
„Es leuchtet mir ein, aber wie speise ich dann Serrurier ab? Für
große Verstellungen eigne ich mich nicht. Wenn ich in dieser An-
gelegenheit mich überhaupt so bereitwillig finden ließ, so hat das
einen besonderen Grund. Da war ein unverschuldet in Bedrängnis
geratener Kamerad von mir — Gott hab' ihn selig! — der ist leider
eines Tages der Versuchung erlegen und hat in seiner Verzweiflung,
als sein Vertrauensbruch ans Licht kam, selbst zur Waffe gegriffen.
Es war nur ein einziger, geringfügiger Fall, den er auf sein Gewissen
geladen hatte, und der — davon bin ich überzeugt! — noch dazu
sehr milde Richter gefunden haben würde. Kaum aber hatte er
die Augen geschlossen, da wurde Stein auf Stein auf ihn, der mein
treuer Freund gewesen war, gehäuft, während ich fest davon über-
zeugt blieb und es noch heute bin, daß alle anderen groben Unregel-
mäßigkeiten in unserer Kasse dem leichtsinnigen Jean Serrurier zur
Last zu legen waren. Beweise fehlten leider, und der arme Tote
konnte sich nicht verteidigen. Immer aber habe ich im stillen der
Hoffnung gelebt, Serruriers Schuld, mag sie noch so fein gesponnen
sein, möchte eines schönen Tages einmal ans Licht kommen. Und
da kamen Sie ..."
„Ja, da kam ich, und ich bin dabei, die Schurkereien dieses Menschen
zu entlarven. Das deutete Ihnen mein Kollege Martin an."
„Ganz recht! Und ich verriet ihm, was ich konnte. Ich war
auch sofort erbötig, das von Ihnen gewünschte Telegramm, das
nach Paris ging, auf mich zu nehmen.. Aber warum ich das tat,
mein Herr? Nur, um die Ehre meines toten Kameraden zu retten
oder wenigstens dazu behilflich gewesen zu sein."
„So dachte ich mir's. Geben Sie mir Ihre Hand, Herr Schepen!
Und nun meinen Sie, es wäre genug des falschen Spiels, das Sie
auf sich genommen hätten, und da ich nun glücklich da bin, um die
Verstellung weiter zu spielen, hegen Sie den aufrichtigen Wunsch,
Ihrer Ihnen so wenig zusagenden Rolle ledig zu werden. Ist es
das, was Sie mir sagen wollten?"
„Gewiß, Herr Recking! So dachte ich es mir. Sie finden Jean
Serrurier in der .Forelle*; greifen Sie zu. Mich aber lassen Sie,
wenn es geht, aus dem Spiel."
Der Detektiv überlegte. Die Uhr zeigte auf zehn Minuten vor
acht. Schneller Entschluß war nötig. Dann sagte er: „Es geht
nicht. Geht beim besten Willen nicht. Das würde keine ganze
Arbeit geben. Überwinden Sie sich. Denken Sie daran, daß ich
Ihren toten Kameraden glänzend rechtfertigen werde. Seien Sie
überzeugt, daß dieser Serrurier viel, unendlich viel mehr auf dem
Gewissen hat, als Sie ahnen, und führen Sie wenigstens noch dies
eine Mal das Versteckspiel durch, das Ihrer ehrlichen Natur zuwider
ist. Sagen Sie, daß der Mann aus Limburg Ihre Nachricht noch
mcht bekommen haben dürste, daß es aber ein Mann sei, der für
ein gutes, einträgliches Geschäft wie gerufen käme. Verbürgen Sie

sich dafür, daß sie ihn bis morgen abend unbedingt zur Stelle schaffen.
Reden Sie von Gerards Unerfahrenheit und rühmen Sie sein Ver-
mögen. Seien Sie nicht bescheiden mit Ihren Forderungen, die
Ihnen von Serrurier als Prozente zugestanden werden müßten.
Dann schöpft er keinen Verdacht. Trinken Sie ein gutes Weinchen
dazu; das gibt Mut. Und vor allem versuchen Sie, daß Serrurier
morgen abend wiederkommt. Und sinkt Ihnen der Mut trotz alledem,
so denken Sie, daß ich in Ihrer Nähe bin. Reißen alle Stricke, dann
muß ich noch heute zupacken — so ungern ich's tue."
„In meiner Nähe, sagten Sie? Als Gast in der Taverne? Wird
das nicht auffallen?"
Ralf Recking lächelte, im stillen aufatmend, daß er Aristide Schepen
herumbekommen hatte. „Ob als Gast, das weiß ich nicht. Aber
das werden Sie ja sehen. Merken Sie eins: Wenn ich das linke
Auge eintneife — sehen Sie, so wie jetzt zum Beispiel! — dann
heißt das: Lassen Sie nicht locker! Drücken Sie durch! So, und
nun gehen Sie voran. Ich folge unbemerkt."
Schepen seufzte: „Vortrefflich gesagt, lieber Herr. Aber ich ge-
stehe offen, ich wollte, diese Stunde wäre vorüber .. ."
Ralf Recking vertiefte sich in die Auslagen eines Antiquitäten-
händlers; von diesem Platze aus konnte er bequem beide Seiten
der Straße überblicken. Schepen war schon in der Tür der Taverne
verschwunden, und die Uhr hatte acht geschlagen. Es waren noch
genug Leute unterwegs — Angestellte, die aus den Geschäften
kamen, Soldaten, junges Volk, alle mehr oder minder eilig —, aber
auf niemanden wollte das Bild passen, das in der Vorstellung des
Detektivs von dem Gesuchten lebte. Ein Herr trat allerdings jetzt
auf die Taverne „Zur Forelle" zu, doch der trug einen braunen
Spitzbart, was der Beschreibung nach bestimmt nicht zu Jean Serrurier
stimmte. Als der Mann jetzt aber das gemalte Schild über dem
Eingang musterte und darauf die Tür der Taverne aufklinkte, wußte
der Wartende, daß er den Gesuchten vor sich sah.
Im nächsten Augenblick hatte er auch schon leise die Tür auf-
gemacht und betrat den Vorderraum der Weinstube, der als Laden
eingerichtet war, als der Besitzer der Taverne den Gast gerade in das
dahinter liegende Zimmer geleitete.
„Ich hätte Sie nicht wiedererkannt!" hörte da Ralf Recking
Aristide Schepen sagen. „Seit wann tragen Sie diesen Bart?"
Indes kam der Wirt zurück und rief dem Pikkolo zu, er solle sofort
das Gas anstecken. Der Detektiv sah, daß andere Gäste nicht an-
wesend waren. Nun winkte er verstohlen dem Wirt, machte ihm ein
-Zeichen, daß er schweigen solle, und betrat mit ihm den rechts vom
Laden gelegenen Raum, wo er den Überraschten eilig über den Zweck
seines Besuches aufklären konnte.
Als wenige Minuten später vor Aristide Schepen und seinem Gast
ein hochgewachsener Kellner in weißer Schürze den Wein auf den
runden Tisch stellte, hätte nicht viel gefehlt und Schepen hätte sich
verraten. Glücklicherweise wußte er mit einem erkünstelten Husten-
anfall sein Erröten zu bemänteln, in das ihn der unvermittelte Ein-
tritt dieses Kellners versetzte.
Geräuschlos zog sich Ralf Recking zurück, ehe ihn der volle Blick
des aufsehenden Serruriers traf, und leise zog er den grünwollenen
Vorhang zu, der das Hinterstübchen vom Laden trennte. Er hatte
sofort gesehen, daß der schöne Spitzbart Serruriers falsch war. Diesem
Menschen lag demnach daran, in Brüssel nicht alten Bekannten in
den Weg zu laufen.
Schepen entschuldigte sich, daß er seinen Monsieur Gerard nicht
habe mitbringen können. „Ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Wie
konnte ich auch ahnen, daß Sie hier sind, als ich Ihnen nach Paris
telegraphierte. Es ist ärgerlich, aber ich konnte es beim besten Willen
nicht ändern."
Der Detektiv atmete erleichtert auf. Für einen Anfänger schau-
spielerte Schepen gar nicht übel.
„Damit habe ich auch nicht gerechnet," antwortete Serrurier.
„Ich wollte aber die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, Ihnen
guten Tag zu sagen, alter Kamerad. Sie haben von meiner Anwesen-
heit in Brüssel, wie ich Sie bat, niemand erzählt?"
„Keiner Menschenseele! Obwohl ich nicht recht verstehe —"
„Ein Geschäftskniff, nichts weiter! Ich sondiere hier einen Haus-
kauf, für den sich eine Pariser Eroßfirma interessiert. Ihnen näheres
zu sagen, würde zu weit führen. Jedenfalls wünschte ich, bei den
seriösen Geschäften nicht auf Schritt und Tritt von Bekannten um-
lauert zu werden, die dann meine Anwesenheit nach Paris berichten.
Doch das nur nebenbei, alter Freund! Sie haben sich Zeit gelassen,
einmal von sich ein Lebenszeichen zu geben."
 
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