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DasBuchfürAlle

Heft 27

640

„Ja, nicht immer bietet sich Gelegenheit.
„Wenn man die Augen aufmacht, nicht zu selten. Ich habe Brüssel
nie aus den Augen verloren. Hier ist viel herauszuholen."
„Sie meinen?"
„Sie werden mich schon verstanden haben, alter Freund. Ihr
Telegramm lieh ja glücklicherweise keine andere Deutung zu. Der
Mann hat viel Geld, nicht wahr?"
„Das ohne Frage —"
„Auch das glaubte ich aus Ihrem Telegramm herauszulesen,
sonst wäre ich nicht so rasch gekommen. Durch meine Hände gehen
jetzt sehr artige Summen, so daß ich es nicht nötig habe, einer Baga-
telle nachzulaufen. Wie hoch schätzen Sie den Mann ein? Was
wünscht er anzulegen? Wann werde ich ihn erwarten dürfen?"
„Das sind drei Fragen auf einmal. Ich denke, wir leeren erst
einmal unser Glas auf die alte Zeit."
„Auf die alte, ehrliche Kameradschaft, versteht sich. Sie sind grau
geworden, Sie haben Runzeln, mein Lieber. Sie waren auf dem
besten Wege einzutrocknen. Sie müssen sich an mir ein Beispiel
nehmen. Verdienen, schnell verdienen, geschickt verdienen, das ist
das wahre Lebenselirir, das ich an mir erprobt habe. Als ich Ihr
Telegramm las, sagte ich mir: Endlich! Endlich kommt der alte
Freund, der ein Lebensalter nichts von den Freuden der Welt und
immer nur die weißgetünchten Wände von Lambert gesehen hat, auf
die richtige Fährte."
„Wie gesagt, es fehlte die günstige Gelegenheit. Mit Monsieur
Gerard glaubte ich sie ins Haus treten zu sehen. Er wird mindestens
auf sechsmalhunderttausend Francs eingeschätzt."
„Nicht zu verachten," sagte Serrurier.
„Er sucht parzellierten Boden im Weichbild von Paris. Weih
der Kuckuck, wie er darauf verfallen sein mag. Aber was in solch
echtem Limburger Dickschädel einmal sitzt ..."
„Das soll man um Himmels willen nicht daraus verjagen! Sehr
richtig!"
„Und wenn ich ihn hierherführen kann, das hoffe ich Ihnen
morgen früh sagen zu können. Bis dahin wird er meine Benach-
richtigung bestimmt erhalten haben."
„Ja, aber seine Antwort? Mir bleibt nur noch morgen Zeit ..."
„Das sage ich ja. Morgen kann Monsieur Gerard hier sein."
„Machen wir die Stunde fest. Eine frühe Nachmittagstunde.
Abends müssen wir reisen."
Der Kellner steckte sein Gesicht in die Tür. „Beliebten Sie zu
rufen, mein Herr?"
Aristide Schepen fing einen kurzen, blinzelnden Blick auf. Un-
willig drehte sich Serrurier herum. Doch da war das Gesicht des
Kellners auch schon wieder unbeweglich.
„Nun, da Sie da sind, mein Freund," sagte Schepen, „bringen
Sie noch einmal die gleiche Marke. Man kann nicht auf einem
Beine stehen."
„Ich sagte ,wirh" begann Serrurier. „Es kam ein junger Mann
von Lharembeaur mit mir in unserer Geschäftsangelegenheit hierher.
Wie gesagt, es wäre mir nur möglich, den Herrn aus Limburg noch
hier zu sprechen, wenn er nachmittags käme. Könnten wir uns in
Ihrer Wohnung treffen?"
„Wo Sie wollen. Ich glaube, mich dafür verbürgen zu können,
dah er eintrifft. Nun aber erlauben Sie, dah wir davon sprechen,
was im Falle eines zustandekommenden Abschlusses für mich abfiele."
„Darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren, alter Freund!"
Serrurier klopfte ihm auf die Schulter. „Kannten Sie mich je als
Knicker? Ich biete Ihnen gut und gern, was zurzeit mehr als der
Brauch ist: sagen wir fünfzehn Prozent."
Schepen dachte der Mahnung des Detektivs. „Auf fünfund-
zwanzig hatte ich gerechnet ..."
„Was, der Tausend! Sind Sie bei Trost?" Serrurier lächelte.
„Das gibt Ihnen niemand."
Da kam der Kellner mit der frischen Flasche. Schepen vermied
es, ihn anzusehen. Er fühlte, daß er sich nicht mehr lange zu be-
herrschen vermochte; er mußte zu Ende kommen.
„Es ist das meine Forderung, die Sie mir zugestehen müssen."
Dabei sah er nicht auf und rieb den Rand seines Glases. Die Ver-
legenheit entging Serrurier nicht, er sah sein Gegenüber forschend an.
„Muß? Ich muß Ihnen nichts zugestehen, gar nichts," erwiderte
er nachdrücklich. „Ich bin auf diesen Mann nicht angewiesen. Wenn
ich auch offen sagen will, daß es töricht wäre, eine Henne davon-
huschen zu lassen, die so schöne goldene Eier legen kann. Um so mehr
scheint Ihnen an meinem Zugeständnis zu liegen, alter Freund!

Wie mir scheint, brauchen Sie dringend eine Summe. Jetzt begreife
ich, warum Sie sich an mich erinnerten. Sie werden zugeben, daß
es nicht alltäglich ist, das Schweigen langer Jahre plötzlich zu unter-
brechen. Auch täuschen Sie mich nicht mit Ihrer forschen Art,- die
Sie heute zeigen, über die Verlegenheit, in der Sie sich befinden.
Gestehen Sie, Aristide Schepen!"
„Ich? Was denn? Ich dachte nur — das gute Geschäft sollte
man zu machen suchen; der Mann ist unerfahren wie ein Kind. Die
Gelegenheit bietet sich so leicht nicht wieder."
„Alter Freund!" Schepen zuckte unter dem Schlag, den ihm
Serrurier freundschaftlich-derb auf die Schulter versetzte, ordentlich
zusammen. „Sagen Sie mir in aller Spitzbubenehrlichkeit, wieviel
in der Kasse fehlt!"
Schepen stöhnte. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
„Seien Sie offen! Und Sie sollen die Summe haben; morgen
schon unter Umständen." Die lauernden Blicke Serruriers ließen ihn
nicht los. Schepen war schon daran, aufzuspringen und fortzustürzen.
Da bewegte sich der grüne Vorhang. Sekundenlang war des Kellners
Gesicht zu sehen. Hatte der genickt? Da verstand der Bankbeamte
blitzschnell, um was es sich handelte. Dieser Serrurier hielt ihn für
seinesgleichen, sah ein Werkzeug in ihm, das er sich gefügig machen
wollte. Er durchschaute den Elenden, der ihm zutraute, was er selbst
getan hatte. Und der jäh in ihm aufsteigende Ekel vor diesem Men-
schen gab ihm die Kraft, seine falsche Rolle zu Ende zu spielen.
„Eine verfehlte Spekulation. Sie haben es erraten. Ich dachte
an Sie. Sie sollten mein Retter werden."
„Die Summe, wie hoch?"
„Oh, keine zehntausend. Ich könnte sie ersetzen, aber ich hänge am
Geld ..."
Serrurier lachte. Sein Gesicht erheiterte sich zusehends: „Schön,
mein Lieber, Sie sollen mich nicht umsonst gerufen haben. Wir
beide gehören zusammen. Ich sagte schon, in diesem famosen Brüssel
ist eine Menge zu schaffen. Ohne weiteres sollen Sie fünfundzwanzig
Prozent haben. Der Fall Gerard wird Ihr Gesellenstück sein. Morgen
sollen Sie den ersten Gewinn einstreichen. Sagen wir um vier in
Ihrer Wohnung. Sie werden Freude haben, wenn wir den ersten Vogel
zusammen gehörig rupfen. Stoßen wir auf unser Geschäft an!"
Die Gläser klangen.
„Ich muß bis fünf Uhr im Geschäft sein. Es könnte auffallen,
wenn ich eine Ausrede mache. Wäre es nicht gut, wenn ich Monsieur
Gerard auf sechs Uhr bestellte? Wäre es dem Manne gegenüber nicht
auch unverfänglicher, wir träfen uns wieder hier, statt in meiner
Wohnung?"
Serrurier nickte. „Sie gefallen mir immer besser, Schepen!
Sie fangen an, für unser Geschäft zu denken. Ihre Erwägung hat
etwas für sich. Schleppen Sie den Mann Punkt sechs hierher.
Aber es ist die äußerste Stunde. Sieben Uhr dreißig geht mein Zug,
den ich eigentlich schon heute benützen wollte."
„Und wohin gebe ich Ihnen Nachricht, daß alles bereit ist?"
„Rufen Sie die Nummer 2711 an. Ich wohne in einer Privat-
pension."
„Und Sie werden am Fernsprecher selbst sein? Ich werde meinen
Namen nicht nennen. Ich werde sagen, ich sei Monsieur Gerard."
„Gut. Die Not macht Sie erfinderisch. Sie haben recht. Vor-
sicht überall — auch, wo sie nicht so notwendig ist, wie in diesem Fall.
Denn der Fernsprecher hängt in meinem Zimmer in der Vorstadt
Laeken."
„So wäre alles erledigt."
„Alles!" Jean Serrurier trank den Rest seines Weines. „Ver-
schwiegenheit brauche ich nicht zu empfehlen. Denken Sie an die
Zukunft! Sie soll golden werden. Und noch eins! Denken Sie
nicht etwa daran, Ihre Stellung bei Lambert aufzugeben!"
„Weshalb nicht?"
Da lachte Serrurier wieder laut auf. „Weil wir die gute Firma
noch recht oft und ausgiebig gebrauchen werden, mein lieber Ge-
schäftsfreund! Aber darüber lassen Sie uns später sprechen. Sie
bringen Gerard, wenn er an der Angel zappelt, persönlich nach
Paris."
„Zu Eharembeaur L Co.!" Schepen erhob sich. „Ich werde mich
freuen, die Firma kennen zu lernen."
„Die sollten Sie kennen," sagte Serrurier lachend, nach dem
Mantel greifend. „Oder glauben Sie im Ernst, daß dieser Monsieur
Eharembeaur ein Mensch von Fleisch und Blut ist?"
„Natürlich nicht! Ich verstehe!" Nun lachte auch Aristide Schepen.
Lachte aus befreitem Herzen, daß die schwere Stunde vorüber war.
 
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