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Heft 27

DasBuchfürAlle

64S


Geldgeschäfte sitzen hat. Daß sich die Abfahrt des Gauners um
einen Tag verzögerte, verdanken wir der Mithilfe eines hiesigen
Bankbeamten, der — zum Schein natürlich nur! — weitere der-
artige unsaubere Geschäfte mit ihm zu machen versprach. Doch da
sind wir! Der eine Herr ist ein Reeder, ein Holländer, namens
van Jerckeu, mit dessen Wagen wir gleich nach Laeken hinausfahren
werden. Der kleinere ist mein hiesiger Kollege Martin. Mich selbst
entschuldigen Sie wenige Minuten, da ich eine Maske anlegen mutz."
„Ehe wir uns trennen, bitte ich Sie noch, diesen Brief entgegen-
zunehmen."
„Einen Brief? Von Herrn Bahr?"
„Nein, von Kommerzienrat Lürsen, der sich bei Herrn Bahr
oft nach Ihrem Aufenthalt
erkundigte. Als er hörte,
das; ich zu Ihnen führe,
überbrachte er mir den
Brief mit vielen Grützen,
und Sie möchten ja recht
bald von sich hören lassen."
„Soll geschehen!" Ralf
Recking lächelte und steckte
den Brief ein. Er winkte
Herrn Martin herbei und
machte ihn mit Fräulein
Hempel bekannt. Dann sah
er auf seine Uhr.
„Ich bin in fünf Mi¬
nuten zurück. Fräulein
Hempel wird gut tun, et¬
was zu essen. Im übrigen
bleibt alles wie abgemacht.
Der letzte Akt im Land¬
haus wird kurz werden; in
der .Forelle' wäre nur ein
unnötiger Auflauf entstan¬
den. — Ah, da ist ja auch
Mij.cheer van Jerckeu!"
Zwanzig Minuten vor
zwei Uhr trat Ralf Recking
in das Frühstückszimmer.
Er trug eine aus leicht er¬
grauten Haaren gemachte
Perücke,und FräuleinHem-
pel sagte lächelnd: „Wissen
Sie auch, wen: Sie ähnlich
sehen?"
„Run?"
„Herrn Bahr. Nur deu
Bart brauchten Sie noch
wie er zu tragen. Sogar
Ihr Anzug hat denselben
Schnitt wie Herrn Bahrs
Anzüge."
Der Detektiv lächelte.
„Der Bart wird im ge¬
eigneten Augenblick nicht
fehlen."
Zu viert stiegen sie in
den Kraftwagen. Auf dem
Vordersitz satz Fräulein
Hempel neben Mijnheer
van Jerckeu, der ein ernstes Gesicht machte. Den Rücksitz hatten Herr
Martin und Ralf Recking eingenommen. Der Führer war, an Stelle
von dem des Reeders, ein wegekundiger Beamter der Brüsseler Polizei.
„Für alle Fälle," sagte Herr Martin, „habe ich eine Art unter
den Sitz gelegt, falls wir die Türe sprengen müssen."
„Nur kein Jagdfieber!" mahnte Ralf Recking. „Ich habe mich
als Aristide Schepen telephonisch angemeldet. Bis zum Haustor
schütze ich mich durch einen Sonnenschirm vor lästigen Blicken. Hat
er dann einmal geöffnet, so werde ich dafür sorgen, datz er dem
Dienstmädchen keine Befehle mehr geben kann, die Sie zurückhalten."
„Und Ihr Revolver?"
„Sechsläufig. Seien Sie unbesorgt, lieber Kollege. Ich liebe
keine blutige Arbeit."
„Das glaube ich, aber man kann doch nicht wissen ..."

„Dschiudschitsu!" sagte der Deutsche, einen leichten Rauchring blasend.
Herr Martin schwieg und betrachtete Fräulein Hempel. Er fand
sie auffallend hübsch und anziehend.
„Ich komme nächstes Jahr bestimmt nach Berlin," sagte er.
Aber niemand antwortete. So fuhren alle vier schweigend eine
Weile. Der Wagenführer war der erste, der sprach: „Noch vier-
hundert Schritt, meine Herren!"
„Um Gottes willen!" rief Herr Martin. „Langsam fahren, halten!"
Im nächsten Augenblick stand der Wagen. Ralf Recking verließ ihn
mit seinem Schirm als erster. Wenige Schritte später stietz er auf
einen Nichtstuer, der an einem Zaun lehnte und gemütlich eine pech-
schwarze Zigarillo rauchte. Aus verschlafenen Angen blinzelte der den
Vorüberkommenden an; als
der Detektiv ihn franzö-
sisch leise fragte: „Nichts
Neues?", gab er, ohne seine
gemütliche Faulenzerstellung
zu ändern, ebenso leise zu-
rück : „Eben wurde ihnen das
Essen gebracht. Suppe, zwei
Gänge, Obst. Für drei Per-
sonen. — Galgenmahlzeit."
Fünfzig Schritt weiter-
kauerte einLeierkastsnmann.
Er streckte dem Detektiv
seinen abgegriffenen Hut
hin. Als Ralf Recking eine
Silbermünze hineingleiten
lietz, lispelte er: „Sie dürf-
ten jetzt beim Nachtisch sein,
mein Herr Kapitän."
Ralf Recking lächelte be-
friedigt. Seines Kollegen
Leute hatten offenbar den
Ehrgeiz, ihm als Ausländer
ihre Findigkeit in glänzen-
dem Lichte zu zeigen.
Im Vorgarten sprengte
ein hinkender Gärtner den
Rasen und sagte: „Erster
Stock rechts."
Der Detektiv hielt den
Schirm aufgespannt. Eine
Sekunde ruhte seine Hand
zögernd auf dem Drücker
der Haustür; aus dem Erd-
geschoß kamen die Klänge
eines Klaviers. Irgend ein
neuer Gassenhauer wurde
gespielt, mit hartem An-
schlag und zu viel Pedal.—
Dieses Spiel der Katze mit
der Maus war Ralf Recking
unbehaglich. Er stietz die
Tür auf und stieg rasch die
Stufen bis ins erste Geschütz
empor. Dann zog er am
Glasgriff der altmodischen
Klingel. Schritte kamen,
und eine Männerstimme
sagte: „Lassen Sie ..."
Als der Herr die Tür aufritz, schreckte er zurück und schien Lust
zu haben, sie sofort wieder zu schließen. Aber Ralf Recking fragte
ebenso schnell: „Herr Fran?ois Souls, nicht wahr? Ich komme von
der Meldeabteilung und soll Sie einiges fragen."
„Fassen Sie sich kurz," antwortete Serrurier, der den falschen
Bart wie am vorhergehenden Abend trug. „Ich reise mit meiner
Familie noch heute nachmittag. Ich wüßte nicht, was die Melde-
abteilung da noch von uns wünschen sollte."
„Nur eine Formsache, mein Herr," gab der Detektiv zur Ant-
wort. „Darf ich eintreten? Ich benötige Tinte."
Der Detektiv gewahrte in Serruriers Gesichtsausdruck eine
Mischung von Mißtrauen und Ärgerlichkeit; er überhörte den ge-
reizten Ton des Mannes: „Halten Sie mich nicht auf. Wir sind beim
Mittagbrot, und ich erwarte jeden Augenblick einen Geschäftsfreund."

Die ukrainische Delegation
Rittmeister v. Kotschubey,

Phot. Berl. Illustrations-Gesellschaft IN. b. H., Berlin,
in Berlin: Unterstaatssekretär v. Paltoff,
Ministerpräsident v. Lysogub.
 
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