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652 DasBuchfürAlle Heft 28

sie ihnen aus. Die Augen, mit denen sie eure Weiber begehrten, wir
durchbohren sie mit glühenden Eisen. Für jeden Schlag, den ihr er-
litten habt, einen Todesstoß, für jeden Seufzer einen Sterbeschrei,
für jede Träne einen Scheffel Blut! Nieder mit den Tyrannen!"
Ungeheures Toben begann. Ein irrer Taumel kam über die rohe
Schar. In wilder Raserei wurde alles in der Stube kurz und klein
geschlagen. Niemand dachte mehr an Branntweintrinken. Zerstören,
vernichten, von der Erde vertilgen wollten sie, was Herrengut war.
Der alte Prjö, schon lange durch den Lärm aus dem Schlaf ge-
schreckt, wagte nicht einzugreifen,- jetzt kam er jammernd herbei-
gelaufen. Nachdem der Verwalter tot war, würde man ihn für alles
verantwortlich machen. Er schalt, drohte und bat, aber niemand
achtete auf ihn, und als er sie mit Gewalt zurückhalten wollte, wurde
er über den Haufen gerannt.
Aus allen Häusern kamen nun auch die letzten Gutsleute herbei,
die sich bis dahin noch zurückgehalten hatten. Bald waren sie alle vom
wüsten Taumel der sinnlosen Menge ergriffen. Von der Gesindestube
aus wälzten sich die blindwütenden, rasenden Massen über den Hof,
in die Scheunen, in die Ställe, in das Verwaltergebäude, wo Stjepan
Julewitsch mit erstarrtem Gesicht lag. Sie plünderten ohne Scheu,
denn jetzt brauchte sich keiner mehr vor ihm zu fürchten. Wie toll
tanzten sie um ihn herum, hielten ihm die Kienfackel unter das wachs-
bleiche Gesicht, bis sein langer Bart in Flammen aufging,- dann
warfen sie den Leichnam zum Fenster hinaus und stießen ihn mit
Füßen nach dem Misthaufen.
Dann fielen sie über das Herrenhaus her, das bisher noch niemand
zu betreten wagte. Auf dem Nößlein des Teufels reitend, das man
aus der verwüsteten Eerichtstube hervorgezerrt hatte, feuerte der rote
Spatz mit wilden Spottreden die Weiber an, die sich, nachdem die
großen Schränke erbrochen waren, um das feine Linnen zu prügeln
begannen. In den Herrschaftszimmern wurden die kostbaren Möbel
zerschlagen, klirrend stürzten die großen Spiegel von den Wänden;
was des Raubens wert erschien, wurde in die seidenen Vorhänge
geknüpft und mitgeschleppt.
Als die herbstliche Sonne mit blutigem Schein über dem Mutter-
berg aufstieg, von düsterem, zerrissenem Gewölk umgeben, war das
schöne Gut Kostifer ein wüster Trümmerhaufen, und aus dem Tore
ritt, umringt von einer brüllenden, mit Sensen, alten Flinten und
verrosteten Schwertern bewaffneten Menge, das rothaarige Weib,
um den Zug der Rache zu beginnen.
ls Arwi am Morgen erwachte, fand er Maila tot. In dumpfem
Schmerz trug er sie hinaus und legte sie in das bereifte Moos.
Wie funkelnde Sterne blitzten rings um sie her die Tautropfen
in der Morgensonne, und über ihr wölbten sich die grauen Zweige
der alten Erle. Dann riß er die Hütte nieder und schaufelte an der
Stelle, wo sie gestanden hatte, zwischen den mächtigen Wurzeln des
alten Baumes ein Grab. Da hinein bettete er sie, breitete ein Bären-
fell über sie aus, bedeckte es hoch hinauf mit Erde und Moos und
legte das Elchgeweih darauf. Der Reif hatte die Vertiefungen der
Schriftzüge, die er einst in glücklichen Tagen in die Schaufeln ein-
gegraben hatte, mit blitzenden Perlen angefüllt,- verheißungsvoll
funkelte es aus ihnen: „Heim der Freiheit".
Lange stand Arwi sinnend; dann richtete er sich entschlossen auf.
„Ja, das ist die Freiheit!" sagte er zu sich selbst. „Aber es muß noch
eine andere geben, eine, die für dieses Leben gilt."
Dann blickte er zum letztenmal abschiednehmend auf Mailas Grab,
hing die Büchse über die Schulter und verließ das Moor.
uerst wollte Arwi nach Kostifer gehen und dann nach Reval, wo
an diesem Tage die Ritterschaft zusammenkommen sollte. Ob
nun die Gefährten mitzögen oder nicht, er wollte allein vor die Herren
treten und zu ihnen sprechen. Er wollte sich Gehör verschaffen, und
niemand würde ihn hindern können zu sagen, was gesagt werden
mußte. Daß dem rechtlosen Volke jetzt die Augen aufgegangen seien,
würde er sagen, daß es sein Recht fordere, das man ihm so lange vor-
enthalten habe, und daß es sich die Freiheit mit Gewalt nehmen werde,
wenn man sie ihm nicht endlich freiwillig geben würde. Mochten
ihn die Büttel dann überwältigen und in den Turm werfen. Seine
Worte sollten den Herren doch in den Ohren gellen; bis ins Herz hin-
ein sollte ihnen der Schrei nach Recht und Freiheit dringen, und nie
sollten sie wieder davon loskommen, bis die Schmach der Leibeigen-
schaft getilgt war.
In Gedanken seine Worte wägend, schritt er rüstig vorwärts,
über die Brücke am heiligen Hain hinweg der Landstraße zu, die von

St. Brigitten, mitten zwischen den Gütern Kostifer und Kusal hin-
durch, nach der Stadt führte. Die Brücke erinnerte ihn an vergangene
Tage. Dort hatte er Maila vor dem Verwalter beschützt, hier emp-
fand er zum ersten Male, wie sein Herz schlug, als sie ihn ansah, und
hier hatte er den ersten Kampf mit ihr ausgefochten. Er glaubte, den
Klang ihrer Stimme zu hören, als sie ihm sagte, er sei ein Narr,-daß
er sich für andere ins Unglück stürzen wolle, und sie möchte stark genug
sein, ihn davor zurückzuhalten. Wie ihn das geärgert und doch zu ihr
hingezogen hatte. Und wie ihre Liebe eigentlich nie über diesen
Kampf hinausgekommen war, bis ganz zuletzt. Was wohl geworden
wäre, wenn er sie damals nicht hier getroffen hätte? Er überdachte
noch einmal die Stunden des Glückes und des Leides, die sie mit-
einander verlebt hatten, und suchte sich klar zu machen, was sie ihm
gewesen war. Und je mehr er sich in dieses Sinnen verlor, um so mehr
empfand er, wie viel er ihr trotz alledem zu danken hatte.
Mitten in diesem Grübeln wurde er durch einen überraschenden
Anblick aus seinen Gedanken gerissen. Dort, wo der Weg, der beide
Güter miteinander verband, sich mit der Landstraße kreuzte, zog eine
Volksmenge vorüber. Sensen blitzten in der Sonne,-obwohl seit
Wochen kein Halm mehr auf dem Felde stand. Verwundert lief er
näher. Wüstes Schreien und Johlen klang zu ihm herüber. Endlich
war er so weit herangekommen, daß er einzelne Gestalten zu er-
kennen vermochte. Da war ja Piitri mit einer Flinte auf der Schulter.
Daneben Priidik, der Schmied, mit seinem Hammer. Und dort Aado,
der alte Trunkenbold. Lauter Leute von Kostifer, bewaffnet und von
Branntwein trunken. Und der dort mit dem dicken, roten Gesicht
und den weißblonden, borstigen Haaren, war das nicht einer von den
Kerlen, die er in der Höhle gesehen? War die Polin vielleicht auch
dabei, und hatte sie es fertig gebracht, die Männer für ihre Räuber-
bande zu gewinnen?
Voll schwerer Besorgnis kletterte er auf einen großen Stein, der
am Wegrand lag, um nach ihr auszuschauen. Wirklich, da war sie!
Hoch zu Roß! Hinter einem Gebüsch erkannte er ihr rotes Haar.
In diesem Augenblick hörte er hinter sich eine bekannte Stimme
flüstern: „Arwi! Hüte dich!"
Er schaute sich um und sah Kiwi, der hinter einem Stein am Boden
kauerte.
„Was willst du?" rief er, auf den Weg zurückspringend.
„Nimm dich vor der Polin in acht!" flüsterte der Bursche wieder.
„Sie hat dir den Tod geschworen, weil du sie im Stich gelassen hast."
„Die Polin ist mir gleichgültig. Aber was machen die Leute vom
Eutshof? Was wollen sie?" fragte Arwi erregt. Doch die Antwort
blieb aus; als er sich umblickte, war Kiwi verschwunden. Kurz darauf
sah er ihn zwischen den anderen wieder auftauchen, als sei er nie
von seinem Platze gewichen.
Ohne Besinnen ging Arwi nun auf die Leute los, die ihn gleich
darauf bemerkten und erst mit verwunderten Gesichtern, dann mit
lautem Freudengeschrei empfingen. Aado rief laut: „Seht doch,
wenn es kein Spuk der Nebelmutter ist, da kommt Arwi!" Er schlug
sich mit der freien Hand auf das Knie; in der anderen hielt er eine
Sense und die Branntweinflasche. „Beim Henker, der Arwi ist's.
Hat der aber eine feine Nase! Zum Gruß, Bruder! Kommst eben
zur rechten Zeit!"
„Wahrhaftig, der Arwi! Jetzt kann's uns nicht mehr fehlen!
Wenn er dabei ist, der Herrschaftssohn!" stimmten andere ein, streckten
ihm die Hände entgegen und bestürmten ihn mit Fragen.
Mit düsterer Miene musterte Arwi die verwilderten, schnaps-
gedunsenen Gesichter.
„Wo wollt ihr hin?" rief er laut.
Die ganze Horde antwortete mit wüstem Lachen.
„Wo wir hin wollen? Er kommt vom Mond! Wo wir hin wollen?
In die Freiheit wollen wir!" brüllte Piitri, der von Arwis Anblick
nicht erbaut war.
„Die Rote wird uns führen!" rief Aado. „Sie versteht'-.! In
Kostifer sind wir fertig. Jetzt wollen wir beim Kusaler aufräumen."
„Was heißt das? Was habt ihr in Kostifer gemacht?" fragte Arwi
weiter.
„Gute Arbeit, Bruder!" schallte es zurück. „Wirst schon mit uns
zufrieden sein."
Jetzt kam auch der rote Spatz, der weiter an der Spitze, in der
Nähe der Polin, marschiert war, angetaumelt und sprang Arwi an den
Hals. „Brüderchen!" lallte er dazu und fing vor Rührung an zu
heulen. „Brüderchen, lebst du noch? Bist wieder da? Hab' ich's
euch nicht immer gesagt? Der Arwi, das ist noch der einzige. Der
erbarmt sich unserer Not."
 
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