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Heft 28

„Ihr geht mit Dieben und Räubern zusammen?" rief Arwi, den
Kleinen abschüttelnd und auf die Wegböschung steigend, so datz er über
die anderen fort sehen konnte. „Und so wollt ihr euch die Freiheit
gewinnen?"
„Ja, das wollen wir! Nieder mit den Tyrannen! Nieder mit den
Schindern!"
„Und mit Saufen und Zerstörung denkt ihr euer Joch los zu
werden? Schämt ihr euch nicht, schon am frühen Morgen vollgetrunken
herumzulaufen?"
„Sollen wir dich erst um Erlaubnis fragen?" brüllte Piitri.
„Ja freilich, Bruder! Der Branntwein ist doch die Hauptsache!
Wenn wir keinen Branntwein haben sollen, kann uns die Freiheit
gestohlen werden! Da, sauf zu; es ist herrschaftlicher!" schrie Aado
und reichte Arwi grinsend seine Flasche.
Arwi ritz sie ihm aus der Hand, schleuderte sie weit hinter sich auf

Moor versenkt? Ein erdrückendes Gefühl hoffnungsloser Enttäuschung
krampfte ihm das Herz zusammen. Tiefes Mitleid mit diesen Un-
glücklichen ergriff ihn, mit diesen Elenden, die unter der Knute ihr
letztes Menschentum verloren hatten. Mit furchtbarer Eindringlichkeit,
wie nie zuvor, empfand er das ungeheure Verbrechen, das an diesen
Menschen begangen worden war.
Pryskas scharfe Stimme ritz ihn aus diesen Gedanken.
„Zurück!" rief sie, mit ihrem Gaul die Rasenden von Arwi ab-
drängend. „Keiner rührt ihn an. Ich selbst werde mit ihm ab-
rechnen!"
„Was willst du hier?" fragte Arwi verächtlich.
„Dir dafür danken, datz du uns an die da verraten hast!" ries sie,
mit wilder Gebärde nach Kusal hinüber zeigend.
In diesem Augenblick kam Kiwi angelaufen und schrie: „Macht,
datz ihr fortkommt! Seht ihr dort unten im Gebüsch die Flinten-


Das Wrack eines französischen Tanks.


Phot. W. Braemer,^DerM.

das Feld und rief: „Fort damit, oder euch kann niemand in der Welt
mehr helfen!"
Einen Augenblick schauten die Männer verdutzt darein. Dann
drangen sie mit wildem Geschrei auf Arwi los: „Was? Er will uns
den Branntwein nehmen? Er ist ja schlimmer als ein Verwalter!
Er ist auch ein Herrschaftlicher! Schlagt ihn tot, den Hund!"
In diesem Augenblick kam Pryska den Weg heraufgesprengt.
Schimpfend sprangen die Burschen vor dem Pferde zur Seite. Vor
Arwi hielt sie an. Ihre Augen funkelten; ihr rotes Haar flatterte
flammengleich in langen Strähnen im Winde. Mit aufeinander-
gepretzten Lippen starrte sie ihn eine Weile an: „Verräter!" stietz sie
endlich zwischen den Zähnen hervor. „So hast du dein Versprechen
gehalten?"
„Schlagt ihn tot! Nieder mit dem Herrensohn!" brüllten die
Kostiferschen wieder, auf Arwi eindringend, der, ohne Pryska an-
zusehen, in tiefem Schmerz auf die trunkene Menge herabsah.
Das waren die Menschen, denen er die Freiheit bringen wollte?
Das waren die Nachkommen eines Heldengeschlechtes, für die er das
Erbe der Kalewingen zurückzugewinnen dachte? Und darum hatte
Maila sterben müssen? Dafür hatte er das Glück seines Lebens in das

läufe blitzen? Und dort hinter den Riegen? Wir sind umstellt, ver-
raten!"
Matzlose Bestürzung folgte diesen Worten; einen Augenblick
wutzte keiner, ob er es für Ernst nehmen sollte. Da fielen von Kusal
her die ersten Schüsse. Auf der Landstraße wälzte sich eine große
Staubwolke heran, eine Reiterschar verbergend, deren Getrappel
schon deutlich zu hören war. Nun wußten sie, datz sie verspielt hatten.
Im Nu stob die ganze Horde auseinander; in die Gebüsche, die
Erdlöcher, die Wasserfurchen. Im nächsten Augenblick war nichts
mehr von ihnen zu sehen als weggeworfene Waffen.
Nur Arwi und Pryska waren noch zurückgeblieben.
Tief in Gedanken hatte Arwi sich nach den Reitern umgeschaut.
Sein Entschluß war gefaßt. Er wollte alles auf sich nehmen. Er war
der Anstifter und Rädelsführer. Ihn allein traf Schuld und Strafe.
Vor dem Richter würde er sagen, was zu sagen war. Es würde freilich
anders lauten, als er sich's gedacht hatte. Dieses Volk war nicht reif
für das Erbe der Kalewingen. Aber es dazu reif werden zu lassen,
war die heilige Pflicht derer, die das Erbe verwalteten; und das sollten
die Herren von ihm hören.
In Ruhe erwartete er das Herankommen der Reiter. Plötzlich
 
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