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DasBuchfürAlle

Heft 28

war ihm, als blitze dicht hinter ihm etwas in der Sonne. Er drehte sich
unwillkürlich rasch um und sah nun, das; Pryska vom Pferd gestiegen
war und mit gezücktem Messer auf ihn zugestürzt kam.
Er wollte zur Seite springen. Aber mit der Schnelligkeit eines
Panthers verstellte sie ihm den Weg, und ehe er sich noch schützen
konnte, stieß sie ihm das Messer in die Brust. „Du wolltest nicht mit
mir kämpfen, so sollst du wenigstens mit mir sterben!" rief sie.
„Männer, die sich an Weiber hängen, sind nicht geschaffen, Völker zu
befreien!"

E>urze Zeit darauf wurde die Leibeigenschaft in Estland von der
Ritterschaft aufgehoben. Aber erst hundert Jahre später, als
die deutschen Kanonen von der Düna herüber donnerten, fielen auch
die Schranken russischer Gewaltherrschaft. Wie die deutschen Ordens-
ritter einst dem Erbe der Kalewingen die Kultur gebracht hatten, so
brachte ihm sechshundert Jahre später das deutsche Volksheer die
Freiheit aus langer unwürdiger Knechtschaft.
Äer Tunnel. Von Wolf Heimburg.
it weiten Schritten ging Leutnant Hansen vor dem niedrigen
Häuschen, dem Quartier des Generals, auf und ab. Er
zog die Uhr aus der Tasche - schon fünf! Gegen halb sechs
»nutzte er unbedingt aufsteigen, wenn alles so gelingen sollte, wie
er sicksts gedacht. Hastig öffnete er den Pelz; ihm war heitz trotz
der erstarrenden Kälte. Seit zwei Tagen hatte er nicht mehr ge-
schlafen, seine Nerven waren aufs äutzerste überspannt; wie ein
Nachtwandelnder war er in den letzten Tagen umhergegangen,
unausgesetzt mit seinem Plan beschäftigt, von dessen Gelingen viel
abhängen konnte. Schon mehrere Male hatte er die Stelle über-
flogen, das Gelände zum Landen ausgesucht, genau den Hin- und
Rückflug in die Karte eingezeichnet und alle Einzelheiten seines
Vorhabens bis ins kleinste durchdacht. Als er eben ungeduldig um-
kehrte, erschien die Ordonnanz und führte ihn in den Raum, in dem
hinter einem kartenbedecktem Tisch der General satz. Nach kurzer
dienstlicher Begrüßung entwickelte Leutnant Hansen in kurzen Sätzen
seine Idee. Um sie besser erläutern zu können, beugte er sich über
die Karte und zog die Linie nach, um die es sich bei seinem Flug
handelte; er schilderte die Einzelheiten bis zu den geringsten Neben-
sachen. Der General begriff sofort die vermessene Kühnheit des
Gedankens. Erregt faßte er Hansen an der Schulter und preßte
halblaut zwischen den Zähnen hervor: „Gewiß, Ihre Absicht ist zu
loben, aber begreifen Sie denn nicht, daß Ihre Idee unausführbar
ist." In tiefes Sinnen verloren sah er vor sich auf den Fußboden;
dann sagte er: „Das sehe ich wohl: wenn es gelingen könnte, wir
hätten dann Zeit, unsere Angriffe hier durchzuführen — Verstär-
kungen denn Feinde können uns jetzt nicht erwünscht sein. Unsere
Lage würde sich ungeheuer verbessern." Er hob den Kopf und sah
Hansen ernst an: „Denken Sie nicht mehr daran. Ich kenne Sie
und weiß, Sie schrecken vor nichts zurück, aber ich kann einen so
ausgezeichneten Flieger nicht verlieren. Und ich muß Ihnen offen
gestehen, ich glaube nicht an einen Erfolg."
Der Leutnant begriff, daß er entlassen sei, aber er verharrte
unbeweglich. Der General sah ihn prüfend an: „Worauf warten
Sie denn; wünschen Sie sonst noch etwas?"
Leutnant Hansen begann von neuem zu erklären, von welchem
Nutzen es für die gegenwärtige Lage sein müsse, wenn es gelänge,
die englischen Truppentransporte aus Schottland und dem nörd-
lichen England auch nur für einen Tag aufzuhallen; es wäre nm-
nötig, den einen Tunnel zu zerstören, und ihm könne dabei gar
nichts geschehen. Und wenn auch — der Erfolg würde doch groß
genug sein, um den Flug zu wagen. Nach und nach erhellten sich
die Züge des Generals, seine Blicke hafteten auf den beiden Eisernen
Kreuzen, die Hansen trug. Er reichte dem Leutnant die Rechte:
„Gut, machen Sie sich fertig, Sie können sofort aufsteigen!"
Der junge Offizier schlug die Hacken zusammen, verbeugte sich
leicht und stürmte aus der Tür.
Feiner Schnee fiel vom Himmel und zerstach mit spitzen Na-
deln das Gesicht; es fror, und die Erde war weithin von Kristallen
bedeckt. Gut, dachte Hauser», das würde wenigstens einen leichten
Start geben. Kein Lüftchen rührte sich, der Tag war wie ge-
schaffen zu seiner Fahrt. Am Dorfende lag der Schuppen, in dem
das Flugzeug untergebracht war. Der Posten präsentierte; dann
gab Hansen den diensttuenden Soldaten das Zeichen, den Apparat


herauszuziehen. Leutnant Förster saß schon darin, er sollte hier
auf Hansen warten und war darüber eingenickt: „Heute gilUs was
anderes als nur Auffinden feindlicher Batterien und Beobachten der
Artilleriewirkung!" rief Hansen dem Kameraden fröhlich zu. Leut-
nant Förster war noch zu müde, um zu fragen, um was es sich handle,
und Hansen wollte ihn erst während der Fahrt aufklären. Der
Doppeldecker stand fertig und flugbereit. Das Wasser für die Kühler-
füllung war vorgewärmt; Hansen prüfte die Verspannung der Trag-
flächen, dann nahm er seinen Sitz ein. Knatternd schossen rote
Flammenzungen aus dem Auspuffrohr, dann lief der Apparat eine
Strecke weit über den Acker hin; die Zurückbleibenden sahen ihm
nach, wie er gespenstisch im Dunkel verschwand.
Langsam stieg das Flugzeug bis auf dreihundert Meter. Förster
legte cs nun leicht in die Kurve und nahm Kurs Nordwest. Zu-
nächst mußte man nach dem Kompaß fahren, und um ihn beob-
achten zu können, durfte man nur ab und zu die Taschenlaterne be-
nützen. Zuerst wurde nur von eigenen Truppen besetztes Gelände bis
,zu»n Meer überflogen, was den Fliegern bekannt war, daher konnten
sie sich in so geringer Höhe halten. Bald aber sahen sie, trotz der Finster-
nis, unten einen breiten weißen Streifen schwach heraufschimmern —
die Dünen. Dann vernahm man das ferne Rauschen und Brausen
der See. Das Schneesprühen hörte auf, ein eisiger Lufthauch
wehte von Nord. Langsam hob sich die voll glänzende Mondscheibe
aus dem Meer; geisterhaft huschten dunkle Wolkenfetzen drüber hin.
Es war Heller geworden. Langsam stieg der Doppeldecker, um hinter
Wolken zu kommen. Noch rauschte die See, hell glänzten weiße
Schaumkämme langer Sturzwellen zu den Fliegern herauf. Leut-
nant Hansen zog die Uhr; neun vorüber. Nun waren sie fast vier-
einhalb Stunden unterwegs. Er spähte scharf nach links und er-
kannte trotz der winzigen Kleinheit im Dunkel viele Lichter, die in
langer, schnurgerader Linie, immer eins neben dem anderen ver-
liefen, und dann unzählige Scheinwerferstreifen, die das Meer und
den Himmel absuchten. Um schärfer sehen zu können, griff er »»ach
dein Feldstecher; das mußte die englische Küste sein. Fast die Hälfte
der Fahrt lag hinter ihnen, und sie waren noch nicht bemerkt worden.
„Höher!" schrie Hansen dem Kameraden zu; Förster nickte, und der
knatternde Apparat stieg bald darauf in die Wolken hinein. Der
Höhenmesser zeigte zweitausend Meter. Den Kompaß, der neben
ihm in» Kugelgelenk pendelte, benutzte man nicht mehr; jetzt war
es nur nötig, immer der Küste entlang bis zur Themsemündung
zu halte»», dann erst »mißten die Flieger weiter nordwestlich
schwenken. Der Wind wurde eisig; Hansen zog sich die Schutzhaube
über den Mund, und mit gespannten Sinnen verfolgten beide den
Lauf der ununterbrochenen Lichterreihe; manchmal benahmen dicke,
weißgraue Wolkenzüge die Aussicht. Gegen elf stellten sie fest,
daß sie sich fast unmittelbar in Höhe von Southend befinde»» mußte»».
Bei der Schwenkung nach Westnordwest mußten sie fast fünfund-
zwanzig Grad über die beabsichtigte Richtung in den Wind Hineinlenkei»,
um die Abtrift zu parieren. Zu ihrer Linken leuchtete der Himmel
bis hoch hinauf rötlichweiß wie bei einer Feuersbrunst; das mußte der
Lichtschein der Riesenstadt London sein. Sie flogen in zweitausend-
fünfhundert Meter Höhe; manchmal konnten sie durch eine»» Wolken-
riß die seitlich unten in» Mondschein einer kalten Winternacht liegende
Gegend erkennen; dort die Themsemündung, die Schlachtschiffe auf ihr
in der Nähe von Gravesend, kenntlich an ihren unzähligen spielenden
Scheinwerfern. Das Rauschen des Meeres hörte auf, sie sahen
wieder Land unter sich. In einem Halbkreis umflogen sie den ge-
waltige»» Feuerschein; zuletzt stand er immer mehr links neben ihnen,
dann weit hinter de»»» Doppeldecker, schließlich wurde er schwächer
und matter. Um ein Uhr fünfzehn lag Watford unter ihnen; kaum
»»»ehr fünfzehn Minuten waren sie vom Ziel entfernt. Der Apparat
folgte jetzt genau der dünnen weiße»» Linie des Bahnkörpers. Plötz-
lich hörte sie auf, um sich erst wieder weit, weit dahinter fortzusetzen.
Sie waren angelangt !
Förster drosselte den Motor, und Hansen zeigte ihn» die Landungs-
stelle — en» »veites, viereckiges, von hohen Knicks eingesäumtes
Feld. Beinahe senkrecht schoß der Apparat in winzigen Spirale»» ab-
wärts und landete in leichte»»» Gleitflug fast unmerklich auf fest-
gefrorenem Ackerboden; einige Meter lief er noch springend dahin,
dann stand er still. Sofort spränge»» Hanse»» und Förster heraus
und hoben die zwanzig Kilo Dynamit unter dem Sitz hervor. Wäh-
rend Hansen sich aller überflüssigen Kleider entledigte, wendete
Förster den Apparat und »nachte ihn zur sofortigen Abfahrt bereit.
Die seelische Unruhe der letzter» Tage war vollkommen gewichen,
klar und kalt übersah Hanse»» sei»» waghalsiges Vorhaben. Wilde
 
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