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DasBuchfüvALK

Heft 12

Er hörte aus dem Ton ihrer Stimme und ihren Worten, daß es
ihr Ernst war mit dem, was sie sagte, und lenkte schnell ein: „Na ja,
bleiben wir dabei, daß wir Verwandte sind. Ein Vetter aber darf
seine Base lieben, rein verwandtschaftlich natürlich; dieses Recht
nehme ich für mich in Anspruch," sagte er in erzwungen scherzen-
dem Ton.
Steffani antwortete nicht; sie hatte ihre Hand seinem Arm ent-
zogen, und so traten sie nebeneinander auf den großen erleuchteten
Platz vor dem Hause, wo die meisten der Gäste in zwanglosen Gruppen
umherstanden. Steffani erblickte sogleich Jolan Minsky und neben
ihr noch immer Rüdiger, aber nicht mehr allein mit ihr; sie unter-
hielten sich mit Frau v. Wyborg und einigen anderen Personen.
„Ah, die beiden Unzertrennlichen!" sagte Jolan Blinsky, als sie
Steffani mit Treben aus den Schatten der Büsche kommen sah;
ihre Helle Stimme klang so laut, daß aller Augen sich den beiden zu-
wandten. Mit liebenswürdigem, ein wenig boshaftem Lächeln
wendete sich die Polin an Steffani: „Das erinnert an alte Zeiten,
liebste Steffani, wenn der Herr Papa schalt, weil seine Alteste sich
mit dem lieben Vetter zu lange abgesondert!" Sie lachte, und ihre
schwarzen Augen funkelten vergnügt, sie freute sich, durch ihre Be-
merkung Steffani in Verlegenheit zu bringen.
„Aber beste Frau v. Minsky!" sagte vorwurfsvoll Frau v. Wyborg.
Das unsichere Licht, das die bunten Lampions verbreiteten,
ließ nicht erkennen, ob Steffani errötete. Sie selbst fühlte, wie eine
dunkle Blutwelle sich über ihr Gesicht ergoß; sie war so überrascht
durch den unvermuteten, boshaften Angriff, daß sie kein Wort der
Entgegnung fand.
Sie sah Rüdiger an, der ihr zugewandt stand, und las leises Er-
staunen in seinem Blick. Da kam ihr Hilfe von unerwarteter Seite;
eine der Damen, für welche sie die Kissen geholt, wendete sich ent-
schuldigend ihr zu: „Liebste Gräfin Drehsa, bemühten Sie sich denn
wirklich wegen uns? Es tut mir so leid, aber es wurde uns zu kühl
auf der Bank, und Frau v. Minden meinte, Sie würden ja doch auf-
gehalten werden und nicht Zeit finden, uns die Kissen zu bringen,
wie Sie so liebenswürdig die Absicht gehabt."
„Ich fand Sie leider nicht mehr, als ich mit den Kissen an die
Bank kam," sagte Steffani.
„Verzeihen Sie, es tut mir so leid, daß Sie sich umsonst damit
bemühten!"
„Aber bitte, das hat nichts zu sagen, gnädige Frau, Herr von der
Treben, den ich traf, hat die Kissen getragen."
Damit war ihr Zusammensein mit Treben erklärt für alle, die
das als Erklärung annehmen wollten; aber Frau v. Wyborg konnte
sich nicht enthalten zu fragen: „Na, und wo habt ihr denn nu die
Kissen gelassen? Hinten im Garten? Da werden se doch im Nachttau
verderben."
„Man wird sie später hereinholen," erwiderte Steffani.
Darauf wendete sie sich ab und ging langsam dem Hause zu,
aber ehe sie noch die Veranda erreichte, holte ihr Bruder Ebbo sie
ein, schob seine Hand durch ihren Arm und sagte mit verhaltener
Stimme: „Ich muß dich einen Augenblick allein sprechen, aber nicht
hier — komm bitte mit in mein Zimmer."
In Ebbos Zimmer brannte matt eine Lampe, und bei ihrem Schein
sah Steffani, daß Ebbo sehr blaß war. Seine Lippen zuckten, und
sein Blick wich scheu ihrem forschenden aus.
„Was gibt es denn?" fragte sie beunruhigt.
Einen Atemzug lang zögerte er.noch, dann sagte er gerade heraus
mit gezwungener Stimme: „Ich habe Pech gehabt. Ich brauche
bis spätestens morgen abend dreitausend Mark. Kannst du sie mir
geben?"
Erschrocken faltete sie die Hände: „Aber — bester Ebbo! ..
„Kannst du es oder kannst du es nicht? Weiter brauchst du mir
nichts zu sagen," drängte er aufgeregt.
Sie sah den Bruder betroffen an. Seine sonst so fröhlichen,
sorglosen Augen zeigten einen Ausdruck von Verzweiflung, der sie
namenlos erschreckte.
„Ich habe kein Geld, Ebbo. Dreihundert könnte ich dir geben,
aber mehr nicht," sagte sie leise.
Er sah verdrossen vor sich hin und versuchte seine Enttäuschung
zu verbergen. Da legte sie die Hand auf seinen Arm: „Ebbo, du hast
gespielt? — Ist es eine Ehrenschuld?"
„Ja!"
„Ich will Rüdiger bitten ..."
„Nein," unterbrach er sie rasch, „Rüdiger darf davon nichts er-
fahren!"

„Warum nicht? Er kann dir helfen, und er wird es tun."
Seine Stirn wurde brennendrot, als er gepreßt sagte: „Er hat
mir schon zweimal geholfen."
„So wird er es auch ein drittes Mal tun — wenn ich ihn darum
bitte."
„Ich glaube dir," stammelte Ebbo, „aber das zweite Mal ver-
sprach ich ihm — ich tat es freiwillig — nicht wieder zu spielen ..."
Er senkte die Stirn: „Es geht nicht, du verstehst ..."
„Wie konntest du — ich bitte dich, wie konntest du dann . .." rief
Steffani.
Er zuckte die Achseln und begann sich zu entschuldigen: „Du weißt
nicht, wie das ist, Steffi, man kommt dazu, ohne selbst zu wollen;
ich hatte es mir ja auch fest vorgenommen, nicht mehr zu spielen!"
„Wenn ich Rüdiger nicht um das Geld bitten soll, dann — mußt
du Papa beichten," sagte Steffani.
„Unmöglich! Er kann nicht zahlen, und wenn er es kann und tut,
dann muß ich den Abschied nehmen. Das aber will ich nicht tun."
„Tante Agathe vielleicht ..."
Ebbo wehrte mit müder Bewegung ab.
Beide schwiegen einige Zeit. Ebbo überlegte und fand, daß er
Treben darum bitten müsse. Ihm schuldete er allerdings schon einen
ansehnlichen Betrag» und einmal hatte Treben ihn auch ziemlich
schroff abgewiesen, ihn als lästigen Bittsteller behandelt, aber jetzt —
er hatte bemerkt, wie sehr der Vetter sich wieder für Steffani inter-
essierte — jetzt würde er Steffanis Bruder in ihm sehen. Das
Blut stieg ihm plötzlich ins Gesicht; er biß sich auf die Lippen: nein,
er durfte nicht als Bittender zu ihm gehen, durste nichts von ihm
annehmen.
Steffani beobachtete den Bruder; seine Qualen gingen ihr nahe,
denn sie liebte ihn sehr, von jeher war ihr Ebbo von allen Geschwistern
am nächsten gestanden.
„Laß es mich Rüdiger sagen — er wird verstehen ..." bat sie
leise.
Er stand zögernd; Scham schnürte ihm die Kehle zusammen,
aber die Angst vor dem, was geschehen mußte, wenn er die Ehren-
schuld nicht tilgen konnte, überwog; er sah auf, zwang ein Lächeln
auf seine Lippen: „Ich weiß ja, daß du mir helfen würdest, wenn du
könntest, Steffani."
„Ja, ich wollte wohl, aber — ich selbst habe kein Geld!"
„Könntest du Rüdiger darum bitten, ohne ihm zu sagen, für wen?"
Sie erschrak vor dem Gedanken.
„Er würde doch danach fragen."
„Könntest du nicht sagen, du brauchst es für dich?"
„Ebbo, das kannst du mir nicht zumuten!"
Sie sah so bestürzt aus, daß er sofort einsah, sie würde sich dazu
nicht entschließen.
„Nein, ich mute es dir auch nicht zu, es war nur so — ein Ge-
danke," murmelte er, wendete sich ab und ging langsam zur Türe;
dabei sagte er halblaut in einem Ton, der trotz der scheinbaren Ruhe
zuletzt wie ein Aufschluchzen klang: „Wenn es nicht geht, gehe ich in
die Binsen."
Steffani ergriff ihn am Arm und hielt ihn zurück: „Du machst
keine Dummheiten, Ebbo, hörst du?"
Mit einer ungeduldigen Bewegung suchte er seinen Arm zu be-
freien: „Laß nur, Steffi, ich finde schon noch jemand, der mir hilft."
Sie begriff. Wucherern wollte er sich in die Hände geben!
Ein dunkles Angstgefühl erfaßte sie bei dem Gedanken; atemlos
sagte sie: „Nein, nein, warte, Ebbo, ich will doch versuchen, dir das
Geld zu verschaffen."
„Von wem?"
„Von Rüdiger."
„Ohne ihm zu sagen, daß ich dich darum gebeten?"
„Ich will es versuchen — ich telegraphiere dir morgen."
„Du versprichst mir, ihm kein Wort zu sagen, daß es für mich ist?"
„Ja!"
„Dafür verspreche ich dir hoch und heilig, nie wieder eine Karte
anzurühren!"
„Du hast das schon einmal getan."
Beschämt senkte Ebbo den Blick: „Du hast recht, mir nicht zu
glauben, aber ich weiß, du bringst ein Opfer für mich, und du sollst
es nicht umsonst gebracht haben. Dir werde ich mein Versprechen
halten!"
„Ich will daran glauben," sagte sie leise.
Zusammen gingen sie zurück, Steffani mit bedrücktem Herzen,
Ebbo hob wieder freier den Kopf; er war sicher, daß er das Geld
 
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