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Bergner, Heinrich [Editor]
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen (Band 24): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Naumburg — Halle a. d. S., 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.25507#0030
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Einleitung. II. Geschichte.

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und feindlichen Truppenzügen heimgesucht wurde. Dazwischen hinein fielen
nun noch einige andere schwere Unglücksfälle. Zwar die Bedrohung durch die
Hussiten und deren Abwendung durch die Jugend erweist sich als neuere Legende
— der Ursprung des Kirschfestes, das eine volle Woche mit Umzügen und einem
behaglichen Zeltleben auf der Schützenwiese gefeiert wird, liegt vielmehr in
einem Ereignis des thüringischen Bruderkrieges. — Dagegen haben mehrere
große Brände mit wahrhaft elementarer Gewalt gehaust. Schon 1260 wurde
das Moritzkloster in Asche gelegt, 1411 die Wenzelskirche, 1473 brannte die
innere Stadt nieder, 1517 lag diese abermals so völlig in Asche und Schutt, daß
„das Auge vom Marktplatz aus über die rauchenden Trümmer hinweg zu allen
Toren hinaussehen konnte.“ Das gleiche Schicksal traf 1532 die Freiheit, 1714
am 29. Juni während der Messe explodierten in der Fischgasse die Stände der
Pulverhändler, wobei 50 Menschen ihren Tod fanden und 431 Wohnhäuser ver-
brannten. Zuletzt legte ein Brand am 16. April 1716 die ganze Südseite der
inneren Stadt von der Salzgasse bis zum Holzmarkt nieder. Im Denkmäler-
bestand ist diese Sprache noch heute nachdrücklich zu lesen. In St. Wenzel ist
z. B. außer einer Fünte und einem Kelche kein Stück der Ausstattung vor
1517 gerettet.

Die Kirchengeschichte stellt uns zunächst vor die merkwürdige Tat-
sache, daß mit den Stiftungen der ersten zwei Jahrhunderte die Entwicklung so
gut wie abgeschlossen ist. Als Neugründungen nach dem 13. Jahrhundert können
nur die kleine Dreikönigskapelle am Dom und die unbedeutende Jakobskirche
genannt werden. Offenbar wachten das Domkapitel und die beiden Klöster
eifersüchtig über den Boden, und daß es ihnen gelang, die zudringlichen Bettel-
mönche ganz fern zu halten, muß geradezu in Erstaunen setzen. Und die Klöster
selbst verfielen beide ganz ähnlich seit dem 14. Jahrhundert in betrübende äußere
und innere Yerwilderung. Der Dom hat sich mit seinen zahlreichen Kapellen,
Altären und Bildern zu einer Andachtsstätte ersten Banges erhoben. Aber wir
spüren daran nicht den leisesten Pulsschlag des Gemeindelebens. Die Stifter
waren hier Bischöfe und Domherren und der Zuschnitt der Gottesdienste durch
und durch aristokratisch. Ähnlich mag es bei St. Wenzel verlaufen sein, wo
Batsherren und reiche Kaufleute den Ton angaben. Hier ist die Überlieferung
dürftig, aber das Wenige gestattet den Schluß, daß die Frömmigkeit in äußeren
Formen mit selbstbewußtem Stolz verlief. 1517 schlug Tetzel seinen Ablaßkram
beim Dom auf und machte glänzende Geschäfte, aber das Gemüt der Masse lag
noch in Banden.

Dies wird recht deutlich im Zeitalter der Deformation. Während die
führenden Kreise vorsichtig zurückhielten oder sich gar feindlich entgegen-
stellten, schlug das Herz des Volkes dem reinen Evangelium entgegen. Zuerst
1520 predigte M. Pfennig in St. Wenzel unter gewaltigem Zulauf. Er mußte vor
dem Grimm der Domherren fliehen und fand in Böhmen ein grausames Ende.
Als im Bauernkriege der gemeine Mann Miene machte, sich mit den aufständischen
Haufen zu verbrüdern und Gewalt zu brauchen, berief der Bat M. Job. Langer
aus Bolkenhayn, ließ ihn aber 1529 auf Drohungen des fernen Bischofs in kläg-
licher Angst von dannen ziehen. Da aber regte sich die Masse. In Scharen
strömte man auf die umliegenden Dörfer, um das reine Gottes wort zu hören,
 
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