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Bergner, Heinrich [Editor]
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen (Band 24): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Naumburg — Halle a. d. S., 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.25507#0161
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132

Kreis Naumburg.

lichem Detail aufgab, so klingen bei ihm doch Freiberger Motive und Formen vielfach nach.
Die weitere Untersuchung muß füglich einer Monographie überlassen bleiben. Für uns ist
es hinreichend zu wissen, daß er nach Herkunft und Schulung Obersachse, Markmeißner,
war und weder mit Niedersachsen noch mit Bamberg je Berührung gehabt hat.

Nach alledem ist es kaum eine Hypothese zu sagen, daß Bischof Dietrich
diesen großen Künstler aus seiner Heimat mitgebracht oder herangezogen hat
und daß er kurz nach Beginn des Westchores um 1250 seine Arbeit begann.
Wir können nun folgende Berechnung machen. Gemessen am gegenwärtigen
Betrieb eines Bildhauers und alle Nebenarbeiten den Gesellen zugewiesen, würde
jede der großen Figuren mit eigenhändiger Ausführung den Meister ein volles
Jahr, jedes Lettnerfeld zwei Jahre in Anspruch nehmen. Dabei müssen aber
wenigstens vier Jahre für Studien, Entwürfe und Modellierung eingerechnet
werden. Dies ergibt:

12 Stifter.

Diakon und Bischof . . .

Kreuzigungsgruppe . . .
6 große Reliefs am Lettner
2 kleine „ „

Tympanon und Täufer . .

für Studien.

12

2

3
12

1

1

4

Jahre

11

11

11

11

11

Summa 35 Jahre

wobei die Meißner Arbeiten noch außer Ansatz geblieben sind. Nun gilt aber
bei Bildhauern in diesem Material eine Arbeitszeit von 30 Jahren schon als das
Höchste, da der Kalkstaub sich in die Lunge setzt und meist einen viel früheren
Tod herbeiführt. Nach Menschengedanken kann der Meister, wenn er so selbst-
ständig und fertig, wie er sich sogleich zeigt, mit etwa 25 Jahren in Naum-
burg begann, höchstens ein Alter von 65 Jahren erreicht haben und wird, immer
die Richtigkeit seiner Ankunft auf 1250 vorausgesetzt, zwischen 1280 und 1285
gestorben sein.

Eine erhebliche Wandlung seines Stils während dieser langen Zeit fest-
zustellen, ist mir nicht möglich: Immer dieselbe Frische, Kraft und Lebensfülle.
Und so hängt auch die Zeitfolge seiner Werke noch in der Schwebe. Daß er
mit den Stiftern begann, liegt auf der Hand, und unter ihnen mögen die Eckar-
dinerpaare die frühesten sein, da sich die Eigenheiten seiner Formsprache noch
nicht so offen verraten. Ihnen kann man dann den Diakon und den Bischof
anreihen, dann den Bildfries am Lettner, die Kreuzigungsgruppe, welche ihn auf
der höchsten Stufe seines gewaltigen Könnens zeigt, schließlich das Relief des
Täufers und seinen Schwanengesang, das Tympanon im Ostchor. Wenn einmal
das kunstkritische Auge schärfer zu sehen gelernt hat, wird sich auch diese
Frage noch klarer lösen.

Die Bedeutung des Naumburgers liegt in der Kraft und Energie seiner
Naturbeobachtung und seiner dramatischen Gestaltungsgabe. Keiner seiner hoch-
begabten Zeitgenossen erreicht ihn in der Kunst, den Menschen darzustellen,
schlicht, treu, ungeschminkt, beim Mangel äußerer Schönheit und im Sturm der
Leidenschaften und Gefühle doch den Adel des göttlichen Ebenbildes an der
 
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