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Bock, Henning
Der decorated style: Untersuchungen zur englischen Kathedralarchitektur der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts — Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, N.F. 6: Heidelberg: Carl Winter, Universitätsverlag, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.57087#0016
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Einleitung

hochgotischen Ursprungs, prägte jedoch deren äußere Erscheinung so sehr um,
daß diese zu etwas Neuem wurden. Der Zusammenhang aller Einzelformen
wurde umgedeutet. Ein neues Stilideal bildete sich. Freilich verwirklichten sich
diese Wandlungen und Neuerungen immer noch im Rahmen der Kathedrale.
Bestimmte Anforderungen an Grundriß und Aufriß blieben die gleichen wie in
der Hochgotik. Nur langsam vermochten andere Bautypen und Aufgaben sich
durchzusetzen. Erst die nachfolgende Zeit des Perpendicular Style leistete nichts
Entscheidendes mehr auf dem Gebiet der Kathedralbaukunst. Seit dem Ende
des 14. Jahrhunderts traten an die Stelle der Klöster oder der mächtigen Bischöfe
als Bauherren die großen Städte oder die Colleges in Oxford und Cambridge.
Das 14. Jahrhundert war die letzte Blüte der Kathedralbaukunst. Damals
wurden fast alle stilistischen Merkmale entwickelt, die bis zur Reformation die
Architektur Englands beherrschten. Schon aus dieser Tatsache ergibt sich die
Mittelstellung des Decorated Style. Seine Aufgaben bedeuteten eine Fortsetzung
der Hochgotik. Ihre stilistische Verwirklichung und das sich in ihnen spiegelnde
künstlerische Wollen dagegen waren Grundlagen der folgenden Zeit.
Das Thema wird im folgenden so aufgefaßt, daß im wesentlichen die
Kathedralarchitektur des Decorated Style auf ihre besonderen Merkmale
untersucht werden soll. Als allgemeine Voraussetzung gilt, daß in jedem Bau-
werk alle Formen im Aufriß, im Gewölbe und in der Dekoration sinngemäß
zueinander geordnet und nicht zufällig an ihrem jeweiligen Platz verwendet
sind. Ein festgelegtes, abgestuftes System gibt die Ordnung, in der große Formen
die Hauptgliederungen festlegen und kleinere sich einordnen. Eine Hierarchie
der Formen besteht. Die Begriffe „Struktur“ und „System“ sind dabei zu unter-
scheiden. Ich spreche allgemein von der Struktur eines Aufrisses und meine
damit den Aufbau aus verschiedenen Formen und Motiven. Ein System
dagegen beschreibt eine bestimmte Weise, diese Struktur zu gliedern. Das so
definierte „System“ ist von dem Begriff der „proporzionalitä“ der Renaissance-
theoretiker zu unterscheiden. Dieser bestimmt die relative Größe der einzelnen
Formen, abhängig von einer gegebenen Gesamtgröße. Das mittelalterliche
System regelt nur die sinngemäße Abhängigkeit der Formen voneinander.
Ob im Aufriß die Arkaden hoch und spitz oder breit und niedrig stehen, hängt
von dem jeweiligen Baumeister und den lokalen Traditionen ab. Die Abmessung
der Formen bleibt irrelevant. Eine systematische Gliederung ist natürlich nicht
an bestimmte Motive gebunden, denn Systematik beruht allgemein auf einer
bestimmten Weise des Denkens und Gestaltens. Sie kann daher im Laufe einer
Entwicklung auch dort eindringen, wo früher ein „systemloses“ Gestalten üblich
war. Wenn also ein Aufriß „systemlos“ genannt wird, so ist damit kein Wert-
urteil ausgesprochen, sondern nur die Feststellung, daß er durch kein äußerlich
feststellbares System organisiert ist.
Damit ist das Prinzip dieser Untersuchung beschrieben. Die leitende Frage ist
also: gibt es in der englischen Kathedralarchitektur des 14. Jahrhunderts eine
bestimmte Systematik und wie wird sie gestaltet?
 
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