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Bock, Henning
Der decorated style: Untersuchungen zur englischen Kathedralarchitektur der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts — Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, N.F. 6: Heidelberg: Carl Winter, Universitätsverlag, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.57087#0015
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I. EINLEITUNG

Das Thema dieser Arbeit ist eine Untersuchung der englischen Kathedral-
architektur aus der Zeit zwischen etwa 1290 und 13501. Diese 60 Jahre werden
in der englischen kunsthistorischen Forschung als die Zeit des “Decorated Style”
bezeichnet, soweit man nicht an Hand der besonderen Maßwerk- oder Fenster-
formen eine Unterteilung in “Geometrical” und “Curvilinear” (Tracery) vor-
zieht. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts teilte man die Entwicklung
der Gotik von ihrem Beginn (Canterbury, Chor, beg. 1175) bis zur Reformation
(etwa 1550) in drei größere Abschnitte ein: “Early English” (etwa 1175—1250),
“Decorated Style” (etwa 1290—1350) und “Perpendicular Style” (etwa 1350
—1550). Im Vergleich zu der deutschen Einteilung in Früh-, Hoch- und Spät-
gotik gehört der Decorated Style sowohl zur nachklassischen Phase der Hoch-
gotik als auch zur beginnenden Spätgotik. Geoffrey Webb (1956) hat neuerdings
diese traditionelle Einteilung der englischen Baukunst des Mittelalters aufgegeben
und durch eine freie Anlehnung an die kontinentalen Begriffe der Früh-, Hoch-
und Spätgotik ersetzt: “Early Gothic”, “Developed English Gothic”, “The
Decorative Consequences of Westminster Abbey” und “The Genesis of English
Late Medieval Style”. Gemessen an der französischen Hochgotik, enthält die
gleichzeitige englische Kathedralarchitektur sehr viele Züge, die an eine frühere,
noch romanische Stilstufe erinnern. Es wäre aber falsch, aus diesem Grund die
Architektur um 1220 in England als „frühgotisch“ zu bezeichnen. In der eng-
lischen Gotik repräsentieren die Bauten um 1220 die gleiche Stilstufe wie die der
französischen Hochgotik — nur sind sie mit anderen Mitteln gestaltet. Als Kri-
terium des Klassischen in der Hochgotik kann man u. a. die rationelle Klarheit
und die Konsequenz in der Gliederung und der Struktur der Architektur nennen.
In diesem Sinn ist die Kathedrale in Salisbury (1220—63) in gleichem Maß
vollendet durchorganisiert wie etwa die gleichzeitige Kathedrale in Amiens.
Daher steht im folgenden der Begriff “Early English” gleichbedeutend mit
„hochgotisch“. Jedoch folge ich der weiteren Einteilung der englischen Archi-
tektur durch Webb nicht. Der Zusammenhang zwischen Westminster Abbey und
der späteren Architektur des Südwestens scheint mir nicht so eng zu sein, wie er
annimmt. Der Stil der Architektur im Südwesten Englands ist als selbständige
Einheit gesehen, abgegrenzt gegen den „Hofstil“ in London und den „dekora-
tiven“ Stil im Norden und Osten.
Die Phase des Decorated Style vermittelte chronologisch und ihrem Wesen
nach zwischen den beiden Phasen, die man als Hoch- und Spätgotik bezeichnet.
Aber sie war mehr als nur eine Übergangsepoche. Sie übernahm zwar Formen
1 Die angegebenen Jahreszahlen entsprechen den Datierungen von Pevsner (B/E) oder
Harvey (Dict.), falls nicht andere Quellen angegeben sind.
 
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