Perpendicular-Kathedrale: Canterbury
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deckt sich mit dem des Sternmusters im Gewölbe. Das Langhaus besteht also
aus einer Folge von großen Baldachinen; in ihrem System und ihrer Erscheinung
setzen sie sich aus tragenden Stützen und füllenden Dekorationsformen zusam-
men. Damit ist die endgültige Synthese der verschiedenen Elemente des Deco-
rated Style geschehen. Die Großarkade des Südwestens und das Mustergewölbe
des Hofstils vereinen sich zu einer neuen Raumvorstellung. Diese hat innerhalb
der Gesamtentwicklung der Architektur des Mittelalters die gleiche klare Voll-
endung und Ausgewogenheit wie Salisbury und Amiens. Man kann aber nicht
sagen, diese Vollendung sei aus einem struktiven Denken entstanden, weil immer
wieder von tragenden und füllenden Gliedern die Rede war. Trotz aller schein-
baren Auflösung der geschlossenen Wand bleibt diese die Voraussetzung für die
künstlerische Gestaltung des Innenraums. Im System, d. h. der sinngemäßen
Abhängigkeit aller Formen des Aufrisses voneinander, deuten die umlaufenden
Profilbänder immer die Wand an. Die Fenster mit der füllenden Dekoration
bleiben „Öffnungen“ in einer kontinuierlich vorgestellten Wand. Auch darin
steht Canterbury in der englischen Tradition, derselben, die sich über Wells,
Exeter und Salisbury zu normannischen und angelsächsischen Bauten zurück-
verfolgen läßt. Das französische System des Aufrisses mit den gestaffelten Dien-
sten ist in der englischen Architektur niemals konsequent durchgedrungen, auch
wenn sein Vertikalismus sich im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts durchgesetzt
hat; nur der französische Gedanke einer allgemeinen Systematik ist aufgenom-
men und verwirklicht worden. Der Begriff des „Baldachins“ umschreibt diese
besondere Zuordnung des Aufrisses zum Gewölbe. Die beiden Langhauswände
verlaufen nicht nur parallel einander gegenüber, sondern sie sind aufeinander
bezogen. Der Baldachin erscheint erst in Canterbury als Ergebnis einer langen
Entwicklung und Aufnahme französischer Elemente. Die vertikale Jochteilung
mußte die in England traditionelle horizontale Schichtung des Aufrisses durch-
brechen und ablösen. Die französische Abstufung der Dienste ging zwar in dieser
Rezeption verloren, aber es blieb ihr Vertikalismus. Bis zum Ende des Mittel-
alters blieb diese Art des Baldachins in England lebendig. Innerhalb der Kathe-
dralarchitektur fand sie allerdings keine Anwendung mehr, weil die Zeit der
Kathedralen vorbei war. Gültig blieb sie dagegen in kleineren Bauten wie St.
Mary in Warwick und der angebauten Beauchamp-Kapelle (Mitte 15. Jahr-
hundert), in der Georgskapelle zu Windsor, in der Kapelle Heinrichs VII. in
Westminster oder in der Kapelle des King’s College in Cambridge. Diese Bauten
gehören direkt zur Nachfolge des Hofstils, d. h. sie wurden von Baumeistern
ausgeführt, die im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert für die englischen
sance wird der Bau als ein geschlossener Körper empfunden und in architektoni-
schen Zeichnungen oder perspektivischen Ansichten dargestellt. Die Gotik kannte
diese Art der Darstellung nicht, nur den flächigen Riß. Diesem liegt die Vorstellung
eines Gliederbaues zugrunde. Wenn daher hier der Begriff „Raumkubus“ ver-
wendet wird, so beschreibt er einen Zustand, wie ihn der heutige Betrachter emp-
finden kann, ohne ihm eine historisch exakte Deutung zu geben.
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deckt sich mit dem des Sternmusters im Gewölbe. Das Langhaus besteht also
aus einer Folge von großen Baldachinen; in ihrem System und ihrer Erscheinung
setzen sie sich aus tragenden Stützen und füllenden Dekorationsformen zusam-
men. Damit ist die endgültige Synthese der verschiedenen Elemente des Deco-
rated Style geschehen. Die Großarkade des Südwestens und das Mustergewölbe
des Hofstils vereinen sich zu einer neuen Raumvorstellung. Diese hat innerhalb
der Gesamtentwicklung der Architektur des Mittelalters die gleiche klare Voll-
endung und Ausgewogenheit wie Salisbury und Amiens. Man kann aber nicht
sagen, diese Vollendung sei aus einem struktiven Denken entstanden, weil immer
wieder von tragenden und füllenden Gliedern die Rede war. Trotz aller schein-
baren Auflösung der geschlossenen Wand bleibt diese die Voraussetzung für die
künstlerische Gestaltung des Innenraums. Im System, d. h. der sinngemäßen
Abhängigkeit aller Formen des Aufrisses voneinander, deuten die umlaufenden
Profilbänder immer die Wand an. Die Fenster mit der füllenden Dekoration
bleiben „Öffnungen“ in einer kontinuierlich vorgestellten Wand. Auch darin
steht Canterbury in der englischen Tradition, derselben, die sich über Wells,
Exeter und Salisbury zu normannischen und angelsächsischen Bauten zurück-
verfolgen läßt. Das französische System des Aufrisses mit den gestaffelten Dien-
sten ist in der englischen Architektur niemals konsequent durchgedrungen, auch
wenn sein Vertikalismus sich im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts durchgesetzt
hat; nur der französische Gedanke einer allgemeinen Systematik ist aufgenom-
men und verwirklicht worden. Der Begriff des „Baldachins“ umschreibt diese
besondere Zuordnung des Aufrisses zum Gewölbe. Die beiden Langhauswände
verlaufen nicht nur parallel einander gegenüber, sondern sie sind aufeinander
bezogen. Der Baldachin erscheint erst in Canterbury als Ergebnis einer langen
Entwicklung und Aufnahme französischer Elemente. Die vertikale Jochteilung
mußte die in England traditionelle horizontale Schichtung des Aufrisses durch-
brechen und ablösen. Die französische Abstufung der Dienste ging zwar in dieser
Rezeption verloren, aber es blieb ihr Vertikalismus. Bis zum Ende des Mittel-
alters blieb diese Art des Baldachins in England lebendig. Innerhalb der Kathe-
dralarchitektur fand sie allerdings keine Anwendung mehr, weil die Zeit der
Kathedralen vorbei war. Gültig blieb sie dagegen in kleineren Bauten wie St.
Mary in Warwick und der angebauten Beauchamp-Kapelle (Mitte 15. Jahr-
hundert), in der Georgskapelle zu Windsor, in der Kapelle Heinrichs VII. in
Westminster oder in der Kapelle des King’s College in Cambridge. Diese Bauten
gehören direkt zur Nachfolge des Hofstils, d. h. sie wurden von Baumeistern
ausgeführt, die im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert für die englischen
sance wird der Bau als ein geschlossener Körper empfunden und in architektoni-
schen Zeichnungen oder perspektivischen Ansichten dargestellt. Die Gotik kannte
diese Art der Darstellung nicht, nur den flächigen Riß. Diesem liegt die Vorstellung
eines Gliederbaues zugrunde. Wenn daher hier der Begriff „Raumkubus“ ver-
wendet wird, so beschreibt er einen Zustand, wie ihn der heutige Betrachter emp-
finden kann, ohne ihm eine historisch exakte Deutung zu geben.