Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bode, Wilhelm
Die Meister der holländischen und vlämischen Malerschulen — Leipzig, 1917

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.15571#0013
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
REMBRANDT VAN RIJN

Tm Mittelpunkt der holländischen Kunst steht Rembrandt van Rijn, der Zeit nach
wie nach der Bedeutung und dem Umfang seiner Produktion. Selbst wenn
Rembrandt nicht der geniale Künstler gewesen wäre, den wir in ihm bewundern,
müßten wir uns mit ihm wie kaum mit einem anderen holländischen Maler be-
schäftigen: so außerordentlich reich und mannigfaltig ist das Werk, das er hinter-
lassen hat. Von seinen Gemälden sind uns nahezu siebenhundert noch bekannt;
sein Radierwerk ist umfangreicher, als das irgendeines anderen alten Malerradierers
Hollands, und von seiner erstaunlichen Fruchtbarkeit als Zeichner geben noch
mehr als tausend Blätter seiner Hand Zeugnis, welche, nach dem Inventar seiner
Versteigerung zu urteilen, doch nur einen kleinen Teil seiner wirklichen Leistungen
als Zeichner ausmachten. Kein Maler außer Rubens, welcher fast das gleiche
Alter erreichte, kann sich mit Rembrandt an schöpferischer Kraft und Ergiebig-
keit vergleichen, keiner übertrifft ihn im Reichtum an Darstellungsgebieten, keiner
vor allem in der Eigenart seiner Kunst, in der Fülle und Tiefe der Gedanken wie
in ihrer malerischen Wiedergabe.

Den Anwalt von Rembrandt braucht heute niemand mehr zu machen. Der
Künstler steht unserer modernen Kunstanschauung näher als Raffael und Michel-
angelo, er wird ihnen gleich geachtet und von Sammlern gleich hoch bezahlt. Als
Eugene Delacroix in sein Tagebuch die Notiz eintrug: „vielleicht kommt man noch
einmal dahinter, daß Rembrandt ein viel größerer Maler ist als Raffael", fügte
er doch noch halb als Entschuldigung hinzu: ,,ich schreibe diese Gotteslästerung,
über die allen Schulmännern die Haare zu Berge stehen würden, nieder, ohne end-
gültig Partei zu nehmen." Heute ist Rembrandt so populär, daß sein Name gelegent-
lich schon mißbraucht wird, um modernen Empfindungen Ausdruck zu verleihen.
Koloffs Bemerkung: „Man darf nur das Wort Rembrandt aussprechen, so ist es
gerade, als wenn man Kunst sagt, ja viel mehr", beginnt sich zu bewahrheiten, da
man jetzt schon unter seiner Flagge lange ästhetische Gespinste abzuwickeln liebt,
welche einer richtigen Würdigung des Künstlers eher hinderlich als förderlich sind.

Rembrandts Kunst ist eine so packende, so vielseitige, daß sie zu allen Zeiten
ihre begeisterten Anhänger gehabt hat, mochte auch die Richtung der Kunst noch
so abweichend, die Ästhetik ihm noch so entgegen sein. Selbst zur Zeit des tiefsten
Verfalls der holländischen Malerei, unter der Herrschaft der Dosenmaler, eines
Ridder van der Werff und Willem van Mieris, hatte Rembrandt unter seinen Lands-
leuten eifrige Freunde. Die Engländer haben, seitdem sie zu sammeln begannen,
Rembrandts Gemälde und Radierungen in erster Linie gesucht, und in Paris ge-
hörten seine Bilder selbst zur Zeit eines Boucher und Greuze zu den höchstbezahlten.
Damals brachten die Kaiserin Katharina, der Kurfürst von Hessen und August
der Starke ihre herrlichen Sammlungen Rembrandtscher Gemälde zusammen. Sir
Joshua Reynolds war der wärmste Verehrer des Künstlers und besaß eine ganze
Reihe trefflicher Bilder seiner Hand. In Deutschland knüpfte gleichzeitig eine
Gruppe von Künstlern, unter denen der Maler Dietrich und der Stecher Schmidt
die bekanntesten sind, an seine Kunstauffassung an. Selbst während des Empire,

i

i
 
Annotationen