ADRIAEN BROUWER
Bei dem Namen Adriaen Brouwer taucht ein kaleidoskopartiges Bild bunt
gemischter Erinnerungen in uns auf: Schilderungen des niederdeutschen Volks-
lebens von feinstem Humor und höchster künstlerischer Vollendung, die in unserem
Gedächtnisse untrennbar verknüpft sind mit dem Brouwer-Kabinett der Pinakothek
zu München, vermischen sich mit den Schnurren und tollen Streichen, die den
Meister zu einem Liebling der alten Künstlerbiographen gemacht haben. Ein
Adonis in Lumpen, ein Philosoph in der Narrenkappe, ein Epikuräer mit zynischen
Formen, ein Kommunist ganz eigener Art, der das Seine jedem zum Mitgenuß zur
Verfügung stellte, ein wahrer Proteus als Mensch war Brouwer auch als Künstler
nicht weniger vielseitig, nicht weniger ursprünglich und rücksichtslos. Jeder Zoll ein
Künstler, ein malerisches Genie, das neben den Größten genannt zu werden verdient,
aber von einem unüberwindlichen Hang zum Abenteurerleben beseelt. Er taucht
plötzlich auf, niemand weiß woher, und verschwindet ebenso unvermutet, niemand
weiß wohin. Er tritt ins Leben ein, indem er, noch ein halber Knabe, seinen Eltern
davonläuft; kaum zum Manne gereift, wird er schon aus dem Leben abgerufen,
ebenso plötzlich und gewaltsam: der Tod ereilt ihn in irgendeiner Kneipe, und sein
Körper wird mit den Leichen von Bettlern in einem Loch zusammengeworfen. Je
mehr uns die Forschung mit seinem Leben vertraut macht, um so interessanter er-
scheint der Charakter des Mannes; je mehr seine Werke uns bekannt werden und
je mehr wir uns in sie vertiefen, um so anziehender wird das Bild des Künstlers.
Bei Brouwer liegt die Gefahr besonders nahe, sein Bild im Licht moderner
Anschauung erscheinen zu lassen. Hat die Zeit der braven Bourgeoisie auch für
Brouwer eine „Ehrenrettung" versucht und ihn unter Nichtachtung der alten Künstler-
biographen, die von seinen Extravaganzen und tollen Streichen erzählen, zu einem
biederen Salonhelden der Umgebung des Malerfürsten Rubens gestempelt, so ist
unsere modernste Bohemeliteratur geneigt, aus ihm einen Stromer nach Art der
neuesten russischen Novellenhelden zu machen. Versuchen wir das Bild des Menschen
und des Künstlers schlicht und treu zu fassen, wie es sich aus den Urkunden und
den Werken gewinnen läßt.
Nach der Darstellung Houbrakens, dessen Werk 1718 erschien, war Adriaen
ein holländischer Landsmann, ein geborener Haarlemer, verbrachte seine Lehrzeit
bei Hals, floh schließlich, um der Ausnutzung durch seinen Meister zu entgehen,
nach Amsterdam und wurde dort, dank seinem Freund van Zomeren rasch bekannt.
Wir werden sehen, daß der Biograph in bezug auf die Lehrzeit des Künstlers und
seinen Aufenthalt in-Amsterdam guter alter Tradition folgte; was er sonst erzählt,
ist aber fast ganz von den älteren vlämischen Schriftstellern entlehnt. Wo er nicht
auf diese zurückgreift, bezieht er sich auf ein Manuskript, welches Nicolaus Six,
ein Schüler des Karel de Moor, also ein jüngerer Zeitgenosse Houbrakens, angeblich
unter den Papieren seiner Vorfahren gefunden und dem Künstlerbiographen zur
Verfügung gestellt haben soll. Wie es mit.der Glaubwürdigkeit dieses Manuskriptes
aussieht, wird der Vergleich mit den Urkunden ergeben.
Die früheste gedruckte Nachricht über den Künstler gibt die 1645 ausgegebene
Ikonographie A. van Dycks in der Unterschrift unter seinem bekannten Bildnis,
300
Bei dem Namen Adriaen Brouwer taucht ein kaleidoskopartiges Bild bunt
gemischter Erinnerungen in uns auf: Schilderungen des niederdeutschen Volks-
lebens von feinstem Humor und höchster künstlerischer Vollendung, die in unserem
Gedächtnisse untrennbar verknüpft sind mit dem Brouwer-Kabinett der Pinakothek
zu München, vermischen sich mit den Schnurren und tollen Streichen, die den
Meister zu einem Liebling der alten Künstlerbiographen gemacht haben. Ein
Adonis in Lumpen, ein Philosoph in der Narrenkappe, ein Epikuräer mit zynischen
Formen, ein Kommunist ganz eigener Art, der das Seine jedem zum Mitgenuß zur
Verfügung stellte, ein wahrer Proteus als Mensch war Brouwer auch als Künstler
nicht weniger vielseitig, nicht weniger ursprünglich und rücksichtslos. Jeder Zoll ein
Künstler, ein malerisches Genie, das neben den Größten genannt zu werden verdient,
aber von einem unüberwindlichen Hang zum Abenteurerleben beseelt. Er taucht
plötzlich auf, niemand weiß woher, und verschwindet ebenso unvermutet, niemand
weiß wohin. Er tritt ins Leben ein, indem er, noch ein halber Knabe, seinen Eltern
davonläuft; kaum zum Manne gereift, wird er schon aus dem Leben abgerufen,
ebenso plötzlich und gewaltsam: der Tod ereilt ihn in irgendeiner Kneipe, und sein
Körper wird mit den Leichen von Bettlern in einem Loch zusammengeworfen. Je
mehr uns die Forschung mit seinem Leben vertraut macht, um so interessanter er-
scheint der Charakter des Mannes; je mehr seine Werke uns bekannt werden und
je mehr wir uns in sie vertiefen, um so anziehender wird das Bild des Künstlers.
Bei Brouwer liegt die Gefahr besonders nahe, sein Bild im Licht moderner
Anschauung erscheinen zu lassen. Hat die Zeit der braven Bourgeoisie auch für
Brouwer eine „Ehrenrettung" versucht und ihn unter Nichtachtung der alten Künstler-
biographen, die von seinen Extravaganzen und tollen Streichen erzählen, zu einem
biederen Salonhelden der Umgebung des Malerfürsten Rubens gestempelt, so ist
unsere modernste Bohemeliteratur geneigt, aus ihm einen Stromer nach Art der
neuesten russischen Novellenhelden zu machen. Versuchen wir das Bild des Menschen
und des Künstlers schlicht und treu zu fassen, wie es sich aus den Urkunden und
den Werken gewinnen läßt.
Nach der Darstellung Houbrakens, dessen Werk 1718 erschien, war Adriaen
ein holländischer Landsmann, ein geborener Haarlemer, verbrachte seine Lehrzeit
bei Hals, floh schließlich, um der Ausnutzung durch seinen Meister zu entgehen,
nach Amsterdam und wurde dort, dank seinem Freund van Zomeren rasch bekannt.
Wir werden sehen, daß der Biograph in bezug auf die Lehrzeit des Künstlers und
seinen Aufenthalt in-Amsterdam guter alter Tradition folgte; was er sonst erzählt,
ist aber fast ganz von den älteren vlämischen Schriftstellern entlehnt. Wo er nicht
auf diese zurückgreift, bezieht er sich auf ein Manuskript, welches Nicolaus Six,
ein Schüler des Karel de Moor, also ein jüngerer Zeitgenosse Houbrakens, angeblich
unter den Papieren seiner Vorfahren gefunden und dem Künstlerbiographen zur
Verfügung gestellt haben soll. Wie es mit.der Glaubwürdigkeit dieses Manuskriptes
aussieht, wird der Vergleich mit den Urkunden ergeben.
Die früheste gedruckte Nachricht über den Künstler gibt die 1645 ausgegebene
Ikonographie A. van Dycks in der Unterschrift unter seinem bekannten Bildnis,
300