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Bode, Wilhelm
Die Meister der holländischen und vlämischen Malerschulen — Leipzig, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.15571#0274
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und meist effektvoller, neben van de Cappelles Bildern erscheinen sie weniger
leuchtend und nicht so durchsichtig, meist nicht von gleicher Meisterschaft im
Aufbau, trotz größerer Mannigfaltigkeit und selten von ähnlich feiner Stimmung.
Der junge Meister sucht stärkere Effekte, zeigt seine Marinen bei ausgesprochenerem
Helldunkel und kommt schließlich zu einer dramatischen Auffassung des Meeres.
Anfangs sind diese Bilder der bewegten See noch in einem küklen grauen Ton ge-
halten, fast ohne jede ausgesprochene Lokalfarbe, düster aber klar in der Beleuchtung,
mächtig in der Wirkung des wunderbar beobachteten Seegangs. So in ein paar
großen stimmungsvollen Gemälden der Bridgewater Gallery und der Sammlung
Otto Beit (aus den Jahren 1672 und 1671). Auch die großen Flottenrevuen und Hafen-
ansichten, selbst die mehr als drei Meter breite Ansicht des Hafens von Amster-
dam aus dem Jahre 1686, haben meist noch ähnliche Vorzüge wie die gleichen Motive,
welche er schon seit Ende der fünfziger Jahre für den Staat hatte malen müssen und
von denen sich wieder in England, namentlich in der Wallace Collection, die hervor-
ragendsten, umfangreichsten Werke befinden. In größerer Zahl haben sich diese
in späterer Zeit für den englischen Hof gemalten historischen Schlachten und
Paraden in der Galerie in Hampton Court erhalten; es sind meist nur noch panaroma-
artige Illustrationen ohne einheitliche Wirkung und von recht mäßigem künstle-
rischen Wert. Unerfreulicher noch sind aber die zahlreichen Seestürme, größere
und kleinere Bilder, die in der gleichen Zeit in England entstanden. In der grellen
Beleuchtung und den dunkeln, beinahe schwarzen Schatten sind sie unruhig in der
Wirkung, meist schon unangenehm theatralisch und kaum noch sehr verschieden
von den gleichzeitigen Bildern eines Ludolf Backhuizen. Fern von der Heimat,
nach der er seit 1675 nicht mehr auf längere Zeit zurückkehrte, erlahmte van de
Velde in seiner Kunst auch dadurch, daß er nicht mehr Beziehungen zu echten
Künstlern hatte. Walpoles Ausspruch über ihn, worin er Willem van de Velde
den Raphael der Seemaler nennt, ist am allerwenigsten für diese letzte Zeit seines
Lebens berechtigt. Auch Woermann in seiner fleißigen und_gewissenhaften Geschichte
der Malerei schätzt den Künstler noch in ähnlicher Weise ein. Sein Vergleich van
de Veldes mit van de Cappelle fällt zugunsten des ersteren aus: „Zu Jan van de
Cappelle verhält er sich ähnlich wie Ruisdael zu Hobbema, er faßt das atmosphärische
Leben über den nordischen Meeren, das durch einen weichen, duftigen Nebelschleier
gesehene, gedämpfte aber sich überall hin verbreitende Sommersonnenlicht noch
weicher, noch feinfühliger auf als Jan van de Cappelle; seine Lüfte sind noch klarer
und heller, seine Schiffe sind genauer gesehen und sorgfältiger wiedergegeben."
Nach der Empfindung, die heute schon fast die allgemeine ist, kann man das Urteil
grade umkehren, denn was hier zugunsten van de Veldes gesagt ist, gilt vielmehr
für van de Cappelle, der in der stimmungsvollen Wirkung wie in den malerischen
Qualitäten seinem berühmten Landsmanne noch überlegen ist.

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