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Bode, Wilhelm
Die Meister der holländischen und vlämischen Malerschulen — Leipzig, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.15571#0276
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reiche Außenarchitekturen von eigener Erfindung; wenn diese Künstler aber eine be-
stimmte Kirche wiedergeben, erlauben sie sich willkürliche Änderungen. Sie wollen
vor allem ihr perspektivisches Können zeigen und von dem neuen Baustil (sind diese
Maler doch mehrfach zugleich Architekten) den reichsten Eindruck und die gün-
stigste Vorstellung geben. Auch die Farbigkeit und der helle blonde Ton in den
meisten dieser Bilder verraten den Anschluß an die vlämischen Meister Antwerpens.
Durch solche Mittel weckten die Künstler zugleich das Interesse des großen Publi-
kums für ihre Architekturbilder; war doch auch damals der Geschmack und das
Kunstverständnis nicht wesentlich anders als es heute der Fall ist: das Gegenständ-
liche und die Mode bestimmten auch zu jener Zeit das Interesse des Publikums. Als
daher gegen diese, hauptsächlich in der Residenz, dem Haag, gepflegte, sehr populäre
Richtung des Architekturbildes in Haarlem die natürliche künstlerische Reaktion in
der Vereinfachung der Formen, größerer Naturwahrheit und Unterordnung der Lokal-
farben unter den Ton erwuchs, hatte es der Künstler, der diese Reform einleitete,
Pieter Saenredam, nicht leicht, aber er wußte das Interesse des Publikums von einer
anderen Seite zu erregen, indem er treue Veduten der bekanntesten Kirchen Hol-
lands gab. Dadurch schmeichelte er dem starken Lokalpatriotismus seiner Lands-
leute und gewann zugleich ihr Interesse, indem er sich an ihren starken kirchlichen
Sinn wandte; jeder wollte gern ein Bild der Kirche haben, die er regelmäßig besuchte,
in der er getauft war und in der er seinen Begräbnisplatz besaß. Der Künstler zeigt
fast ausnahmslos das Innere von Kirchen; er verzichtet nicht nur auf die Verstärkung
der Formen durch phantastische Einbauten, sondern gibt die Kirche genau und
sachlich nach den sorgfältigen Studien, die er danach macht, und verschmäht' die
Wiedergabe der großen architektonischen Wirkung durch den Durchblick im Haupt-
schiff entlang. Ihm genügt ein malerischer Einblick in einen Teil der Kirche, denn
bei seinem Bestreben, die tonige Wirkung des Innern wiederzugeben, mußten ihm
die scharfen Formen und reichen Einzelheiten nur hinderlich sein.

Die einseitige Verfolgung dieses Zieles, entsprechend.der Richtung auf stärkste
Betonung der Einwirkung von Licht und Luft auf Form und Farbe, wie sie damals
von Haarlem aus durch mehrere Jahrzehnte in Holland die herrschende wurde,
brachte es mit sich, daß die Wiedergabe der Formen wie der Reiz der Farben durch
die tonige Wirkung stark beeinträchtigt wurden. Das vertiefte Studium des Lichtes,
zu dem Rembrandt in ganz Holland die Anregung gab, mußte auch für das Architektur-
bild neue Schönheiten, neue Ausdrucksmittel bringen. Ja, erst die Beobachtung
aller Feinheiten in der Beleuchtung, namentlich in der Wirkung des Sonnenlichts,
konnte die Schwierigkeiten, die sich der malerischen Darstellung architektonischer
Innenräume an und für sich durch die Bestimmtheit und Härte der Formen und
ihre parallelen oder eckig aufeinander stoßenden Linien darbot, völlig überwinden
helfen. Wie von Haarlem die Herrschaft der Tonwirkung auch im Innenraum aus-
gehen mußte, so war es nur natürlich, daß die neue Richtung von Delft aus an-
geregt wurde, wo sich unter dem Vorgang und in der Schule der begabtesten unter
Rembrandts Schülern, Carel Fabritius, die farbige Lichtmalerei rasch zu höchster
Vollendung entwickelt hatte. Was Gerard Houckgeest und Hendrick C. van Vliet
anstrebten, bringt Emanuel de Witte zur vollendeten Entfaltung. Und unter
dem Einfluß dieser Delfter Schule bilden auch die gleichzeitigen Architekturmaler

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