Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Urteil der Zeitgenossen und der Nachwelt

Unsere Vorstellung von Caspar David Friedrich wird wie bei
jeder anderen historischen Gestalt nicht nur von seinen Äuße-
rungen und Taten, sondern auch von den Kommentaren der
Zeitgenossen und der Nachwelt beeinflußt. Im Falle Friedrichs
haben diese Kommentare das allgemeine Bild vom Künstler sogar
in ungewöhnlichem Maße bestimmt und im Ganzen mehr ver-
schleiert als geklärt, da durch die Introvertiertheit Friedrichs,
die Verschlüsselung seiner Aussagen und die Spärlichkeit authen-
tischer Deutungen der Phantasie der Interpreten ein weiter
Spielraum blieb. In Brief Sammlungen und Memoiren aus der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt Friedrich im Verhält-
nis zu der künstlerischen Bedeutung, die man ihm beimaß, auf-
fallend selten vor.
So ist Friedrichs Werk einer spiegelnden Glasscheibe vergleich-
bar, bei der die Erscheinung des dahinter Liegenden durch den
Reflex des eigenen Spiegelbildes überlagert wird. Eine Übersicht
über die Deutungen Friedrichs kann zeigen, in welchem Ausmaß
sein Werk - besonders im 20. Jahrhundert - zur Bestätigung der
verschiedensten Vorstellungen benutzt worden und wie selten
die Betrachtung bis zum Künstler selbst vorgedrungen ist. Gewiß
hängen diese Mißverständnisse damit zusammen, daß bisher
kaum die Ganzheit seines Werkes und seiner Persönlichkeit in
den Blick gefaßt wurde, sondern hauptsächlich einzelne Aspekte,
die sich, in Unkenntnis anderer, in ihrer Bedeutung übersteigern
ließen. Ein Überblick über die bisherige Forschung läßt daher
außer dem Fortschreiten der Wissenschaft in der objektiven Er-
kenntnis Friedrichs oft ein naives Gebundensein der Autoren an
ihre jeweilige Gegenwart erkennen, daneben allerdings auch Ver-
fälschung unter dem Zwang einer Ideologie.
Eine Dokumentation dieses Nachlebens scheint nicht nur not-
wendig, um den Stand der Forschung und die Bedingtheiten auch
dieser Untersuchung der späten sechziger und siebziger Jahre
nach Möglichkeit offen zu legen, sondern sie soll auch auf die
Eigenarten unwissenschaftlicher oder gar wissenschaftsfeindlicher
Kunstpublizistik hinweisen, für die eine Gestalt wie die Fried-
richs eine besondere Anziehungskraft besitzt. Man wird zu dem
bevorstehenden Gedenkjahr 1974 mit neuer Literatur dieser
Art rechnen müssen. Die Kunstgeschichte kann sich nicht darauf
beschränken, eine positive künstlerische Entwicklung aufzuzei-
gen, sie muß auch die Geschichte ihres eigenen Irrens als ein In-
strument der Selbstkontrolle benutzen.
Die frühesten Erwähnungen von Arbeiten Friedrichs in der Lite-
ratur von 1799-1803 sind kurz und sachlich, doch schon 1804
befaßt sich eine anonyme Ausstellungsbesprechung in Dialog-
form im »Freimüthigen« ausführlicher mit dem Künstler. Fried-
rich hatte auf dieser Ausstellung unter anderem mit der Sepia-
zeichnung »Mein Begräbnis« (Kat. 112) das rückhaltlose Bekennt-
nis seiner Todessehnsucht gezeigt. Die Reaktion des Rezensenten
ist Ergriffenheit, die jedoch durch den Bericht von dem von
Friedrich mitverschuldeten Tod des Bruders Christoffer als Ur-
sache für die Melancholie des Malers sogleich objektiviert wird.
Diese Versicherung des Mitleids enthebt den Betrachter eines tie-
fer eindringenden Verstehens. Das Biographische lenkt vom Ge-

halt ab. Damit ist schon sehr früh eine Verhaltensweise dem
Künstler gegenüber faßbar, die später häufig zu beobachten sein
wird. Immer wieder wurde der Unglücksfall zur Erklärung der
Melancholie Friedrichs herangezogen1.
In der Besprechung derselben Ausstellung von 1804 im »Journal
des Luxus und der Moden« wird ein Einwand laut gegen ein
Ungenügen im Technischen, das sich bei der Verbindung des
Malerischen mit dem Poetischen störend bemerkbar mache. Den-
selben Mangel rügt 1805 Carl Schildener, also eine Friedrich
nahestehende Persönlichkeit, an einer verschollenen Sepiazeich-
nung, die eine Vorstufe zum Tetschener Altar darstellte. Immer-
hin erkennen diese kritischen Stimmen Friedrichs Ausrichtung
auf das Gedanklich-Poetische und sehen die Notwendigkeit eines
Einklangs mit der formalen Gestaltung.
Die Weimarer Kunstfreunde dagegen, die Friedrich 1805 einen
Preis für zwei Sepiazeichnungen (Kat. 125, 126) zuerkennen, lo-
ben ausdrücklich die technische Vollkommenheit der Blätter,
ohne irgendeine Divergenz von Ausführung und gedanklichem
Gehalt zu beanstanden, der allerdings von ihnen auch nicht recht
erkannt wird. In erstaunlicher Weise verbindet Heinrich Meyers
Besprechung der Zeichnungen in der »Jenaischen Allgemeinen
Literaturzeitung« von 1806 Wohlwollen und Mißverständnis,
wobei das Mißverständnis schon bei einer falschen Beschreibung
beginnt. Die eigentliche religiöse Aussage bleibt unbemerkt.
Heinrich Meyer hat später - 1810 - seine Unfähigkeit, die Zu-
sammenhänge von Form und Inhalt bei Friedrich zu verstehen,
noch deutlicher zu erkennen gegeben, und ein negatives Urteil
ausgesprochen, dem man die Animosität anmerkt2. Diese Ge-
reiztheit kommt auch in einem Gespräch mit Goethe von 1815
zum Ausdruck3.
Die Besprechungen der Dresdener Akademieausstellungen prei-
sen seit 1806 die Arbeiten Friedrichs mit zunehmendem Enthu-
siasmus. Im allgemeinen wird der »Effekt« gelobt, den sie her-
vorbringen. Die Landschaften werden als Wiedergabe von
Natur Stimmungen gesehen, das Poetische wird im Sinne des Ge-
fühlvollen, nicht im Sinne einer präzisen Formulierung des Ge-
danklichen, wie Schildener diesen Begriff 1805 verwendet hatte,
verstanden.
Der Artikel über Friedrich in Füßlis Künstlerlexikon von 1806 -
der auch zuerst aufgrund einer Verwechselung von Arkona und
Ancona die Behauptung auf stellt, Friedrich sei in Italien gewe-
sen - rühmt sogar, ohne Berücksichtigung seiner spezifischen
Raumgestaltung, Friedrichs Darstellung der Perspektive und
empfiehlt ihm die Betätigung als Theatermaler. 1807 ist in einem
schwärmerischen, unter dem Pseudonym Leis erschienenen Ar-
tikel in der »Zeitung für die elegante Welt« zum erstenmal der
Vergleich Friedrichs mit Ossian zu lesen. Seitdem wird der Be-
griff »ossianisch« immer wieder zur näheren Bezeichnung des
Poetischen oder als bloße Bildungsassoziation benutzt, worüber
Brentano bereits 1810 spottete4.
Als »Effekt« wird jedoch nicht nur die Erzeugung einer Stim-
mung, sondern auch die illusionistische Naturwahrheit bewun-
dert. Kein Rezensent bemerkt in dem 1806 ausgestellten »Ate-

51
 
Annotationen