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Archivalien

Basel7 Archiv K. W. Jähnig
^Auszug aus einer unvollständigen Abschrift des Tagebuches von Lotte
Sponholz von 1847. Der Verbleib des Originals von 1847 und einer von
Gustav Pflugradt gefertigten Abschrift, nach der die vorliegende her-
gestellt wurde, ist unbekannt.]
In diese Studienzeit fällt auch die erste Bekanntschaft mit meiner
Mutter. Sie war die älteste der beiden schönen Töchter Friedrichs,
welche die Bewunderung der jungen Leute auf sich zogen. Doch galt
diese mehr der blühenden Marie als der ernsten Katharina oder Doro-
thea (sie ward mit beiden Namen genannt) die junge Männerwelt mußte
bedauern, dass die Schwestern so eingezogen lebten, und der Zutritt im
Hause, namentlich für Studenten, gar nicht zu erlangen war. Die Nico-
laikirche in der Nähe des Friedrichschen Hauses und fleißig von den
Schwestern besucht, erhielt nun freilich manchen Zuspruch, der dem
Prediger nicht galt. Mein Vater freute sich, wenn man Mariens Schön-
heit pries und verhehlte sorgfältig, welchen tiefen Eindruck das feine
edle Gesicht Katharinas auf ihn gemacht hatte. Einmal nun, als wäh-
rend des Gottesdienstes ein Regenschauer kam, holte mein Vater einen
Schirm und traf damit ganz zufällig natürlich auf Katharina, als sie
eben in die Kirchentüre trat, um den Regen abzuwarten. Der darge-
botene Schirm ward abgenommen, und der junge Mann, der in der
Kirche noch etwas zu tun, wollte ihn auf dem Rundgang abholen. Dies
geschah. Vater Friedrich gab den Schirm zurück, die Töchter waren
nicht sichtbar, der junge Mann fragte auch nicht nach ihnen - wie
sollte er auch? er kam ja nur des Schirmes wegen. Aber der solide junge
Mann gefiel dem Vater - und dieser fand seinen jungen Freund wür-
dig, des Abends zuweilen eine Partie mit dem Hausherrn und einigen
getreuen Nachbarn zu spielen. »Diese Freiheit«, sagte mein Vater,
»ward mir sehr beneidet, und ich war zu eitel einzugestehen wie be-
schränkt sie war.« Sein Platz war mit dem Rücken nach der Tür und
nur dadurch, dass er die Stühle und den Spieltisch selbst zu stellen sich
ausbat, verbesserte er den Übelstand. Er rückte nämlich den Tisch so
weit vor, dass er im Spiegel die Tür beobachten konnte. Wenn nun
der Hausherr aus der Tür rief, »Katharina, besorge uns eine Flasche
Bier«, so war der Lichtpunkt des ganzen Abends gekommen. Die Toch-
ter schenkte das Bier ein, präsentierte es den Gästen, und entfernte sich
nach dieser einfachen Bewirtung. Zuweilen nur nahm sie in Erwartung
des Befehles schon vorher eine Handarbeit vor. An eine Unterhaltung
war freilich nicht zu denken, doch müssen Blicke wohl sehr beredt
sein - mein Vater glaubte deutlich genug gesprochen und auch Antwort
erhalten zu haben. Er glaubte an Liebe und gelobte auch Treue. Nach
seiner Entfernung von Greifswald schrieb ihm ein Bekannter unter
andern Stadtneuigkeiten: »Friedrichs schöne Tochter ist plötzlich ge-
storben. Der Trauerfall und die näheren Umstände erregten meine
Teilnahme.« - Diese Zeilen raubten ihm fast die Besinnung. Es litt
ihn keinen Augenblick länger, sehen mußte er die Geliebte noch ein-
mal, wenn auch im Sarge. Am späten Abend kam er in Greifswald an,
und eilte dem Hause zu, welches von Neugierigen umstanden war.
Dicht in seinen Mantel gehüllt, betrat er mit festen aber leisen Tritten
die Diele, aus dem Wohnzimmer strömte heller Lichtglanz ihm ent-
gegen — in der Mitte der geschmückte Sarg mit der schönen Leiche —
am Kopfende lehnte Katharina, das schöne bleiche Gesicht auf die ge-
liebte Schwester heruntergeneigt. Die erste Empfindung war helle
grenzenlose Freude, er hätte aufschreien mögen in jubelnder Wonne,
aber der nächste Augenblick ließ ihn den Schmerz der Geliebten ah-
nen - er entfernte sich still und ungesehen. Manches Jahr verging, es
bestand nichts Bindendes zwischen den Liebenden; doch machte kein
Mädchen tiefen Eindruck, ja, als ein Bekannter schrieb, endlich wird
wohl der Kaufmann Vinelius mit seiner Werbung um Katharina Fried-
rich zum Ziele kommen. Da schmollte mein Vater und beklagte sich im
Herzen über Untreue. Er wollte vergelten, und machte geschwind einige
Besuche in der Nachbarschaft, um sich zu verlieben. Es wollte nicht
gehen. Einmal - mein Vater hielt sich vor und nach der Predigerwahl

in B[orchen? schwer lesbar] auf - kam der Kammerdiener des Guts-
herren zu dem jungen Candidaten (oder designierten Prediger) auf das
Zimmer gelaufen. »Ach Herr Sponholz, sie glauben nicht, welch ein
schönes Mädchen ich eben gesehen habe — so etwas lebt auch weiter
nicht! Ihr Vater hielt vor dem Jägerhause still und sprach mit dem
Jäger, da habe ich sie gesehen. Jetzt fahren sie in ihrer schönen Ka-
riole den Wildberger Weg!« - »Lassen sie mir geschwind mein Pferd
bringen, ich hole sie ein!« Gesagt, getan! Herr Sponholz sprengte da-
von - sein Herz sagte ihm, es muss Katharina sein. Im Wildberger
Holz, der jetzige Weg führt nicht über die Stelle, erreichte er den Wa-
gen - bei dem raschen Hufschlag seines Pferdes wandte die Dame den
Kopf, es war Katharina. Nun hatte der Reiter plötzlich keine Eile, er
begleitete den Wagen bis zur Wolde, wo Herr Friedrich Geschäfte
hatte. Während diese abgemacht wurden, wollte Herr Sponholz der
Tochter den Schlossgarten zeigen, als Verlobte kehrten sie zurück . . .
Warum - wird man fragen machte mein Vater seine Verlobung nicht
sogleich bekannt und führte die Erwählte als Hausfrau in die Pfarre?
Ich komme hier auf die Familien und Verhältnisse seines Schwieger-
meines Großvaters. Bei den Tronfolgeunruhen in Schweden flüchtete
ein Graf welcher der unterliegenden Partei angehörte mit seinem Sohn
aus dem Vaterland. Auf dem Schiff angesichts der allmählich verschwin-
denden Küste des geliebten Heimatlandes, stand der Graf auf dem Ver-
deck, seinen Sohn an der Hand. Als die Küste verschwand, warf er sein
Grafendiplom in das Wasser! Indem er ausrief »der schwedische Graf
N. N. liegt im Meere begraben, aber Friedrich lebt (sein Taufnahme)
und wird in dir fortleben« (sein Sohn), wohin er sich mit dem Knaben
wandte weiss ich nicht, nur dass er sich nach mehreren Land- und
Seereisen sich in Greifswald, welches damals mit einem Teil Pommerns
zu Schweden gehörte, als Licht und Seifenfabrikant niederließ und
eine große persönliche Achtung genoß. Seine Frau, eine geborene
Bechly, verlor er früh, verheiratete sich aber nicht wieder. Strenge
Rechtlichkeit und ein gewisser edler Stolz waren wohl die Grundzüge
seines Charakters. Mit großem Fleiß trieb er sein Handwerk, suchte
aber seinen Kindern (6 Söhne und 2 Töchter) möglichste Erziehung
zu geben. Zu dem Ende hielt er einen Hauslehrer den Candidaten theol
Herrn Rabbke, an dessen Lehrstunden die Töchter teilnahmen. Die
lateinische Sprache, aus welcher man damals die nöthigen Regeln für
die deutsche abstrahierte, wurde mit besonderem Eifer getrieben. So
erinnert sich meine seelige Mutter noch lächelnd der ernstlichen Er-
mahnung ihres Lehrers, als er sie beim Glückwunsch zum 18. Geburts-
tag darauf aufmerksam machte dass die letzte lateinische Arbeit nicht
ohne Fehler gewesen sei. Auch die schönen Künste wurden nicht ver-
nachlässigt wie denn auch mein Onkel den ersten Grund zu seiner
künstlerischen Berühmtheit in seiner Vaterstadt legte. Meine Mutter
spielte für die damalige Zeit sehr artig das Klavier und konnte vom
Blatt singen. Das Hauswesen besorgte eine Haushälterin welche aber
über die Töchter keine Autorität besaß. Ihr natürlicher Stolz ihre wis-
senschaftliche Bildung und die schwesterliche Liebe zueinander machte
ihnen die strenge Abgeschiedenheit in der sie lebten sehr leicht. Ma-
ries heitere Schönheit hatte das Herz eines reichen jungen Edelmannes,
der die Universität besuchte, gewonnen. Da er als Student keinen Zu-
tritt im Hause finden konnte, wollte er den Studien entsagen. Der Vater
des jungen Mannes, der das nicht wünschte, zog nähere Erkundigun-
gen über den Gegenstand seiner Liebe ein und versprach dem Sohne,
wenn er die Studien vollendet seiner Verbindung mit Marien nichts in
den Weg zu legen. Alle Teile waren nun zufrieden gestellt, doch es
kam anders. Der junge Mensch geriet in Streit, es kam zu einem Duell,
und er wurde tötlich verwundet. Als man ihn forttrug, bat er, ihn in
Mariens Nähe sterben zu lassen, und so brachte man den schwer ver-
wundeten in Friedrichs Haus. Mariens unendlicher Schmerz machte der
Hoffnung Platz, als er die Augen zu ihr auf schlug. Tag und Nacht
wich sie nicht von seinem Bette kein Schlaf kam in ihre Augen mochte
er auch fortan in wilden Fiebern liegen, sie harrte geduldig des Augen-
blicks wo diese ihn verlassen und sein seelenvoller Blick dem ihrigen

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