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66

Licht und Schatten.

wo der Uebergang zwischen Licht und Schatten plötzlich und hart, aber leicht und locker
dort ist, wo infolge flacherer Modellierung die Schatten weich verlaufen. Nachdem die
Schattenfläche grau zugewischt worden ist, geht man noch einmal der Schattengrenze
nach, beachtet sorgfältig alle kleinen Unregelmäßigkeiten in ihrem Verlaufe, verwischt
leicht an den „weichsten" Stellen, verstärkt die Härten, vertieft die Dunkelheit der Schatten-
flächen und — sieht mit Erstaunen, daß das, was der Maler die „große Wirkung" des
Objektes nennt, bereits erreicht ist. Immer wieder wird man bei der Arbeit durch den
eminent illusionweckenden Charakter, der diesem Grenzgebiete innewohnt, überrascht. Es
ist deshalb kein Wunder, daß die Schattengrenze auch im abgekürzten, skizzierenden
Zeichnen eine wichtige Rolle spielt. (Siehe den skizzierten Zapfen von Cupressus sempervire?is
und den Zweig von Pinns Strobus auf Taf. 30.) Soll die große Wirkung der bildlichen
Darstellung zur „intimen" gesteigert werden, so muß mit größter Aufmerksamkeit
weitergearbeitet werden.

Auf unserer Tafel 34 stehen Abbildungen von zwei Exemplaren einer Turritella
nebeneinander. In der ersten Zeichnung sind Licht- und Schattenfläche einfach schwarz-
weiß wiedergegeben. Von der Schattengrenze ist in großen Zügen ihr Verlauf, aber nichts
weiter dargestellt. Die Zeichnung modelliert daher besser als eine reine Konturzeichnung,
wirkt in größerer Entfernung auch schon leidlich plastisch, in der Nähe aber hart und
entbehrt jedes feineren Reizes. Weit besser wirkt schon die zweite Zeichnung. Die
Schwärze der Schatten ist gemildert, die Schattengrenze sorgfältiger durchgearbeitet und
die feinere Struktur der Oberfläche zur Darstellung gebracht. Nach denselben Grund-
sätzen ist die Zeichnung des Damhirschgeweihes auf Tafel 28 weiter durchgeführt worden.

Daß die Lichtfläche nicht überall gleich hell, die Schattenfläche nicht allerorten
gleich dunkel ist, lehrt schon die oberflächlichste Betrachtung. Da die Elemente der
Lichtfläche zum einfallenden Lichte verschieden geneigt sind, kann das auch gar nicht
anders sein. Man ist aber stets in Gefahr, diese Helligkeitsunterschiede zu übertreiben
und systemlos Einzelheiten in die Lichtfläche einzutragen, mit anderen Worten, Oberflächen-
strukturen da wiederzugeben, wo nur verschiedene Helligkeitsstufen, die sogenannten
„Valeurs" oder „Ton werte", wirksam sind.

Wir müssen uns erinnern, daß wir die „große Wirkung" des Objektes erst dann
erkennen, wenn wir durch „Blinzeln" die Sehschärfe unseres Auges vermindern. Schwächen
wir dieses Blinzeln nach und nach ab, so nehmen wir wahr, daß sich das Objekt in Zonen
gleicher Beleuchtungsstärke zerlegen läßt. Den Grenzen dieser „Töne" mit größter Sorgfalt
nachzuspüren und sie nach denselben Grundsätzen, wie früher die Schattengrenze, zu
behandeln, ist nun unsere Aufgabe. Ganz wenige, strich- oder punktartig wirkende,
kleinste Flächen werden erst dann eingetragen, wenn wir erkennen müssen, daß eine
weitere Auflösung des Objektes in Tonwerte uns nicht möglich ist. Die Fähigkeit, Ton-
werte zu erkennen und wiederzugeben, wird durch die Uebung außerordentlich verfeinert.
Der Maler schätzt das Können nach seiner Fähigkeit, lange „die Skizze zu halten", ein
und macht unter Umständen eine Arbeit von Monaten durch wenige Striche „fertig".
Jede Einzelheit, die nicht in ihrem Verhältnis zum Ganzen richtig gewertet ist, mag sie
an sich noch so richtig sein, zerstört die „große Wirkung", die der Zeichner bis zuletzt
seiner Arbeit erhalten muß. Wenn auch in geringerem Maße, als der Schattengrenze,
wohnt jedem richtig dargestellten Bildelemente die Kraft inne, die Phantasie des Beschauers
 
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