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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 36.1935

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Busch-Zantner, Richard: Das Erdstall-Problem
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https://doi.org/10.11588/diglit.35025#0053
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51

Das Erdstall-Problem.
Bon Richard Busch-Zantner.
I.
Elsaß herüber ostwärts über ganz Süddeutschland hin bis nach Böhmen, Mähren, Österreich und
Ungarn hinein sind die sog. „Erdställe" verbreitet, kleine, künstlich angelegte, unterirdische Gangsysteme,
die der leichten Ausschachtungsmöglichkeit wegen sich gerne zumal im Lößbereich oder sonst in weichen
jüngeren Schichten finden und sich mit diesen in der lokalen Verbreitung häufig sehr deutlich gleich-
begrenzen. Daß geeignetes Erdmaterial zur Anlage von künstlichen Höhlen benutzt wird, ist
an sich ja keine eigenartige Erscheinung — die hochentwickelten Lößwohnhöhlen Chinas sind ja bekannt —, aber
die Erdställe im engeren, eigentlichen Sinne sind sehr scharf davon getrennt zu halten. In der älteren Literatur
wurde diese „Eigenständigkeit" der Erdställe leider nicht genügend in Rücksicht genommen und so hat sich die klare
Erkenntnis ihres Sinnes und ihres Zweckes durch Generationen hindurch verzögert.
Jnsbesonders ist darauf zu achten, daß die Erdställe nicht identisch sind mit vorhistorischen Höh-
lenanlagen irgendwelcher Art. Weder die steinzeitlichen Wohnhöhlen haben damit irgendwie Verwandt-
schaft noch auch die durch römische, literarische Zeugnisse bekanntgewordenen Wohngruben aus germanischem und
gallischem Boden. Vor allem aber darf man Erdställe keineswegs auf eine Linie mit den ausgesprochenen Wohn-
höhlen bringen, wie sie heute ja noch eine weltweite Verbreitung besitzen — es sei nur außer an China noch an die
hinlänglich bekannten Beispiele der Mittelmeerländer erinnert^.
Die besondere Stellung der Erdställe und ihre klare Abgrenzung gegenüber den Höhlenwohnungen vergangener
oder rezenter Art ergibt sich schon äußerlich aus ihrer Anlage und ihrer bei aller Verschiedenheit doch im System
immer gleichartigen "technischen Form. Vor allem ist zu beachten, daß Erdställe niemals Höhlen im eigentlichen
Sinne des Wortes darstellen, sondern es handelt sich um von vornherein unterirdische Anlagen, die bewußt
unter die Erdoberfläche gearbeitet sind und eine bewußte Entwicklung in vertikaler Richtung erfahren. Grundsätz-
lich handelt es sich außerdem um künstlich angelegte Gänge, höchstens daß natürliche Gänge als Ausgangspunkt
der Anlage dienen, aber eine direkte Umwandlung von natürlichen Höhlen in Erdställe ist bisher nicht bekannt
geworden.
Den Eingang zu den Erdställen stellt in der Regel ein sichtlich verengtes Schlupfloch dar, das sich dann zu einem
etwas geräumigeren Gang zu erweitern pflegt, an den sich nun das je nach Lage des Falles komplizierte oder auch
nur ganz schlichte System der übrigen Gänge und Kammern anschließt. Vielfach bewegen sich diese Abzweigungen
nicht auf gleichem Niveau, sondern liegen tiefer oder auch höher und stehen unter sich durch schräg verlausende Gänge
oder aber durch senkrecht aufsteigende Stemm- und Schlupflöcher in Verbindung. Auch Unterkreuzungen der ein-
zelnen Gänge kommen vor, ebenso offensichtlich zur Irreführung unberufener Eindringlinge angelegte Blindgänge
und Durchschlüpfe ohne Ziel. Diese Grundrißgestaltung ist im ganzen Verbreitungsbereich in den Hauptmerkmalen
immer die gleiche, doch treten mitunter in der Planung interessante Abweichungen auf, die vielleicht lokal, vielleicht
auch durch die zeitliche Entwicklungsfolge bedingt sein mögen. Die umfangreiche Plansammlung von Erdställen,
die Karner^ veröffentlicht hat, gibt hierüber einblickreichen Aufschluß. Die Unterschiedlichkeiten sind zwar nirgends
in exakt faßbaren Differenzen zu formulieren, die eine Aufteilung in Gruppen zulassen würde, aber wenn man die
verhältnismäßige Einfachheit altbayrischer Anlagen mit den raffinierten Anlagen österreichischer Erdställe vergleicht,
die mit ihren zahlreichen Kammern geradezu bildhaft den Vergleich mit ganzen unterirdischen Städten erlauben^),
so wird doch offenbar, daß sozusagen der „Stil" sehr abweichend ist. Vollends die Gegenüberstellung zu den
ungarischen Erdställen, die plumpe, unentwickelte und primitive Formen tragen, unterstreicht diese Tatsache
besonders.
Die übrige Ausgestaltung der Erdställe ist hingegen im gesamten Vorkommen überall dieselbe. Die Gänge
sind nicht ausgemauert, sondern in das gewachsene Erdreich gearbeitet, der Deckenschluß ist wechselnd halbrund oder
spitzbogig verlaufend, ein Umstand, der Wohl kaum eine Parallelisierung zu „romanisch" oder „gotisch" zuläßt, sondern
sich aus den statischen Notwendigkeiten des einzelnen Falles ergibt. An den Wänden sind Sitznischen, Abstellnischen,
Tastlöcher, Ausweichnischen usw. eingelassen, auch Lichtnischen — erkennbar an den rußgeschwärzten Stellen — sind
allenthalben erweisbar. Die Ausmaße bewegen sich samt und sonders in sehr engen Grenzen: die Höhe der Gänge
schwankt zwischen der eines aufrecht stehenden Mannes bis zu Schlupflöchern, die kaum kriechend zu passieren sind.
Die gesamte Länge der Gangsysteme bewegt sich im Durchschnitt nur zwischen 30 bis 50 in, selten mehr; der Eindruck
einer erheblich größeren Ausdehnung ist nur eine psychologische Folge des langsamen Herumkriechens in voller Dun-
kelheit, zumal angesichts der geringen Ausmessung der vertikalen Erstreckung.
0 Vgl. Jessen, „Höhlenwohnungen in den Mittelmeerländern", Petermanns Mitteilungen 1930.
h Karner, „Künstliche Höhlen aus alter Zeit", 1903.
Charakteristisch z. B. die Erdställe von Gaubitsch, Niederösterreich. Vgl. Karner a. a. O. Plantafel II.
 
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