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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
Fig. 13. Bildteppich mit weisen Männern. Nürnberg, GNM, Inv. Nr. Gew. 3721. Nürnberg, um 1380.
spiralige Behandlung von Haaren und Bärten sind trotz des zeitlichen Abstands von bald zwei Jahrzehnten in
den Typenschatz der betreffenden Fenstergruppe um das Stromer-Fenster eingeflossen (Fig. 8, 10, 12). Die Blätter
mit der späteren Aufschrift Juncker von Brag gemacht stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Sammlung
des Pirckheimer-Enkels Willibald Imhoff und damit wohl auch aus altem Nürnberger Werkstatt-Fundus37. Dass der
Zeichner die Prager Malerei am Hof Karls IV. in jedem Fall aus eigener Anschauung kannte, beweist nicht zuletzt die
Kopie des Noah aus den Wandgemälden des Luxemburger Stammbaums von 1356/57 auf einem der beiden Erlanger
Musterblätter38.
Nürnberger Kunst der Umbruchszeit nach der Mitte des 14. Jahrhunderts stand freilich im Spannungsfeld mehrerer
Einflusssphären, wobei die Wege der Vermittlung nur selten klar zu Tage treten. Hinter den bereits erwähnten Werken
der Nürnberger Tafelmalerei, besonders dem Tabernakelaltärchen der Klarissen und dem Jakobskirchenaltar, sind mit
dem Bargello-Diptychon in Florenz und der Sachs-Verkündigung in Cleveland überzeugende Vorbilder von über-
ragender Qualität aus der franko-flämischen Kunstregion zwischen Paris und den südlichen Niederlanden namhaft
gemacht worden, wobei die Vermutung geäußert wurde, die italienischen Elemente etwa in den Architekturen seien
nicht über die böhmische Malerei, sondern eher direkt von Westen in die Nürnberger Kunst eingedrungen39. Auf der
schmalen Basis des Erhaltenen lässt sich diese Frage nicht mehr schlüssig beantworten. Klar ist jedoch, dass dassel-
be versatzstückartig verwendete Vokabular gewirtelter Säulen, überschlanker Vierkantstützen und die gleichartige
Zeichnung der Kassettendecken mit einfach diagonal farbig/schwarz geteilten Quadraten, wie oben bereits angedeu-
tet, in übereinstimmender Form sowohl im Klarenretabel als auch in den Wandgemälden der Moritzkapelle und in den
Sebalder Chorfenstern anzutreffen ist, in der Glasmalerei dann sogar über einen längeren Zeitraum bis zu Beginn des
15. Jahrhunderts. Eine ähnliche Verflechtung von östlichen und westlichen Stileinflüssen zeigt auch der prächtige Bild-
teppich mit weisen Männern im Germanischen Nationalmuseum, mit der Darstellung intensiv disputierender Paare,
die in fränkischer Mundart zum rechten Gebrauch des Redens und Schweigens ermahnen (Fig. 13, 64). Während hinter
Max J. Friedländer (Hg.), Handzeichnungen deutscher Meis-
ter in der Herzoglich Anhaltischen Behörden-Bibliothek zu Dessau,
Stuttgart 1914, Nr. 1; Bock 1929, Nr. 1 und 2: »Böhmisch 2. Hälfte 14.
Jh.«; Dieter Kuhrmann, in: Kat. Ausst. München 1974, S. 10-12:
»Böhmisch um 1370/80«; ders., in: Kat. Ausst. Köln 1978, III, 143h
- Die Herkunft der Musterbuchblätter aus einem Klebeband im Be-
sitz Willibald Imhoffs (1519-1580) erstmals bei Seeberg 1869, S. 221L
In Imhoffs Sammlungs-Inventaren von 1573/74 bzw. 1580 findet sich
die übereinstimmende Notiz: Item Ein Buch Inn Leder eingebunden,
darein gelegt Allerley von der Hand gerissene Alte stückh, darinnen
vil von den Junckern (Junckherrn) von Prag [...]; vgl. auch Neuwirth
1894, S. 55-62. Inwieweit die zuletzt getroffene Zuordnung der Blätter
als »Fragmente eines Musterbuchs von Buchmalern« zwingend ist, sei
angesichts der unmittelbarsten Stilparallelen in den Gewölbemalereien
der Heilig-Kreuz-Kapelle dahingestellt; vgl.Jin FAjT/Robert Suckale,
in: Kat. Ausst. Prag 2006, S. 119!., Nr. 28a, b, mit Lokalisierung in
den Umkreis Meister Theoderichs und Datierung um 1355-1365.
38 Dieser Sachverhalt wurde erstmals von Bock 1929, S. 2, konstatiert;
vgl. Kat. Ausst. Karlstein 1998, S. 52, Abb. 20.
39 Vgl. Schmidt 1975, S. 51-53, Kemperdick 2002, S. 33-45, Brink-
mann/Kemperdick 2002, S. 37-54, und zuletzt nochmals Kemper-
dick 2010, S. 88-97, mü ausführlicher Forschungsgeschichte zu den
verstreuten Tafeln des Tabernakelaltars. Der von Jin FAjT/Robert
Suckale, in: Kat. Ausst. Prag 2006, S. 84, Nr. 7, behauptete Einfluss
der böhmischen Tafel des Marientods von 1340/50 im Museum of Fine
Arts in Boston auf den Maler des Nürnberger Klarenretabels hat al-
lenfalls die schlanken, Duccios Maestä entlehnten Stützpfeiler für sich,
die strengen, venezianisch geprägten Figuren zeigen ein völlig fremdes
Stilidiom.
40 Vgl. Kurth 1926, I, S. 167L, Leisner 1975, S. 61-75, Wilckens
1977, S. 39-48, und Leonie von Wilckens, in: Kat. Ausst. Köln 1978,
I, S. 382L sowie Jutta Zander-Seidel, in: Grossmann 2007, S. 351.
41 Nürnberg, GNM, Inv. Nr. Gew 2464; vgl. zuletzt Jutta Zander-
Seidel, in: Grossmann 2007, S. 314!., 432, Kat. Nr. 446, und Daniel
Hess, ebenda S. 340.
42 Vgl. Drachenberg 1980, S. 53-67, bzw. 1983, Abb. 1-766.
KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
Fig. 13. Bildteppich mit weisen Männern. Nürnberg, GNM, Inv. Nr. Gew. 3721. Nürnberg, um 1380.
spiralige Behandlung von Haaren und Bärten sind trotz des zeitlichen Abstands von bald zwei Jahrzehnten in
den Typenschatz der betreffenden Fenstergruppe um das Stromer-Fenster eingeflossen (Fig. 8, 10, 12). Die Blätter
mit der späteren Aufschrift Juncker von Brag gemacht stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Sammlung
des Pirckheimer-Enkels Willibald Imhoff und damit wohl auch aus altem Nürnberger Werkstatt-Fundus37. Dass der
Zeichner die Prager Malerei am Hof Karls IV. in jedem Fall aus eigener Anschauung kannte, beweist nicht zuletzt die
Kopie des Noah aus den Wandgemälden des Luxemburger Stammbaums von 1356/57 auf einem der beiden Erlanger
Musterblätter38.
Nürnberger Kunst der Umbruchszeit nach der Mitte des 14. Jahrhunderts stand freilich im Spannungsfeld mehrerer
Einflusssphären, wobei die Wege der Vermittlung nur selten klar zu Tage treten. Hinter den bereits erwähnten Werken
der Nürnberger Tafelmalerei, besonders dem Tabernakelaltärchen der Klarissen und dem Jakobskirchenaltar, sind mit
dem Bargello-Diptychon in Florenz und der Sachs-Verkündigung in Cleveland überzeugende Vorbilder von über-
ragender Qualität aus der franko-flämischen Kunstregion zwischen Paris und den südlichen Niederlanden namhaft
gemacht worden, wobei die Vermutung geäußert wurde, die italienischen Elemente etwa in den Architekturen seien
nicht über die böhmische Malerei, sondern eher direkt von Westen in die Nürnberger Kunst eingedrungen39. Auf der
schmalen Basis des Erhaltenen lässt sich diese Frage nicht mehr schlüssig beantworten. Klar ist jedoch, dass dassel-
be versatzstückartig verwendete Vokabular gewirtelter Säulen, überschlanker Vierkantstützen und die gleichartige
Zeichnung der Kassettendecken mit einfach diagonal farbig/schwarz geteilten Quadraten, wie oben bereits angedeu-
tet, in übereinstimmender Form sowohl im Klarenretabel als auch in den Wandgemälden der Moritzkapelle und in den
Sebalder Chorfenstern anzutreffen ist, in der Glasmalerei dann sogar über einen längeren Zeitraum bis zu Beginn des
15. Jahrhunderts. Eine ähnliche Verflechtung von östlichen und westlichen Stileinflüssen zeigt auch der prächtige Bild-
teppich mit weisen Männern im Germanischen Nationalmuseum, mit der Darstellung intensiv disputierender Paare,
die in fränkischer Mundart zum rechten Gebrauch des Redens und Schweigens ermahnen (Fig. 13, 64). Während hinter
Max J. Friedländer (Hg.), Handzeichnungen deutscher Meis-
ter in der Herzoglich Anhaltischen Behörden-Bibliothek zu Dessau,
Stuttgart 1914, Nr. 1; Bock 1929, Nr. 1 und 2: »Böhmisch 2. Hälfte 14.
Jh.«; Dieter Kuhrmann, in: Kat. Ausst. München 1974, S. 10-12:
»Böhmisch um 1370/80«; ders., in: Kat. Ausst. Köln 1978, III, 143h
- Die Herkunft der Musterbuchblätter aus einem Klebeband im Be-
sitz Willibald Imhoffs (1519-1580) erstmals bei Seeberg 1869, S. 221L
In Imhoffs Sammlungs-Inventaren von 1573/74 bzw. 1580 findet sich
die übereinstimmende Notiz: Item Ein Buch Inn Leder eingebunden,
darein gelegt Allerley von der Hand gerissene Alte stückh, darinnen
vil von den Junckern (Junckherrn) von Prag [...]; vgl. auch Neuwirth
1894, S. 55-62. Inwieweit die zuletzt getroffene Zuordnung der Blätter
als »Fragmente eines Musterbuchs von Buchmalern« zwingend ist, sei
angesichts der unmittelbarsten Stilparallelen in den Gewölbemalereien
der Heilig-Kreuz-Kapelle dahingestellt; vgl.Jin FAjT/Robert Suckale,
in: Kat. Ausst. Prag 2006, S. 119!., Nr. 28a, b, mit Lokalisierung in
den Umkreis Meister Theoderichs und Datierung um 1355-1365.
38 Dieser Sachverhalt wurde erstmals von Bock 1929, S. 2, konstatiert;
vgl. Kat. Ausst. Karlstein 1998, S. 52, Abb. 20.
39 Vgl. Schmidt 1975, S. 51-53, Kemperdick 2002, S. 33-45, Brink-
mann/Kemperdick 2002, S. 37-54, und zuletzt nochmals Kemper-
dick 2010, S. 88-97, mü ausführlicher Forschungsgeschichte zu den
verstreuten Tafeln des Tabernakelaltars. Der von Jin FAjT/Robert
Suckale, in: Kat. Ausst. Prag 2006, S. 84, Nr. 7, behauptete Einfluss
der böhmischen Tafel des Marientods von 1340/50 im Museum of Fine
Arts in Boston auf den Maler des Nürnberger Klarenretabels hat al-
lenfalls die schlanken, Duccios Maestä entlehnten Stützpfeiler für sich,
die strengen, venezianisch geprägten Figuren zeigen ein völlig fremdes
Stilidiom.
40 Vgl. Kurth 1926, I, S. 167L, Leisner 1975, S. 61-75, Wilckens
1977, S. 39-48, und Leonie von Wilckens, in: Kat. Ausst. Köln 1978,
I, S. 382L sowie Jutta Zander-Seidel, in: Grossmann 2007, S. 351.
41 Nürnberg, GNM, Inv. Nr. Gew 2464; vgl. zuletzt Jutta Zander-
Seidel, in: Grossmann 2007, S. 314!., 432, Kat. Nr. 446, und Daniel
Hess, ebenda S. 340.
42 Vgl. Drachenberg 1980, S. 53-67, bzw. 1983, Abb. 1-766.