EHEMALS AUGUSTINERKLOSTER ST. VEIT
321
Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheibe wurde vom Verfasser 2003 im Victoria and Albert Museum in eingebautem
Zustand in Augenschein genommen. Dem Abbildungsteil liegen Aufnahmen des Museums zugrunde.
LONDON • VICTORIA AND ALBERT MUSEUM
DAS LETZTE ABENDMAHL Fig. 253, 255, Abb. 208
H. 87,6 cm, B. 45,8 cm.
Inv. Nr. C.409-1919; erworben 1919 bei Grosvenor Thomas.
Früher im Besitz des 1. Lord Herbert of Lea (1810-1861), Wil-
ton (Wiltshire)25.
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Die in der Literatur
wiederholt vermutete Zugehörigkeit der Scheibe zu den be-
rühmten Kreuzgangsfenstern des Karmeliterklosters wird al-
lein dadurch widerlegt, dass in den Mitte des 16. Jahrhunderts
nach St. Bartholomäus in Nürnberg-Wöhrd verbrachten Rest-
feldern des Karmeliterzyklus die Szene des Abendmahls be-
reits durch eine Zweitausführung desselben Entwurfs von 1511
vertreten ist26. Die stecherisch feine Zeichnung auf der Scheibe
in London begegnet in der Nürnberger Glasmalerei aber nur
während der kurzen Zeitspanne von 1504-1506, unter dem un-
mittelbaren Einfluss Hans Baldung Griens, was sich bestens
zum Jahr 1504 der Schreyer’schen Stiftung im Chor der Augus-
tinerkirche fügt. Schließlich passen Maße und Proportionen
der Scheibe recht gut zu den Chorfenstern der Augustinerkir-
che, wie sie auf einer Radierung von Christoph Georg Wilder
überliefert sind27, wenngleich hier naturgemäß keine absoluten
Maße mehr zu ermitteln sind.
Erhaltung: Vollständig originale Glassubstanz. Abgesehen von
mehreren Sprungbleien keine nennenswerten Beeinträchti-
gungen; Bemalung intakt.
Ikonographie, Komposition: Im engsten Kreis einer durchfens-
terten Nische haben sich Christus und seine Jünger zum letz-
ten Abendmahl versammelt. Gewählt ist der nur im Johannes-
evangelium (Io 13,21-30) geschilderte dramatische Moment,
da Christus seinen Verräter offenbart. »Wahrlich, wahrlich ich
sage euch. Einer von euch wird mich ausliefern«, und auf die
Frage des Johannes »Wer ist es?« erwidert er: »Der ist es, dem
ich den Bissen eintauchen und geben werde«. Darauf nimmt er
den Bissen, taucht ihn ein und reicht ihn dem Judas, dem Sohn
des Simon Ischariot. Das für die Szene ungünstige Hochfor-
mat zwang den Entwerfer dazu, die Apostel in engster Staf-
felung hintereinander zu platzieren, wobei zumeist nur die
Köpfe sichtbar bleiben und in einem Fall nicht einmal das; nur
noch ein Teil des Nimbus ist in der rechten oberen Ecke vom
zwölften Jünger zu sehen.
Abgesehen von dieser Einschränkung lassen sich jedoch ver-
schiedentlich Bezüge zu gleichnamigen Darstellungen in der
26 Vgl. Scholz 2002,1, S. 215, II, S. 539-552, Abb. 209. Da das Wöhr-
der Fragment des Abendmahls in der technischen Ausführung der 1511
datierten Fußwaschung in Wöhrd entspricht, kann an der ehemaligen
Zusammengehörigkeit der beiden Scheiben in dem von 1504-1513 ver-
glasten Kreuzgang des Karmeliterklosters kein Zweifel sein.
27 StadtBN, Nor. K. 89, Blatt 7.
28 Winkler, I, 1936, S. 28, Nr. 34; vgl. Fedja Anzelewsky, in: Anze-
lewsky/Mielke 1984, S. c)f., Nr. 4.
2<? Vgl. Scholz 2002,1, Fig. 65-68.
30 Knappe 1962, S. 356-361, und Knappe 1963, S. 58.
3! Kat. Ausst. Karlsruhe 1959, Nr. 103, Abb. 36.
Fig. 253. ES London, VAM.
M. 1:15
Nürnberger Kunst herstellen: Insbesondere die Rückenfigur
des Judas mit dem Geldsäckel in der Linken, dem erstaunt
über die Offenbarung in den Nacken geworfenen Kopf, der ge-
spannten Körperhaltung und dem Redegestus verrät die Kennt-
nis einer nicht sicher zugeschriebenen Abendmahlszeichnung
des frühen Dürerkreises im Berliner Kupferstichkabinett (KdZ
11715) (Fig. 254)28, eine Figur, die so freilich schon bei Wol-
gemut, 1491 im Schatzbehalter (47. Figur), angelegt war und
noch ganz ähnlich 1508/09 in Dürers Kleiner Passion (Meder
133) wiederkehrt. Doch über die zentrale Interaktion zwischen
Christus und Judas hinaus bleiben die Apostel in der Londoner
Scheibe statisch, was wiederum hauptsächlich dem schmalen
Format geschuldet ist. Lediglich als Andeutung einer Rahmung
dient die von Konsolen getragene einfache Astwerkblende am
oberen Rand.
Farbigkeit: Das Kolorit ist gekennzeichnet durch wenige groß-
flächige Komplementärkontraste, wobei Gelb und Blau, Vio-
lett, Grün und das Weiß des Tischtuchs das Bild bestimmen,
während Rot nur marginal aufscheint. Bereits in diesem frühes-
ten erhaltenen Glasgemälde nach Entwurf Hans Baldungs zeigt
sich dessen ausgeprägte Vorliebe für plakative Farben, wie wir
sie wenig später an den Glasmalereien des Karmeliterkreuz-
gangs, vor allem den heute in Großgründlach befindlichen
Scheiben29, bzw. an den Hallenser Altären von 1507 auf dem
Höhepunkt sehen.
Fechnik, Stil, Datierung: Wie Knappe bereits in aller Ausführ-
lichkeit nachgewiesen hat, deuten zahlreiche Eigentümlich-
keiten auf die Urheberschaft Baldungs am Entwurf des Abend-
mahls30. Für die gedrängte Zusammenballung der Figuren sind
in Baldungs CEuvre noch auf den Flügeln des Freiburger Hoch-
altars erstaunliche Parallelen zu finden. Bezeichnenderweise
aber ist die Verwandtschaft zu Werken der Zeit um 1504-1506
am stärksten: Das Antlitz Christi mit den fleischigen Wangen
und deren eigentümliche Schattenschraffierung finden sich eng
verwandt in der Zeichnung des Fahnenschwingers von 150431.
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Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheibe wurde vom Verfasser 2003 im Victoria and Albert Museum in eingebautem
Zustand in Augenschein genommen. Dem Abbildungsteil liegen Aufnahmen des Museums zugrunde.
LONDON • VICTORIA AND ALBERT MUSEUM
DAS LETZTE ABENDMAHL Fig. 253, 255, Abb. 208
H. 87,6 cm, B. 45,8 cm.
Inv. Nr. C.409-1919; erworben 1919 bei Grosvenor Thomas.
Früher im Besitz des 1. Lord Herbert of Lea (1810-1861), Wil-
ton (Wiltshire)25.
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Die in der Literatur
wiederholt vermutete Zugehörigkeit der Scheibe zu den be-
rühmten Kreuzgangsfenstern des Karmeliterklosters wird al-
lein dadurch widerlegt, dass in den Mitte des 16. Jahrhunderts
nach St. Bartholomäus in Nürnberg-Wöhrd verbrachten Rest-
feldern des Karmeliterzyklus die Szene des Abendmahls be-
reits durch eine Zweitausführung desselben Entwurfs von 1511
vertreten ist26. Die stecherisch feine Zeichnung auf der Scheibe
in London begegnet in der Nürnberger Glasmalerei aber nur
während der kurzen Zeitspanne von 1504-1506, unter dem un-
mittelbaren Einfluss Hans Baldung Griens, was sich bestens
zum Jahr 1504 der Schreyer’schen Stiftung im Chor der Augus-
tinerkirche fügt. Schließlich passen Maße und Proportionen
der Scheibe recht gut zu den Chorfenstern der Augustinerkir-
che, wie sie auf einer Radierung von Christoph Georg Wilder
überliefert sind27, wenngleich hier naturgemäß keine absoluten
Maße mehr zu ermitteln sind.
Erhaltung: Vollständig originale Glassubstanz. Abgesehen von
mehreren Sprungbleien keine nennenswerten Beeinträchti-
gungen; Bemalung intakt.
Ikonographie, Komposition: Im engsten Kreis einer durchfens-
terten Nische haben sich Christus und seine Jünger zum letz-
ten Abendmahl versammelt. Gewählt ist der nur im Johannes-
evangelium (Io 13,21-30) geschilderte dramatische Moment,
da Christus seinen Verräter offenbart. »Wahrlich, wahrlich ich
sage euch. Einer von euch wird mich ausliefern«, und auf die
Frage des Johannes »Wer ist es?« erwidert er: »Der ist es, dem
ich den Bissen eintauchen und geben werde«. Darauf nimmt er
den Bissen, taucht ihn ein und reicht ihn dem Judas, dem Sohn
des Simon Ischariot. Das für die Szene ungünstige Hochfor-
mat zwang den Entwerfer dazu, die Apostel in engster Staf-
felung hintereinander zu platzieren, wobei zumeist nur die
Köpfe sichtbar bleiben und in einem Fall nicht einmal das; nur
noch ein Teil des Nimbus ist in der rechten oberen Ecke vom
zwölften Jünger zu sehen.
Abgesehen von dieser Einschränkung lassen sich jedoch ver-
schiedentlich Bezüge zu gleichnamigen Darstellungen in der
26 Vgl. Scholz 2002,1, S. 215, II, S. 539-552, Abb. 209. Da das Wöhr-
der Fragment des Abendmahls in der technischen Ausführung der 1511
datierten Fußwaschung in Wöhrd entspricht, kann an der ehemaligen
Zusammengehörigkeit der beiden Scheiben in dem von 1504-1513 ver-
glasten Kreuzgang des Karmeliterklosters kein Zweifel sein.
27 StadtBN, Nor. K. 89, Blatt 7.
28 Winkler, I, 1936, S. 28, Nr. 34; vgl. Fedja Anzelewsky, in: Anze-
lewsky/Mielke 1984, S. c)f., Nr. 4.
2<? Vgl. Scholz 2002,1, Fig. 65-68.
30 Knappe 1962, S. 356-361, und Knappe 1963, S. 58.
3! Kat. Ausst. Karlsruhe 1959, Nr. 103, Abb. 36.
Fig. 253. ES London, VAM.
M. 1:15
Nürnberger Kunst herstellen: Insbesondere die Rückenfigur
des Judas mit dem Geldsäckel in der Linken, dem erstaunt
über die Offenbarung in den Nacken geworfenen Kopf, der ge-
spannten Körperhaltung und dem Redegestus verrät die Kennt-
nis einer nicht sicher zugeschriebenen Abendmahlszeichnung
des frühen Dürerkreises im Berliner Kupferstichkabinett (KdZ
11715) (Fig. 254)28, eine Figur, die so freilich schon bei Wol-
gemut, 1491 im Schatzbehalter (47. Figur), angelegt war und
noch ganz ähnlich 1508/09 in Dürers Kleiner Passion (Meder
133) wiederkehrt. Doch über die zentrale Interaktion zwischen
Christus und Judas hinaus bleiben die Apostel in der Londoner
Scheibe statisch, was wiederum hauptsächlich dem schmalen
Format geschuldet ist. Lediglich als Andeutung einer Rahmung
dient die von Konsolen getragene einfache Astwerkblende am
oberen Rand.
Farbigkeit: Das Kolorit ist gekennzeichnet durch wenige groß-
flächige Komplementärkontraste, wobei Gelb und Blau, Vio-
lett, Grün und das Weiß des Tischtuchs das Bild bestimmen,
während Rot nur marginal aufscheint. Bereits in diesem frühes-
ten erhaltenen Glasgemälde nach Entwurf Hans Baldungs zeigt
sich dessen ausgeprägte Vorliebe für plakative Farben, wie wir
sie wenig später an den Glasmalereien des Karmeliterkreuz-
gangs, vor allem den heute in Großgründlach befindlichen
Scheiben29, bzw. an den Hallenser Altären von 1507 auf dem
Höhepunkt sehen.
Fechnik, Stil, Datierung: Wie Knappe bereits in aller Ausführ-
lichkeit nachgewiesen hat, deuten zahlreiche Eigentümlich-
keiten auf die Urheberschaft Baldungs am Entwurf des Abend-
mahls30. Für die gedrängte Zusammenballung der Figuren sind
in Baldungs CEuvre noch auf den Flügeln des Freiburger Hoch-
altars erstaunliche Parallelen zu finden. Bezeichnenderweise
aber ist die Verwandtschaft zu Werken der Zeit um 1504-1506
am stärksten: Das Antlitz Christi mit den fleischigen Wangen
und deren eigentümliche Schattenschraffierung finden sich eng
verwandt in der Zeichnung des Fahnenschwingers von 150431.