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FRAUENKIRCHE
in Prag erwirkte Privileg öffnete den Weg zu einem Pogrom am St.-Nikolausabend desselben Jahres (5. Dezember)4,
dem 562 namentlich bekannte Personen zum Opfer fielen5. Mit der Niederlegung des Viertels wurde rasch begonnen6,
und die Vermächtnisstiftung einer Pfründe im Jahr 1352 spricht bereits von der Newen Capellen di man bare et auf
dem Nerven markt7. Im Stiftungsbrief vom 8. Juli 1355 heißt es, Karl IV. habe »die neue Kirche oder Kapelle errichtet,
gegründet und geschaffen ... zu Lob und Ruhm seines Kaisertums, zu Ehren der glorreichen und immerwährenden
Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, und unseres Herrn Jesu Christi, für unser und unserer Vorfahren Seelenheil,
in unserer kaiserlichen Stadt Nürnberg«8. Mit der Weihe eines Zwölf boten- und eines Barbara-Altars nördlich und
südlich des Chors am 25. Juli 1358 — dem Datum, an dem fortan Kirchweih begangen wurde - dürfte der dem Prager
Augustiner-Chorherrenstift inkorporierte Bau der Frauenkirche weitgehend vollendet gewesen sein9.
Neben der Verehrung der Gottesmutter war dem Bau aber auch eine politische Funktion zugedacht, wie Karl IV. im
Stiftungsbrief 1355 klar und deutlich zu verstehen gab. An Ostern 1355 (5. April) war Karl in Rom zum Kaiser gekrönt
worden und hatte auf dem Reichstag in Nürnberg 1356 nach langwierigen Verhandlungen mit der »Goldenen Bulle«
eine neue Reichsverfassung verabschiedet, in der u.a. die Modalitäten der Königswahl sowie Rechte und Pflichten der
sieben Kurfürsten festgeschrieben wurden. Mit der Verpflichtung des neu gekrönten Königs, den ersten Hoftag in
Nürnberg abzuhalten, wurde die Reichsstadt neben Frankfurt (Wahlort) und Aachen (Krönungsort) nun als dritte
Stadt im Reich eigens privilegiert. Von der Galerie der Frauenkirche sollten alljährlich die Reichskleinodien bzw.
die dazu gehörenden Reliquien (das »Heiltum«) gewiesen werden, was sich auch in dem auf Kaisertum und Reich
ausgerichteten ikonographischen Programm der Westbaues und des nahe gelegenen Schönen Brunnens widerspiegelt.
Tatsächlich erfolgte die Heiltumsweisung nur ein einziges Mal anlässlich der Taufe von Karls erstgeborenem Sohn und
Thronfolger Wenzel am 11. April 1361 von dieser Stelle auf dem umbgang der kaiserlichen capelff Die erst im Jahr
1424 dauerhaft in die Obhut der Stadt übergegangenen Reichskleinodien wurden danach bis zur Reformation 1523
alljährlich am zweiten Freitag nach Ostern, dem Fest der heiligen Lanze - der ältesten und vornehmsten Reliquie des
Reichsheiltums - von einem eigens auf dem Hauptmarkt aufgestellten Heiltumsstuhl gezeigt11.
Die über nahezu quadratischem Grundriss errichtete dreischiffige Hallenkirche von drei Jochen und einem ein-
schiffigen Chor von zwei Jochen und polygonalem 5/8-Schluss ist der erste Hallenbau Frankens und verrät in ihrer
Architektur vielfältige Bezüge zum Heilig-Kreuz-Münster Heinrich Parlers in Schwäbisch Gmünd, während in der
Bauplastik Analogien zum späteren Prager Parlerstil - konkret zur Peter Parlers Tumba Ottokars I. im Veitsdom

dass die Juden daselbst entleibt würden. Am 19. Nov. 1349, drei Tage
nach Ausfertigung der Markturkunde, überschrieb Karl IV. Ulrich
Stromer ein Haus, das früher dem Juden Isaak von Schehslitz gehör-
te, offenbar zur Arondierung des Stromerschen Anwesens: daz Juden
Haus ... ze nehst bei der patstuben am Zotenberg (MGH, Const. IX,
Nr. 617).
4 Ulman Stromer’s Püchel von meim geslechet und von abentewr, 1349
bis 1409 (Chroniken I, S. 25).
5 Die Namen der 562 zu Nürnberg am 5. Dez. 1349 ermordeten Juden
in: Siegmund Salfeld (Hg.), Martyrologium des Nürnberger Memor-
buches (Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland III), Berlin
1898,S.219-230.
6 Abbruch der Judenhäuser, 31. Mai 1350 (StadtAN, A 1, 1350 V 31):
Schlichtung des Streits zwischen dem Bamberger Bischof und dem
Nürnberger Burggrafen auf der einen und der Stadt Nürnberg auf der
anderen Seite. Die Stadt zahlte der gegnerischen Partei eine Abfindung
von 1600 Gulden, womit deren aus den Verpfändungen von Judengel-
dern herrührenden Ansprüche abgegolten waren.
7 Testament des Konrad Meyentaler vom 29. Febr. 1352 (StAN, Rep. o,
Rst. Nürnberg, Münchner Abgabe 1900, Urkunden Nr. 827).
[...] in civitate nostra imperiali Nurembergensis, Bambergensis dio-
cesis, novam Ecclesiam seu Capellam ereximus, fundavimus et creavi-
mus [...]; Original verloren; gedruckt in: Gelasius Dobner, Monumen-
ta historica Boemiae, III, Prag 1774, S. 362; Murr 1804, S. 19!. (nach
dem verschollenen Codex Johannis Stromeri de Templo Mariano 1518,
fol. 9); Blohm 1993, S. 220k, Nr. 1; deutsche Übersetzung im Salbuch
der Frauenkirche, angelegt von Stephan Schuler 1442, mit Nachträgen
bis 1466 (StAN, Rst. Nürnberg, Salbücher, Nr. 5, fol. 5; publiziert von
Metzner 1869, S. 83-85).

Metzner 1869, S. iof.; vgl. Wilhelm Deinhardt, Dedicationes
Bembergenses. Weihenotizen und -urkunden aus dem mittelalter-
lichen Bistum Bamberg (Beiträge zur Kirchengeschichte Deutschlands
I), Freiburg i. Br. 1936, S. 41E, Nr. 63k
10 So überliefert es die Chronik des Sigmund Meisterlin (Chroniken
III, S. 158).
11 Schnelbögl 1962, S. io6fk; Alfred Wendehorst, in: Kat. Ausst.
Nürnberg/New York 1986, S. 14, Abb. 11.
12 Bräutigam 1961, S. 72, bzw. 1965, S. 189; Schmidt 1970 (Nach-
druck in: Gerhard Schmidt, Gotische Bildwerke und ihre Meister,
Wien/Köln/Weimar 1992, S. 175-228, bes. S. 189-191); Viktor Kotr-
ba, Wann kam Peter Parier nach Prag?, in: Umem 19, 1971, S. 131-135;
Klaus WiNANDs/Hasso Breuer, Aachen - Nürnberg - Prag. Eine
Miszelle zur Architekturrezeption unter Karl IV., in: Architektur und
Kunst im Abendland (FS für Günter Urban), hrsg. von Michael Jansen
und Klaus Winands, Rom 1992, S. 165-178, bes. S. 170h; Rösch 2004,
S. 65-71, mit dem interessanten Hinweis auf das potentielle Vorbild der
staufischen Doppelkapelle der Nürnberger Kaiserburg für den Vier-
stützenraum der Frauenkirche; Roller 2004.
Schurr 2003, S. 82h, 134h und Anm. 337h, 343. Zur Bauleitung
Heinrich Parlers in Augsburg s. bereits Heinke Creutzfeldt, Das
Langhaus der Heilig-Kreuzkirche in Schwäbisch Gmünd, Phil. Diss.
Freiburg 1953 (Ms.), S. 123h, und Chevalley 1995, S. 6if.
I4 Hierzu exemplarisch Hartmut Scholz, Export oder Filiation
- Auftragsvermittlung durch die Werkmeister spätmittelalterlicher
Bauhütten am Beispiel Ulmer Glasmalerei-Exporte, in: Corpus Vit-
rearum, Aktendes 16. internationalen Kolloquiums in Bern 1991, hrsg.
von der Kommission für das Corpus Vitrearum in der Schweiz von
Ellen J. Beer, Bern 1991, S. 49-53.
 
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