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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Nürnberg: Sebalder Stadtseite — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.52871#0437
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434

FRAUENKIRCHE

Frauenkirche, der mit einer Höhe von rund zehn Metern bis
fast ins Gewölbe hinaufreichte und mit seiner modernen itali-
enischen Triumphbogenarchitektur das alte Chorachsenfenster
Karls IV. nahezu vollständig verdeckte (vgl. Fig. 322)126. Dieses
größte Altarwerk der Dürerzeit in Nürnberg, dessen gemalte
Tafeln in der jüngeren Forschung übereinstimmend mit Barthel
Beham und mit dem apokryphen Datum des Welser-Thumer-
Fensters 1522 verbunden worden sind, wurde um 1810, noch
vor der Wiedereinführung des alten Ritus in der Frauenkirche,
abgetragen und später in Teilen ins Germanische Nationalmu-
seum verbracht12 .
Technik: Im Welser-Schildchen rückseitiger Ausschliff aus dem
roten Überfang.
Stil, Datierung: Obwohl die verschiedentlich überlieferten in-
schriftlichen Daten - 1518 bzw. 1522 - im großen Welser-Wap-
pen nicht mehr aufzufinden sind, deutet allein die routinierte
Zeichenweise in den erhaltenen Figuren auf eine späte Arbeit
der Werkstatt Veit Hirsvogels d.Ä., in diesem engen zeitlichen
Rahmen. Auch der Gesamtfensterentwurf Hans von Kulm-
bachs wurde von Butts zunächst noch auf ca. 1518, neuerdings
aber ins letzte Lebensjahr des 1522 verstorbenen Entwerfers da-
tiert128. Ob dieser den Glasmalern außerdem noch reingezeich-
nete Visierungen oder gar Kartons der Einzelscheiben geliefert
hat, ist schwer zu sagen. Für detaillierte Visierungen spräche
beispielsweise der thematisch verwandte Scheibenriss mit dem
Hl. Petrus und einem knienden Stifterpaar in Wolfenbüttel,
der unverkennbar Kulmbachsche Züge trägt, aber wohl selbst
schon als Glasmaler-Umzeichnung zu betrachten ist129.
Foto Werkstatt G. van Treeck 1986
4b WAPPEN WELSER Fig. 387, Abb. 265
H. 84,5-85 cm, B. 39,8-40,5 cm.
Hs. Merkel 210, S. 56.
Im 19. Jh. eine Zeile höher in 5b nachgewiesen.
Erhaltung: Reparaturen des 19. Jh. einschließlich einer kleinen
Anzahl alter Flickstücke verteilen sich relativ gleichmäßig auf
den Rahmen, Helmdecken und Helmzier. Bleinetz 19. Jh.
Ikonographie, Komposition: Wappen Welser: von Rot und Sil-
ber gespalten mit einer heraldischen Lilie in verwechselten Far-
ben; Helmzier über frontal gestelltem grauen Stechhelm mit
rot-silbernen Helmdecken: doppelter Adlerflug von Rot und
Silber gespalten, jeweils belegt mit der heraldischen Lilie in
verwechselter Tinktur.
Stil, Datierung: Nürnberg, um 1518/22 (Hirsvogel-Werkstatt
nach Entwurf des Hans von Kulmbach); vgl. 4a.
Foto Werkstatt G. van Treeck 1986
4c HL. MATTHIAS (URSPRÜNGLICH JAKOBUS DER
JÜNGERE?) MIT STIFTERIN EHRENTRAUD THUMER
Fig. 387, Abb. 266
H. 82,7 (85) cm, B. 39,7 cm.
Hs. Merkel 210, S. 57.
Im 19. Jh. eine Zeile höher in 5c nachgewiesen.
Erhaltung: Besonders die weibliche Stifterfigur ist durch mehr
oder weniger stark korrodierte Flickstücke aus altem Glas in
ihrer Lesbarkeit nachhaltig gestört. Ergänzungen des 19. Jh.
in den Gewändern und in der Rahmenarchitektur fallen dem-
gegenüber weniger gravierend aus. Flächige Korrosion in den
rosavioletten und hellbraunen Farbgläsern. Bemalung teilweise
stark reduziert. Bleinetz 19. Jh.
Ikonographie, Komposition: Ehrentraud Thumer (J 1529) ist
wie ihr Gemahl als kniende Stifterin in anbetender Haltung

dargestellt, gekennzeichnet durch ein kleines Thumer-Wappen
und präsentiert durch einen Apostel, der durch das Attribut der
Hellebarde allein nicht eindeutig als Judas Thaddäus, Matthäus
oder Matthias zu identifizieren wäre. Die Benennung als Hl.
Matthias hat sich eingebürgert, obgleich eine hinreichende Er-
klärung dafür bislang nicht beigebracht wurde. Tatsächlich war
im Gesamtentwurf Hans von Kulmbachs an dieser Stelle der
Hl. Jakobus minor mit dem Attribut der Walkerstange (oder
Wollbogen) vorgesehen (Fig. 377), was sich damit erklären lie-
ße, dass auch einer der Söhne den Namen des Vaters trug und
als Jakob II. (1498-1553) später die Niederlassung der Welser in
Antwerpen übernahm. Natürlich hätten die Auftraggeber eine
Verwechslung der nicht unähnlichen Attribute seitens der aus-
führenden Glasmaler gewiss beanstandet, und so bleibt nur die
naheliegende Erklärung, dass die Restauratoren des 19. Jh. den
Befund falsch interpretiert und anstelle einer Fehlstelle irrtüm-
lich eine Hellebarde rekonstruierten, ein Irrtum, der freilich
schon dem Zeichner des 18. Jh. unterlaufen wäre, der überdies
den Pilgerstab des älteren Jakobus als Schwert überliefert hat.
Ungeachtet dieses Problems zeugt die Gestalt des Apostels
mehr als alle anderen im Welser-Thumer-Fenster von der aus-
geprägten Eigenart Kulmbachscher Figurenauffassung, wie ein
Vergleich etwa mit dem Hl. Andreas im Wendelsteiner Altar
von 1510 vor Augen führt.
Technik, Stil, Datierung: Nürnberg, um 1518/22 (HirsvogeL
Werkstatt nach Entwurf des Hans von Kulmbach); vgl. 4a.
Foto Werkstatt G. van Treeck 1986
5a MÄNNLICHE SCHUTZSUCHENDE ALLER
STÄNDE UNTER DEM SCHUTZMANTEL MARIAS
Fig. 378, Abb. 262
H. 84,5 cm, B. 41 cm.
Hs. Merkel 210, S. 57.
Im 19. Jh. eine Zeile höher in 6a nachgewiesen.
Erhaltung: Ohne größere Ergänzungen, ausgenommen die
Reparaturen des 19. Jh. im Bereich des unteren Gesimsprofils.
Vereinzelt Flickstücke mit altem Glas, darunter zwei originale
Köpfe des späten 14. Jh., die aus abgegangenen Fenstern der
Erstverglasung stammen dürften und wie üblich in nachmit-
telalterlicher Zeit zu Flickzwecken gebraucht wurden. Diese
erinnern im Stilbild an die Werkstatt der ältesten Chorfenster
des Ulmer Münsters, die sich nach heutigem Kenntnisstand aus
Nürnberger Kräften zusammensetzte . Lochfraß im violet-
ten Glas des Kaisermantels. Bleinetz frühes 19. Jh. mit relativ
weiter Zahnung.
Ikonographie, Komposition: Das ursprünglich dem juristi-
126 Vgl. Jörg Rasmussen, Die Nürnberger Altarbaukunst der Dürer-
zeit, Hamburg 1974, S. 80-91, und Strieder 1993, S. 154, 278!.
127 Vgl. Löcher 1997, S. 63-68, Gm 187, 188. Die beiden erhaltenen
Flügel waren 1810 durch den Kgl. Galerieinspektor Georg Dillis für
die Kgl. Gemäldesammlung auf Schloss Schleißheim konfisziert wor-
den und fanden erst 1911 durch Tausch ihren Weg zurück nach Nürn-
berg; sie kamen ins Germanische Nationalmuseum. Das in der Kirche
verbliebene innere Flügelpaar ist bei der Zerstörung der Frauenkirche
im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Vom architektonischen Aufbau fehlt
jede Spur. Vgl. Schwemmet 1949, S. 13Sf.
D8 Butts 1985, S. 128k, bzw. Butts 2006, S. 197, A 120. die spätere Da-
tierung kann sich auch auf die Überlieferung eines Welser-Wappens mit
der inschriftlichen Jahr zahl 1522 stützen, die sich in einer Auflistung der
Glasgemälde der Frauenkirche von 1814 findet (vgl. Reg. Nr. 156).
129 Vgl. Friedrich Thöne, Bemerkungen zu Zeichnungen in der Her-
zog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Niederdeutsche Beiträge
 
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