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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Nürnberg: Sebalder Stadtseite — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.52871#0455
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EHEMALS LANDAUER-KAPELLE

4J2
4/5. MATTHÄUS LANDAUER UND SEINE FAMILIE /
DIE KLUGEN UND TÖRICHTEN JUNGFRAUEN
VOR GOTTVATER Fig. 401
Schmitz 1913, II, Nr. 238, 239.
H. jeweils 90 cm, B. jeweils 43 cm.
Inschriften: Linkes Feld: (Ore manuque deum) viduae
juvenesq(ue) senesq(ue) / (Christum confessi m)eritis nos iun-
gite v(est)ris.
[Die ihr Christus als Gott bekannt habt / Ihr Witwen, Jüng-
linge und Greise, vereinigt uns mit Euren Verdiensten],
Rechtes Feld: En sua virgineus serpitper lilia coetus / O utinam
sanctis imitemur gressib(us) illas.
[Siehe die jungfräuliche Schar hat ihre Lilien behütet / O, dass
wir doch mit schnellen Schritten jenen nachfolgen].
Ikonographie, Komposition: Die linke Seite der zweiteiligen
Komposition war dem Stifter und seiner Familie vorbehalten,
die in demütiger Haltung die Aufnahme ins Paradies erwar-
ten; zu Füßen des knienden Stifters das Landauer-Wappen.
Die Handreichung eines Engels, die allein Matthäus Landauer
und seiner Ehefrau Helena im Bild zuteil wurde, teilte diese
bereits dem Kreis der Seligen zu und stellte sie in eine Reihe
mit den Klugen Jungfrauen vor Gottvater auf der rechten Seite.
Ob auch den Törichten Jungfrauen ein Pendant auf Seiten der
Stifterfamilie zugedacht gewesen war, ist angesichts der from-
men Gesten und Accessoires (zum Gebet gefaltete Hände bei
der Tochter und die Paternosterschnur in den Händen des jun-
gen Mannes (des Schwiegersohnes Wilhelm Haller?) allerdings
nicht anzunehmen.
Die rechte Bildhälfte mit den Klugen und Törichten Jungfrauen
leitete über zur Gestalt des thronenden Gottvater als dem Rich-
ter, der hier die Position Christi einnahm, der gemeinhin mit
dem Bräutigam der Parabel bei Mt 25,1-13 gleichgesetzt wird37.
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen ist - ebenso wie die
Gleichnisse vom treuen und untreuen Knecht bzw. den Talenten
- Sinnbild für die Wiederkunft des Herrn am Jüngsten Tag und
der Mahnung zur Wachsamkeit. Während die fünf Klugen in
Erwartung des Bräutigams ausreichend Öl für ihre Lampen mit
sich führten, hatten die Törichten ihr Öl zu früh verbraucht,
denn der Bräutigam ließ auf sich warten. Als er nun um Mitter-
nacht kam, da entzündeten die Klugen ihre Lampen und gingen
mit dem Bräutigam hinein zur Feier der Hochzeit, und die Türe
wurde geschlossen. Die Törichten aber hatten inzwischen ver-
sucht, Öl bei Händlern zu kaufen, kamen zu spät und wurden
abgewiesen. In der Zusammenschau mit dem Jüngsten Gericht
stehen die Klugen Jungfrauen für die Seligen und die Törichten
für die Verdammten. In den Interpretationen der Parabel von
den Kirchenvätern bis in die Neuzeit hinein werden als zentrale
Motive der Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen mit
und ohne Öl die guten Taten, die Nächstenliebe und die Werke
der Barmherzigkeit hervorgehoben. In diesem Sinne konn-
te Matthäus Landauer mit Blick auf seine karitative Stiftung
die berechtigte Hoffnung zum Ausdruck bringen, gleich den
Klugen Jungfrauen dereinst ins Himmelreich aufgenommen zu
werden.
Farbigkeit: Schmitz 1913,1, S. 145: »Matthäus Landauer in vio-
lettem, prächtig modelliertem Mantel, dessen Faltenwurf nicht
so großzügig wie im Mittelfenster ist, die hinter ihm knieende
Tochter in leuchtend grünem Kleide mit goldgelbem Kragen,
vor Waldlandschaft in Helldunkelmalerei auf dunkelgrünem
Glase, noch farbiger ist die Gruppe der Jungfrauen, die vorder-
ste in leuchtend grünem Kleid mit blaßrot dünnüberfangenem
Kragen, die linke in rotem Kleide mit weißem aus dem Über-

lang geschliffenem Damast, Gottvater, in Tracht und Haltung
in der 1508-1509 gemalten Krönung des Helleraltars wieder-
holt, in leuchtend roter Dalmatika und tiefviolettem Unter-
kleide vor grünem Baldachin. Die rundlichen Frauenköpfe mit
Kränzchen um die aufgeflochtenen Zöpfe oder mit Hauben, die
offenen, die vollen Brüste zeigenden Leibchen mit Querband
verwendet Dürer seit er in Venedig war ...«.
Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum
6/7. STURZ DER ABTRÜNNIGEN ENGEL /
OPFERUNG ISAAKS Fig. 404
Schmitz 1913, II, Nr. 240, 241.
H. jeweils 90 cm, B. jeweils 43 cm.
Inschriften: Linkes Feld: Coetus angelici stygiafn pessumdate)
turbam / corporibus diram ftos(tris animisque) molesta(m).
[Ihr Engelscharen vernichtet das höllische Heer, das unseren
Leibern und unseren Seelen beschwerlich].
Rechtes Feld: Archipalpxes primi cultores) numinis olim / Unius
et (veri nos iungite) poscimfas illi).
[Ihr Erzväter, einstmals die ersten Verehrer der einen und wah-
ren Gottheit, wir fordern, dass ihr uns mit ihr vereinigt].
Ikonographie, Komposition: Der Kampf der Engel mit den Dra-
chen auf der linken Seite der zweiteiligen Komposition illus-
trierte die apokalyptische Vision vom Streit im Himmel (Apc
12,7-1 o)38: »Michael und seine Engel erhoben sich, um Krieg
zu führen mit dem Drachen, und der Drache kämpfte und seine
Engel. Aber er vermochte nichts, und es wurde im Himmel kein
Ort mehr für sie gefunden. Und gestürzt wurde der große Dra-
che, die alte Schlange, die der Teufel heißt und der Satan, der die
ganze Welt verführt; gestürzt wurde er auf die Erde, und seine
Engel wurden mit ihm gestürzt. Und ich hörte eine mächtige
Stimme im Himmel rufen: >Nun ist das Heil und die Kraft und
das Reich unseres Gottes und die Macht seines Gesalbten an-
gebrochen. [...] Und sie haben ihn besiegt kraft des Blutes des
Lammes<«. Während im letzten Satz des Zitats ein sinnvoller
Bezug zur benachbarten Szene, der Opferung Isaaks als Präfi-
guration der Kreuzigung Christi, hergestellt wird, besitzt die
Darstellung des Engelsturzes im übergreifenden Bildprogramm
der Landauer-Kapelle noch eine weitere Textgrundlage im letz-
ten Kapitel von Augustinus’ Gottesstaat: »Gott ist es, der an
dem freiwilligen Fall der Engel die völlig gerechte Strafe ewiger
Unseligkeit geknüpft und den übrigen, die in diesem höchsten
Gute verharrten, als Lohn ihres Verharrens gewährt hat, daß sie
ihres ewig dauernden Verharrens in ihm sicher seien; er ist es,
der ebenso auch den Menschen aufrecht erschaffen hat mit dem
nämlichen wahlfreien Willen, ein irdisches Leibeswesen zwar,
jedoch wert des Himmels, wenn es seinem Schöpfer verbunden
bliebe, während umgekehrt, wenn es von ihm abfiele, ebenfalls
Unseligkeit die Folge sein sollte, [...]; er ist es, der aus dem mit
Fug und Recht verdammten Geschlechte der Sterblichen durch
seine Gnade ein Volk schart, groß genug, um die Lücke zu er-
gänzen und auszufüllen, die durch den Engelsfall entstanden
ist, und die geliebte obere Stadt nicht Einbuße erleiden zu las-
sen an Bürgerzahl, vielleicht sogar mit einer noch größeren sie
zu beglücken« (De Civitate Dei, 22, i)39.
Die Komposition selbst erinnerte nicht von ungefähr an Dürers
vorbildlichen Holzschnitt in der Apokalypse von 149840, doch
in den Details verriet die Zeichnung des Engelsturzes W. 468
in London aus dem Jahr 1509 noch sehr viel engere Zusammen-
hänge. Entsprechend ausgearbeitet dürfte auch der Entwurf
Dürers ausgesehen haben, der dem originalgroßen Engelsturz-
karton in Boston zugrunde gelegen hat.
 
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