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GEMEINDE IRSCHENBERG

Irschenberg

Die weitverzweigte Gemeinde im voralpinen Hügelland des
nordöstlichen Landkreises umfaßt seit der Gebietsreform von
1978 über ihr ursprüngliches Gebiet am Irschenberg hinaus
wesentliche Teile der ehern. Gemeinden Niklasreuth und Rei-
chersdorf und den Frauenrieder Bereich der ehern. Gemeinde
Parsberg.
Der freie Höhenrücken des Irschenberges, der im Westen
vom Leitzachgrund, im Norden und Osten vom Aiblinger
Moos her bis auf 752 m ansteigt, war vermutlich schon in pro-
vinzialrömischer Zeit besiedelt oder bekannt. Seine Bezeich-
nung wird von dem romanischen Namen Ursinus abgeleitet.
Als gesichert kann gelten, daß die beiden Missionare Marinus
und Anianus im 7.Jh. am Irschenberg den Märtyrertod erlit-
ten haben.
An der durch wildbachähnliche Gräben zerfurchten Südseite
des Berges werden - wohl seit dem 8. Jh. - die beiden Heiligen
in den Wallfahrtskirchen Wilparting und Alb verehrt.
Die Wallfahrt zu ihren Gräbern erforderte im 14. Jh. die Ein-
richtung einer Pfarrei auf der Höhe des Irschenberges, aus der
sich letztlich auch die politische Gemeinde entwickelte. Sie
stellt bis vor wenigen Jahrzehnten eine reine Bauerngemeinde
mit dem Pfarrdorf Irschenberg, den beiden Wallfahrtskir-
chen, wenigen kleinen Weilern, davon Frauenried und Pfaf-
fing mit Filialkirchen, und einer großen Anzahl sehr verstreu-
ter oft sehr abgelegener bäuerlicher Einöden dar. Grundher-
ren waren meist die Klöster und Stifte Scheyern (Propstei
Fischbachau), Schliersee, Weyarn und Beyharting und die
Herrschaften Hohenwaldeckxirid Maxlrain.
Zogen zum Irschenberg in älterer Zeit vor allem die Wallfah-
rerströme und querten ihn seit dem frühen 19. Jh. nur die Salz-
transporte von Rosenheim-Aibling über Dorf Irschenberg
nach Miesbach und Tölz, so legt sich seit 1938 mit der Auto-
bahn München-Salzburg eine europäische Hauptverkehrs-
achse westöstlich über seinen Rücken.
Das späte 19. und frühe 20. Jh. hatten die Höhe als eine der
glanzvollsten Aussichtsplätze des Voralpenlandes erkannt,
mit der Wilpartinger Kirche im Vordergrund und dem Wen-
delstein als dominierendem Bergmassiv im Süden, mit Aus-
blicken in die Innebene und das Aiblinger Moos. Bewußt
wurde deswegen die Autobahn über den Irschenberg hinweg-
geführt, um den Reisenden dieses Erlebnis zu vermitteln.
Die baulichen Strukturen und die übrigen Entwicklungen der
Lebensverhältnisse im Gemeindemittelpunkt Irschenberg und
den Nachbarorten Buchbichl und Loiderding haben sich seit-
dem stark gewandelt, während die sonstigen Weiler und über
hundert Einöden von Veränderungen weniger berührt wur-
den. 1980 bestanden 226 landwirtschaftliche Betriebe, meist
als Einödhöfe, in einer wesentlich erhaltenen historischen
bäuerlichen Kultur- und Siedlungslandschaft, die sich durch
regen Wechsel der Landschaftsformen auszeichnet. Im 19.
und frühen 20. Jh. war neben der herkömmlichen Viehzucht
auch Obstbau verbreitet.
Die ehern. Gemeinde Niklasreuth bzw. deren Orte liegen an
den nördlichen Abhängen des Auerberges, des Höhenzuges
südlich von Irschenberg. Der eindrucksvoll erhaltene Haupt-
ort umfaßt die Pfarrkirche und wenige Anwesen. Fast alle
weiteren Siedlungen sind bäuerliche Einöden.
Das ehern. Gemeindegebiet von Reichersdorf dehnt sich im
Westen der jetzigen Gemeinde, westlich der Leitzach, aus. Es
ist 1978 zwischen Weyarn und Irschenberg aufgeteilt worden,
wobei das alte Kirchdorf Reichersdorf und die östlich davon
gelegenen sog. Reichersdorfer Einöden an Irschenberg ge-
langten.

Das Pfarrdorf, in 732 m Höhe nördlich des Irschenberggipfels
gelegen, umfaßte bis zum Beginn des 20. Jh. nur die Kirche
mit dem Friedhof, den bewirtschafteten, Ende des 19. Jh. neu
erbauten Pfarrhof, das Wirts- das Kramer-, das Mesneranwe-
sen (Anzinger Str. 1, Miesbacher Straße 1, 2, 3) und den Hof
«Beim Bauern» (Kirchplatz 7).
Um diesen teils erhaltenen, teils noch ablesbaren Siedlungs-
kern legten sich in den letzten Jahrzehnten ausgedehnte Neu-
baugebiete.
Das am Ostfuß des Irschenberges gelegene kleine Kirchdorf
Pfaffing gilt als ältester Pfarrsitz am Berg. 1141 weihte Bischof
Otto v. Freising die etwa drei Kilometer weiter südlich gele-
gene Kirche von Kematen (Lkr. Rosenheim), auf die inzwi-
schen die Pfarrechte übergegangen waren. Erstmals als Pfar-
rei genannt, mit den Filialkirchen Kematen, Dettendorf, Ni-
klasreuth und Frauenried, wird Irschenberg im Jahre 1315.
Eine größere Nähe zu den beiden Wallfahrtsstätten Wilparting
und Alb könnte ein Grund für die Verlegung gewesen sein.
Die abgeschlossene Rodung muß die Voraussetzung dafür ge-
wesen sein.
Der Rang der Irschenberger Kirche als Pfarrkirche und des
Dorfes als Gemeindemittelpunkt manifestiert sich augenfällig
im stattlichen Kirchturm, der in seinen älteren Formen wie
auch nach dem Neubau von 1870 eine Landmarke in der gro-
ßen Pfarrei und im Voralpenland des Mangfall- und Schlie-
rachtais bis hin zum Rosenheimer Inntal darstellt.
Kath. Pfarrkiche St. Johannes d. Täufer, barocker Neubau
1698/97 von Johann Mayr d. Ä., gotisierender Turm mit
Spitzhelm, 1870.
Die stattliche hochbarocke, durch Wandpfeiler im Inneren
wie auch am Außenbau kräftig gegliederte Kirche wurde nach
dem Brand des mittelalterlichen Vorgängerbaus 1691 durch
den Hausstätter Maurermeister Johann Mayr d. Ä.
(1643-1718) z.T. über älterer Grundlage 1696/97 neu erbaut
und zuletzt 1928 und 1971 restauriert. Mayr besaß seit
1675/80 als Kirchenbaumeister in der Gegend um den Ir-
schenberg, um Altötting, um Rosenheim und im Leitzachtal
fast eine Monopolstellung. Allein in der damaligen Pfarrei Ir-
schenberg baute er fast gleichzeitig an den Kirchen von Det-
tendorf, Wilparting, Irschenberg und Niklasreuth. Der für
Mayr charakteristische geräumige, hell belichtete, sehr ein-
heitliche, von einer Stichkappentonne überspannte Wandpfei-
lersaal mit eingezogenem Chor gewinnt eine besondere Span-
nung durch die Rahmenstuckgliederung nach Miesbacher Art
im fünfjochigen Langhaus und die Steigerung dieser Gestal-
tung durch Blattornament-Füllungen im Chor; hier auch ein
Deckengemälde von 1696.
Auch am Außenbau ist der Chor durch querovale Blendfen-
ster besonders hervorgehoben. Der spätmittelalterliche Turm,
der offenbar zerstört war, wurde in den Neubau von 1691 ein-
bezogen, sein Spitzhelm 1758 durch eine Zwiebel ersetzt.
Das Gestühl stammt noch aus der Erbauungszeit, ebenso die
drei Altäre und die Kanzel, die um 1850 z.T. verändert wur-
den. Nach dem Einsturz des alten Turmes 1865 wurde ein
steinsichtiger Tuffquaderturm mit Spitzhelm errichtet. Das ur-
sprüngliche Steilsatteldach durch ein mittelsteiles ersetzt.
Kirchplatz 7. Ehern. Bauernhaus «Beim Bauern», Wohnteil
mit Blockbau-Obergeschoß, bez. 1642, umlaufende Laube
und Giebellaube wohl Ende 18.Jh.
Der Wohnteil dieses ehern. Bauernanwesens, dessen Grund-
herr vor 1803 das Kollegiatstift bei der Münchner Frauenkir-
che war, ist der letzte erhaltene historische Profanbau des
Dorfes.

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