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MARKT SCHLIERSEE
Viehzucht auf den Moränenzügen nördlich vor dem Schlier-
seebecken bei Westenhofen, an den Ufern des Sees, an den
freien Südwesthängen über dem See am Schliersberg, in
Fischhausen, auf den Almen um den Spitzingsee sowie in der
Valepp, war vom 11./12. bis zum mittleren 19. Jahrhundert
materielle Lebensgrundlage für die Bewohner des Gemeinde-
gebietes, dazu die Waldwirtschaft in den Bergwäldern, deren
Flächen dreimal größer sind, als das landwirtschaftlich nutz-
bare Grünland, sowie in kleinem Umfang die Fischerei in
dem 2,6 km langen Schliersee.
Diese Erwerbsmöglichkeiten entsprachen den naturräumli-
chen Gegebenheiten in dem von Norden nach Süden in einer
langen, schmalen etwa rechteckigen Gestalt sich erstrecken-
den Gemeindegebiet. Seine Grenzen sind mit Ausnahme der
kurzen nördlichen, 1812 gegen Hausham festgelegten, iden-
tisch mit denen des südlichen, gebirgigen Teils der alten Herr-
schaft, seit 1637 freien Reichsgrafschaft Hohenwaldeck, die
1734 an Kurbayern fiel.
Die Besiedlung des Gemeindegebiets, das in seinem größten
Teil, zwischen Brecherspitz (1683 m), Rotwand (1885 m) und
Tiroler Landesgrenze beim Forsthaus Valepp, den nördlichen
Kalkalpen (Mangfallgebirge) zugehört, mußte sich mit den
geringen see- und talnahen Flächen des Schlierseer Winkels
begnügen.
Die Gründung einer «cellula», eines Klosters «Schliers», auf
dem Westenhofener Kirchbichl durch fünf, den Tegernseer
Klostergründern offenbar verwandte Brüder vor dem Jahre
779, setzt ein erstes frühes Datum für den Beginn der Rodung
und Besiedlung an dem 777 m hoch gelegenen Moränensee.
Die Verlegung des in Abhängigkeit vom Freisinger Domstift
stehenden Klosters in die nahe Siedlung Schliersee und seine
Neugründung als Chorherrenstift, beeinflußte die Entfaltung
dieses Ortes zum Hauptort, der er heute noch ist. Eine ge-
schlossene Herrschaft am Schliersee konnten im Hochmitte-
lalter die Herren von Waldeck ausbauen. Als Ministeriale des
Bischofs von Freising hatten sie das Vogteirecht über das
Schlierseer Stift erworben. Die damit verbundenen Einkünfte,
der Gewinn aus eigenen, wohl meist durch Rodung entstande-
nen Gütern und die Herrschaft in Miesbach und Wallenburg
ermöglichte es ihnen, sich der Landesherrschaft der bayeri-
schen Herzöge zu entziehen. Mit Wolfgang v. Waldeck starb
das Geschlecht, von dessen Sitzen am Schliersee die Ruine
Hohenwaldeck und der Burgstall Hochburg nachgewiesen
werden können, 1483 aus. Ihre Nachfolger, die Herren von
Maxlrain, konnten 1637 die Erhebung der Herrschaft zur
Freien Reichsgrafschaft Hohenwaldeck durchsetzen.
Waldecker und Maxlrainer förderten die Besiedlung und Ver-
besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, bauten die Alm-
wirtschaft aus. Der letzte Maxlrainer Graf gründete um 1730
ein Eisenschmelzwerk in Josefsthal und ließ dort eine Neu-
siedlung entstehen.
Etwa 60 Anwesen hatten sich in Schliersee, am Ostufer des
Sees, bis zum Ausgang des Spätmittelalters gebildet, dazu vier
in Unterleiten und zwei in Ledersberg, die heute zum Markt
zählen. In fast allen Anwesen wurden auch Handwerke betrie-
ben. Seit etwa 1660 standen die Schlierseer Maurer und
«Stukkateure», die wegweisende frühbarocke Sakralräume
schufen, voran die Familie Zwerger, in den Nachbartälern, in
Miesbach und im Unterland bis nach Erding und Ilmmünster
in besonderem Ruf.
In bäuerlich-handwerklich strukturierten Anwesen, die sich
von der weiteren Bebauung nicht wesentlich unterschieden,
wohnten auch die Kanoniker des allerdings 1492 nach Mün-
chen verlegten Stifts.
Die verhältnismäßig dichte Schlierseer Besiedlung konzen-
triert sich auf das nordöstliche Seeufer (777 m Höhe). Der

lange östliche Uferstreifen blieb bis heute fast ganz, der west-
liche völlig von Bebauung frei.
Der Entdeckung des Sees durch Reisende und Sommergäste
seit etwa 1830 folgten grundlegende geschichtliche, v. a. auch
bauliche Veränderungen. Bereits 1869 erreichte die Eisenbahn
von München über Holzkirchen den Schliersee und wurde
1911 über Neuhaus bis Bayrischzell weitergeführt. 1892 wurde
in Schliersee, dessen Einwohner bereits wesentlich vom Frem-
denverkehr lebten, das Bauerntheater gegründet, kurz nach
1900 stellten sich die ersten Skisportler aus München ein. Die
auf 3000 Einwohner angewachsene Gemeinde wurde 1917
zum Markt erhoben.
Für viele öffentliche und private Neu- und Umbauten war seit
etwa 1905 ein teilweise sehr qualitätvoller Heimatstil verbind-
lich, den am Schliersee zugezogene Künstler und andere Per-
sönlichkeiten anregten. Beispiele dafür sind die Adaption des
alten Richterhauses als Rathaus und eine Reihe von Bauten in
der Landhäuser-Kolonie Neuhaus.
Der Wirtschaftsentwicklung und dem Massentourismus seit
etwa 1950 sind in Schliersee viele historische Bauten und bau-
liche Zusammenhänge zum Opfer gefallen, die das ältere
Ortsbild geprägt hatten. Nur partiell, wie am Weinberg, wie
um die Pfarrkirche und wie an der südlichen Seestraße sind
diese Zusammenhänge noch anschaulich.
Die Mehrzahl der Baudenkmäler erscheint isoliert in verän-
derter Umgebung. Dies gilt auch für den sehr alten Kirchort
Westenhofen im Nordwesten, für den ehemaligen Bauernwei-
ler Abwinkl an der Schlierach, für den Kirch- und Wallfahrt-
sort Fischhausen am Südende des Sees.
Dagegen lassen einige Einöden und Zweihöfeweiler in Hoch-
lage, wie Schwaig, Kreith und Ledersberg noch gut die mitte-
lalterlichen Besiedlungs- und Teilungsvorgänge ablesen.
Schliersee
Am Gstatterberg 9 c. Ehern. Getreidekasten, zweigeschossiger
Blockbau, bez. 1735, neu aufgestellt um 1970, ausgebaut und
erweitert 1977 (nicht abgebildet).
Am Waxenstein 2 - siehe Ortsteil Breitenbach.
Breitenbachstraße - siehe Ortsteil Westenhofen.
Hans-Miederer-Straße 4. Kapelle St. Georg, auf dem Wein-
berg, Langhaus angeblich 1368/87 erbaut, wohl auf älterer
Grundlage, Chor um 1500; frühbarocke Erneuerung der Ka-
pelle seit 1606.
Auf dem Weinberg, einem steilen Hügel im ältesten Schlier-
seer Ortskern, erhebt sich die malerische alte Georgs- oder
Weinbergkapelle. Der Hügel wird auch «Burg», der nördlich
unweit gegenüberliegende noch höhere «Hochburg» genannt,
doch nur auf dem letzteren Platz läßt sich bisher eine befestig-
te mittelalterliche Anlage nachweisen.
Die Anfänge der Kapelle sind ungeklärt. Nach der Überliefe-
rung hat der Ritter Georg d. Ä. v. Waldeck (f 1380), damali-
ger Grundherr am Schliersee, den Bau um 1368/87 gestiftet.
Der bestehende zweijochige, von einem Netzgewölbe über-
spannte Chor ist nach seinen Bauformen auf die Zeit um 1500
zu datieren. Die offensichtlich älteren Wände des flachge-
deckten Langhauses können vielleicht mit der Stiftung Georg
d. A., vielleicht auch mit einem romanischen sakralen Vor-
gängerbau oder sogar einem hochmittelalterlichen Wehrbau
in Verbindung gebracht werden. Nach den Berichten von Rei-
seautoren aus den Jahren 1838-54 wies die Nordwand des
Schiffes hinter dem Leonhardsaltar ein Wandgemälde auf,
das der 1456 gestorbene Ritter Georg d. J. v. Waldeck den
Schlierseer Heiligen Sixtus, Leonhard und Katharina als

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