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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 15.1994

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Kern, Ulrich: Die Zweifel des Anwalts - mehr Fragen als Antworten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31839#0072

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Design-Management betrachtet das Unterneh-
men als individuelles soziales System, einge-
bunden in den Zusammenhang Wirtschaft und
Gesellschaft, bestimmt durch die Determinan-
ten Ökonomie, Moral und Technologie. Auch
wenn zweifelsfrei feststeht, daß die Ökonomie
als Basis für unternehmerisches Handeln gilt,
ist nicht zu übersehen, daß zunehmend die
Moral, gesellschaftliche Wertvorstellungen also,
an Einfluß gewinnt. Damit verknüpft ist auch die
Diskussion um eineTechnikfolgenabschätzung.
Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch
gesellschaftlich sinnvoll. Und dieses wiederum
wirkt auf die Rentabilitätsbetrachtungen eines
Unternehmens zurück. Die drei Faktoren Öko-
nomie, Moral und Technologie befinden sich
damit in einem interdependenten Wirkungs-
verbund. (Abb. 2)

In diesem Kontext ist auch die Entwicklung ei-
ner Designphilosophie innerhalb der Unterneh-
menspolitikzu sehen. Teil der Designphilosophie
ist die Schaffung dafür notwendiger Rahmen-
bedingungen, die den synergetischen Wir-
kungszusammenhang aller an der Unter-
nehmensentwicklung Beteiligten zum Ziel hat.
Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Wettbe-
werb nicht nur extern, sondern auch intern, im
Unternehmen selbst stattfindet. So versucht
Design nicht, diese unternehmerischen Wirk-
kräfte zu eliminieren, sondern zur Erzeugung
eines kreativen Klimas und zur Imaginierung
von Visionen zu nutzen.

4. Zu Theorie und Praxis

Da der Design-Manager angeblich zu den Theo-
retikern des Unternehmens gehört, an dieser
Stelle einige Anmerkungen zum Verhältnis von
Theorie und Praxis.

Was Design-Praxis ist, ist klar: Das reale Ge-
stalten einzelner Produkte. Mit der ganzen Viel-
zahl von Leistungen, die dazu nötig sind.
„Theorie“ ist ein griechisches Wort. Es heißt ur-
sprünglich „Schau, Betrachtung“. Im Sinne von
Betrachtung einer Theateraufführung oder ei-
nes Wettkampfes. Seine heutige Bedeutung
könnte man etwa so definieren: „Abstrahieren-
de Betrachtung mit dem Ziel, allgemeine Ge-
setzmäßigkeiten zu erkennen, die die Vielfalt der
Erscheinungen erklären.“

Zu differenzieren sind allerdings Theorien un-
terschiedlicher Kategorien: Physikalische Theo-
rien sind wahr, sind Erkenntnis von realen Ge-
setzmäßigkeiten, von Strukturen, die der Wirk-
lichkeit zugrunde liegen. Eine wahre Theorie
erlaubt sichere Vorhersagen. Sie erlaubt aber
vor allen Dingen auch praktische Realisierun-
gen, Anwendungen. Weil die Theorie der Quan-
ten-Mechanik wahr ist, konnte man Computer
und Laser bauen.

Gibt es designtheoretische Erkenntnisse, die in
diesem Sinne wahr sind? Die praktische Anwen-
dungen erlauben, die richtig sind, weil sie auf
einer wahren Theorie beruhen? Kann man heute
sagen, wird man jemals sagen können, daß z.
B. ein Bürostuhl objektiv richtig gestaltet ist, weil
er uneingeschränkt und bis ins Detail gestalte-
rischen Erkenntnissen entspricht? Nein.

Nun ist es ja fast etwas naiv, an Design-Theorie
ähnliche Anforderungen zu stellen wie an na-
turwissenschaftliche Theorien. Im Design meint
„Theorie“ heute eher, daß man sich bemüht, im
verwirrenden Durcheinander der Erscheinungen
ein paar allgemeingültigere Strukturen zu erken-
nen. Daß Design-Theorie etwas anderes ist als
naturwissenschaftliche Theorie, hat einen
Grund: Die Wirklichkeit, auf die sich Design in
Theorie und Praxis bezieht, sind Menschen.
Menschen, die gestalten - und Menschen, die
gestaltete Dinge wahrnehmen und verwenden.
Und diese Wirklichkeit des Menschen ist eben
in keiner Weise eindeutig, unwandelbar, klar
erkennbar. Sondern äußerst komplex, sich stän-
dig verändernd. Jeder Mensch ist für sich allein
hoch differenziert. Er ist auf andere bezogen,
wird von ihnen beeinflußt und beeinflußt sie. Er
hat mit unzähligen Dingen zu tun, ist eingebun-
den in ein System von gesellschaftlichen Nor-
men und Wertvorstellungen. Auch die Produkte
sind eingespannt in ein hochkomplexes, viel-
schichtiges Bezugsnetz, das sich rasch verän-
dert. (Abb. 3)

Viele Designer tun immer noch so, als ob man
die Subjekt-Objekt-Relation, also die Beziehung
zwischen einem Menschen und einem Produkt,
isoliert betrachten könnte. Einfache, allgemein-
gültige Gesetzmäßigkeiten gibt es hier aber
nicht. Man kann für theoretische Aussagen über
Design, aber auch für Design selbst keine zeit-
lose Wahrheit in Anspruch nehmen. Design ist
immer durch Zeit-Ort-Koordinaten bestimmt und
abhängig von Wertsystemen der Gesellschaft.
Wer anderes behauptet, ist ein realitätsferner
Dogmatiker. (Abb. 4)

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