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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 15.1994

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Kern, Ulrich: Die Zweifel des Anwalts - mehr Fragen als Antworten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31839#0078

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7.3 Die Produkt-Unternehmen-Beziehung

Die dritte Relation: Die Produkt-Unternehmen-
Beziehung.

Für diese Relation ist in Zukunft der Begriff der
Legitimation entscheidend. Welche Berechti-
gung hat der Produzent für ein Produkt, eine
Dienstleistung oder eine damit im Zusammen-
hang stehende Maßnahme?

Ein Unternehmen sollte sich selbst die Frage
stellen und beantworten, welchen unter-
nehmensethischen Grundsätzen es folgt. Die-
se Auseinandersetzung steuert die Evolution
eines Unternehmens, auch im Bewußtsein der
Mitarbeiter. So bildet sich eine Unternehmens-
kultur, die Identifikation und Identität möglich und
wirksam werden läßt.

Die betriebliche Befremdlichkeit des Design
befördert diesen Veränderungsprozeß. Das
Drängen nach Verantwortung für Querschnitts-
aufgaben, der Wunsch nach Ästhetisierung der
Umwelt, das Erträumen von Visionen, die unor-
thodoxe Form von Kreativität und nicht zuletzt
die Visualisierungsqualitäten des Design pas-
sen meist nicht in den betrieblichen Alltag, kön-
nen aber wirksame Freiräume schaffen.

Als Beispiel sei hier nochrrials an das italieni-
sche Unternehmen Benetton erinnert. Mit der
1991 begonnenen Anzeigen-Kampagne such-
te Benetton bewußt die Auseinandersetzung mit
der Öffentlichkeit. Provoziert sie geradezu! Der
sterbende Aids-Kranke und das neugeborene
Baby zeugen auch von der Reflexionsfähigkeit
des Unternehmens.

7.4 Zum Begriff der Akzeptanz

Im Zentrum des Relationalen Struktur-Modells
steht der Begriff der Akzeptanz. Er hat in die-
sem Zusammenhang eine polyvalente Funkti-
on. Seine Wirksamkeit richtet sich gegen allzu
schnelle, meistvordergründige Entscheidungen
in den Unternehmen. „Der Markt verlangt das!“,
„Die Konkurrenz hat das schon!“, „Wir brauchen
das ganz schnell!“ sind Ausdruck von unüber-
legtem Aktionismus.

Der Begriff Akzeptanz in diesem Rahmen be-
deutet Deckungsgleichheit von Angebot und
Nachfrage, von Funktion und Sinnlichkeit, von
Gebrauchen und Erleben.

Die Wirksamkeit des Begriffs Akzeptanz reicht
aber weiter. Gemeint ist in diesem Modell die
Vereinbarkeitvon markt- und betriebswirtschaft-
lichen Realitäten und Zukunftsentwürfen, von

Pragmatismus und Utopien im Design. So ver-
standen diffundiert das Design in die Instrumen-
te der Unternehmensführung. Es kann den Kurs
von Unternehmen mitbestimmen. Herrührend
aus dem schon oftmals zitierten Paradigmen-
wechsel, setzt es ein anderes Verständnis von
Design voraus, nämlich daß Design in Zukunft
mehr ein strategisches Konzept für Gestaltung
in einem weitreichenden Kontext ist.

Auch hier ein Beispiel: In einer doppelseitigen
Anzeige sieht man die Produktionspavillons des
Büromöbel-Herstellers Wilkhahn. Allerdings
handelt es sich nicht um eine von Wilkhahn
geschaltete Anzeige. Veranlaßt wurde diese von
der Wirtschaftsförderung des Landes Nieder-
sachsen. Ganz offenbarfinden die Gestaltungs-
leistungen des Unternehmens eine so breite
Akzeptanz, daß sie unverdächtig zur Werbung
für ein ganzes Bundesland genommen werden
können.

Zum Hintergrund des Struktur-Modells gehört
auch, daß Design nicht immer nur die Aufgabe
hat zu gestalten, sondern auch zu verhindern.
Es muß zum Beispiel alle Produkte und Projek-
te verhindern, die wider besseren Wissens die
Endlichkeit der Ressourcen und die Sozial-
verträglichkeit von Fortschritt ignorieren.

Der Wertewandel in der Gesellschaft führt zu
einem strengeren Legitimationskontext als frü-
her. Unternehmen müssen Sinn und Nutzen ih-
res Warenangebots mehr und mehr unter Be-
weis stellen, wollen sie ihre Chance am Markt
behaupten. Mehr noch: Alle Dimensionen eines
Unternehmens - Arbeitsplatzqualität, Produkti-
onsverhältnisse, Produktmerkmale, Verkaufs-
strategien, Konsum-Folgenabschätzung - müs-
sen sich an ethischen Grundsätzen messen las-
sen. In Zukunft wird nicht mehr nur nach Profit
gefragt werden können. Das ist nicht nur per-
sönliche Überzeugung, sondern wird von der
Marktrealitäterzwungen werden. Während heu-
te intensiv über Ökologie und Recycling nach-
gedacht wird und das Handeln sich daran ori-
entiert, sprechen alle Anzeichen dafür, daß
morgen die ethische Legitimität aus markt-
strategischen Überlegungen nicht mehr wegzu-
denken sein wird. (Abb. 7)

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